/

Allein gegen die Mafia

Roman | Leonhard F. Seidl: Genagelt

Krimiliteratur vom Feinsten: die Endstation für brave Katholiken: Der Erste wird gekreuzigt am Feldrand aufgefunden. Der Zweite baumelt in Halbschuhen erdrosselt vor einer Sitzbank. Die Dritte wird Opfer einer Brandkatastrophe. Der Autor Leonhard F. Seidl kommt in Genagelt einem Serienmörder auf die Schliche. Der Rezensent HUBERT HOLZMANN steht in sicherer, agnostischer Entfernung.

Seidl-Genagelt
Leonhard F. Seidl und sein Privatdetektiv Freddie Deichsler haben einiges gemeinsam: Beide leben in Nürnberg, sind jedoch im oberbayerischen Isental in der Nähe von München aufgewachsen. Beide unterstützen ebenfalls seit Jahren die Bürgerbewegung, die sich gegen das Autobahnprojekt zur Wehr setzt, das die christlich-soziale Landesregierung seit den 1970ern durch das Landschaftsschutzgebiet bauen lassen will.

Der Autor Seidl schickt in seinem ersten Krimi Genagelt den Ermittler Deichsler zunächst auf ungewisse Mission gen Süden. Er erhält einen nächtlichen Anruf von seinem alten Spezi (süddeutsch für Freund) Kurbi, dem er aus der Patsche helfen soll. Alles nimmt sich noch recht harmlos aus, und weil Deichsler, gerade frischgebackener Vater, einige Tage allein mit seinem Sohn David ist, unternehmen sie die Fahrt in die alte Heimat zu zweit. Eine Entscheidung, deren Tragweite er nicht ganz vorhersehen kann. Denn es bleibt nicht immer so harmlos und überschaubar, wie man es im katholisch behüteten Bayern gewohnt ist.

Alles, was ein Krimi braucht

Einige Zeit geht in Genagelt irgendwie auch alles gut. So ziemlich jedenfalls. Und es wird ermittelt: die Aufgabe der Polizei – allerdings versucht parallel dazu auch unser Privatdetektiv dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Er schaut sich um: in der Dorfwirtschaft, am Friedhof, in kleinen Weilern und Anwesen, und ebenfalls in den alten WGs und Landkommunen, die er noch aus seiner Jugend kennt, in dubiosen Vereinslokalen und in einer Wagenburg von Aktivisten. Dass es dabei natürlich durchaus zünftig zur Sache geht – und keineswegs nur der bayerische Dialekt Verwendung findet – kann man sich denken.

Der Autor strapaziert jedoch das Genre des Heimatkrimis auch wieder nicht über Gebühr. Er bedient nicht einfach die Klischees, die man aus all den Allgäuer Milchkannenmärchen, bretonischen Crêpesküchen oder perigordschem Trüffelgeplänkel kennt. Seidl erschafft in Genagelt nun hoffentlich der vielen Privatdetektive, die serienmäßig jedes Jahr aufs Neue den Büchermarkt bereichern. Seidl spielt dennoch die typischen Vorurteile aus, die man als Zugereister oder Nordlicht von den südlichen Bewohnern hat.

Bei Seidl gibt die Eingebundenheit von Kindesbeinen an in die Tradition – den Weihrauchfass schwingenden Oberministranten oder die in krachledernes Outfit gepresste Männlichkeit, die auf Bierfestbühnen in Wadeln schlagenden Trachtengruppen zur Schau gestellt wird. »Er öffnete die schwere Holztür und huschte in die kalte Kirche. Gewohnheitsmäßig griff er in das kalte Becken mit dem Weihwasser und bekreuzigte sich. Die hohen weißen Wände mit den Goldverzierungen, der kalte Steinboden, die unzähligen Heiligen, die auf ihn herunterschauten, und der modrige Weihrauchgeruch ließen ihn für einen Augenblick innehalten.«

Politisches Manifest

Seidls Krimi lebt von dieser Heimatverbundenheit, die gar nicht ironisch gesehen wird. Jedoch mischt er in diese Passagen Neues ein: Der Pfarrer glänzt mit einer sozialen »Weltoffenheit« und politischen Einstellung, die mit Occupy vergleichbar ist. Es treten Althippies und langhaarige Aktivisten auf. Und auf einer Beerdigung im Dorf erscheint eine Münchner Trachtengruppe, die bei Feierlichkeiten durchaus heiß aufgetreten kann, »die klatschend aus dem Backstagebereich des Lastwagens gelaufen kamen und sich im Kreis bewegten, dass der Flaum an den Hüften nur so wackelte… Sie schnalzten mit den Fingern, juchzten, plattelten auf Schuhe und Lederhosen…« – die Truppe der »Schwuhplattler«, eine schwule Schuhplattlertruppe.

Diese exotischen Einblicke mischt Seidl mit kleinen, unaufdringlichen politischen Exkursen, hat doch gerade in Bayern »politische Bildung« einen großen Raum eingenommen: Bei Seidl hört sich dies aber eine Nuance kritischer an: die Planungsgeschichte der A 94, dem »Tandler-Highway«, gerät so zur späten Abrechnung mit den Machenschaften der CSU – nach dem Motto: »Was Sie schon immer über Bayern wissen wollten!« Schon in seinem Debütroman Mutterkorn (2011) erzählt er in einer bewegenden Story von der Parallelwelt der rechten Szene und dem geplanten Sprengstoffattentat auf die neu gebaute Münchner Synagoge.

Freddie Deichsler bezieht also in Genagelt deutlich gegen die Autobahntrasse Stellung. So unterstützt er etwa die alte Zenzi, die Mutter von Kurbi, deren Bauernhof dem Autobahnbau weichen soll. Hier bei den Underdogs ist Deichsler zu Hause. Auch seine Denke und Arbeitsmethoden scheint der »Schnüffler« in einem Grundpraktikum bei Philip Marlowe erworben zu haben: Wie das große kalifornische Vorbild im Falle Terry Lennox im Langen Abschied steht auch unser bayerischer Held schon sehr bald unter Mordverdacht. Seine Untersuchungen muss er somit unter hohem Erfolgs- und Zeitdruck durchführen. Die Polizei ist ihm immer dicht auf den Fersen. Manchmal ist dies jedoch nicht immer nur von Nachteil.

Der Showdown der Handlung am Ende – wie bei fast jedem Krimi – ein Endergebnis á la Tatort? Wohl nur zum Teil, komponiert Leonhard Seidl in Genagelt ein ziemlich trauriges Finale und spielt einen ultimativen Abgesang auf das Isental, wurde doch den »Vernichtern« des Naturschutzgebiets 2011 vor dem Bundesverwaltungsgericht der Weiterbau genehmigt. Genagelt – ein engagiertes Krimivergnügen.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben:
Leonhard F. Seidl: Genagelt
Köln: Emons Verlag 2014
304 Seiten. 10,90 Euro

erscheint ab 29.01.2014

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

F wie …

Nächster Artikel

Das Recht auf eine Gutenachtgeschichte

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Ein merkwürdiges Gespann

Jugendbuch | Patrick Wirbeleit: Ich und Tod Detektei

 
Beinahe wäre der Sprung, den Lukas wagt, schiefgegangen. Beinahe. Als er wieder zu sich kommt, findet er eine merkwürdige Gestalt neben sich: den Tod. Lukas ist nicht tot, aber der Tod von da an immer wieder in seiner Nähe. Von ANDREA WANNER

Zwischen Fortschritt und Katastrophe

Roman | Frank Goldammer: Tod auf der Elbe

Als Frank Goldammer vor acht Jahren mit seiner Max-Heller-Reihe begann, war noch nicht zu ahnen, wie produktiv dieser Autor in den nächsten Jahren sein würde. Inzwischen liegen neben etlichen anderen Romanen bereits acht Bände um den Dresdener Kommissar vor, deren Handlungszeit sich vom Ende des Ersten Weltkriegs über die Monate kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1961, dem Jahr des Mauerbaus, erstreckt. Handlungsort ist immer Goldammers Heimatstadt Dresden. Und weil die bis 1989 im südöstlichsten Winkel der DDR lag, ist die Heller-Reihe ganz nebenbei auch noch zu einer spannenden Zeitgeschichte des geteilten Deutschlands geworden. Mit dem vorliegenden ersten Band seiner neuen Serie verlässt der Autor nun das 20. Jahrhundert, nicht aber die Familie seines Helden. Denn mit Gustav Johann Heller ermittelt nun Max‘ Großvater im Jahre 1879. Der muss sich zwar im Sattel oder auf dem Kutschbock an seine Tatorte begeben, lebt aber nicht weniger gefährlich als sein motorisierter Enkel mehr ein halbes Jahrhundert später. Von DIETMAR JACOBSEN

Brigate Rosse und Vertuschungsversuche durch den Staat

Roman | Davide Longo: Die jungen Bestien

Davide Longo lässt in seinem neuen Roman ›Die jungen Bestien‹ Vincenzo Arcadipane in der Gegenwart und in der Vergangenheit ermitteln. Dabei gerät er natürlich immer wieder zwischen die Stühle und fast auch unter die Räder. Von GEORG PATZER

Eine Halbtags- Kriminalistin und ihre falschen Freunde

Roman | Monika Geier: Alles so hell da vorn In ihrem siebten Fall bekommt es die Ludwigshafener Kriminalkommissarin Bettina Boll mit Kinderprostitution zu tun. Und sie muss erkennen, dass sie sich in mehr als nur einem Freund bitter getäuscht hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Auf den Spuren der Rattenbande

Comic | Die Ratten im Mäuseberg

Nach einem 1955 erstmals erschienenen Krimi des Schriftstellers Léo Malet haben der Zeichner François Ravard und der Szenarist Emmanuel Moynot den Comic ›Die Ratten im Mäuseberg‹ aus der Reihe um den Privatdetektiv Nestor Burma als Comic umgesetzt. Heraus kommt der neunte Fall des Schnüfflers Burma, der nun bei Schreiber & Leser in deutscher Übersetzung vorliegt – ein kurzweiliger und unterhaltsamer Band mit überaus überraschendem Ende. Von FLORIAN BIRNMEYER