Roman | Jo Nesbø: Blood on Snow
Ein Serienkiller als gutherziger Taugenichts, der seine Profession mit moralischen Gründen rechtfertigt: Eine solche Figur glaubwürdig darzustellen, ist ein schwieriges Unterfangen. In ›Blood on Snow‹ versucht Jo Nesbø es trotzdem. Herausgekommen ist ein Thriller mit zu hohen Ambitionen – für Krimifans, die hart im Nehmen sind. Von VALERIE HERBERG
Der Plot an sich ist schnell erzählt: Olav Johansen lebt in Oslo und ist Mörder von Beruf. Gegen Geld bringt er Menschen um, die Aufträge bekommt er von seinem Chef. Eines Tages kommt es, wie es kommen musste: Er verliebt sich in eines seiner Opfer in spe, Corina. Statt ihr bringt er daraufhin ihren Liebhaber um. Erst später erfährt er, dass er damit den Sohn seines Auftraggebers eliminiert hat. Olav ist nun in großer Gefahr.
Die Story an sich ist wenig innovativ. Was heraussticht, ist die Hauptfigur, aus deren Perspektive der Roman größtenteils erzählt wird. Denn der Serienmörder Olav ist, so möchte er es zumindest dem Leser weismachen, eigentlich ein guter Mensch. Er sorgt sich um das Wohlergehen anderer, vor allem von seiner Mutter, und verliebt sich einfach viel zu schnell. Zudem ist er Legastheniker. Damit sieht er auf dem legalen Arbeitsmarkt für sich keine Perspektive.
Doch auch als Krimineller eignet sich Olav nach eigener Aussage für nur wenige Professionen: Zuhälter kann er nicht werden, weil er Gewalt gegen Frauen verabscheut. Bankräuber geht auch nicht, weil seine Fahrkünste zum Fahren eines Fluchtwagens nicht geeignet sind. Was bleibt da noch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Natürlich, Auftragskiller.
Mörder wird nicht müde, sich zu rechtfertigen
Die Figur Olav wird nicht müde, sich für seine Taten zu rechtfertigen und dem Leser zu verstehen zu geben, dass er eigentlich einer von den Guten ist. So sehr, dass es für den Leser fast schon lästig wird. Einmal spendet er sein Honorar den Hinterbliebenen eines seiner Opfer. Und dann müssen auch noch sein geringes Selbstwertgefühl und seine verkorkste Kindheit herhalten. Er sagt einmal über die Zeit, die den Morden unmittelbar vorausgeht: »Das waren die einzigen Minuten, Stunden, Tage in meinem vermutlich kurzen Leben, in denen ich etwas war. Das Schicksal eines anderen.«
Dennoch: Die Handlung des Romans ist äußerst brutal. Über den ganzen Roman hinweg ist es kalt, sowohl meteorologisch – es liegt immer Schnee – als auch emotional. Menschenleben sind nichts wert, mit dem Tod wird gezahlt wie mit einer Währung. Es fließt viel Blut, der Titel kommt nicht von ungefähr. Die Rolle des gutherzigen Trottels legt Olav auch zwischendurch ab, und bringt zum Beispiel einen Mann vor den Augen eines kleinen Kindes um.
Fragwürdiges Frauenbild
Äußerst fragwürdig ist das Frauenbild des Romans. Olavs Mutter beispielsweise. Sie bleibt bei seinem Vater, obwohl er sie massiv misshandelt. Und dann ist da noch Marie, in die Olav sich verliebt. Da ihr drogensüchtiger Freund seine Schulden bei Olavs Auftraggeber nicht bezahlen kann, soll sie als Prostituierte das Geld verdienen. Olav bezahlt ihre Schulden.
Einen eher passiven Eindruck macht auch Corina. Sie scheint zunächst nur eine naive Schönheit zu sein, die wie ein Spielball zwischen drei gewalttätigen Männern hin und her geworfen wird. Sie entpuppt sich später als machthungrige Intrigantin, immerhin.
Perspektivträger wird zum unzuverlässigen Erzähler
Olav hingegen entpuppt sich im Laufe des Romans als äußerst unzuverlässiger Erzähler. Denn gegen Ende scheint es gar nicht mehr so klar, ob er wirklich seinen Vater umgebracht hat, wie er es zuvor dem Leser berichtet hat. Damit gerät Olavs Glaubwürdigkeit als Erzähler sehr ins Wanken.
Dennoch sind es die Figuren, die der eher konventionellen Auftragskiller-Story zu Dynamik und Spannung verhelfen. Figuren wie Olav mit seinen Widersprüchen und Marie mit ihrem tragischen Schicksal bleiben im Leser-Gedächtnis haften. Dennoch hebt Nesbø nicht das volle Potenzial der Figuren. Zumindest Olavs hätte ›Blood on Snow‹ statt zum eiskalten Baller-Roman zur Charakterstudie werden zu lassen können. Komplett glaubwürdig gelingt die Figur nicht, was bei solchen Widersprüchen zugegebenermaßen auch ein Drahtseilakt ist.
Kurzweiliger Unterhaltungsroman für Hartgesottene
Immerhin: Der naive, gutherzige Auftragskiller ist eine unkonventionelle Idee und bereichert das Konzept des Serienkiller-Romans um eine erfrischende Note. Die fehlende Glaubwürdigkeit sorgt zumindest dafür, dass man die brutale Story nicht so nah an sich heranlässt. Als kurzweiliger Unterhaltungsroman kann ›Blood on Snow‹ auf jeden Fall dienen – zumindest für Leser, die sich an viel Blut auf viel Schnee nicht stören.
| VALERIE HERBERG
Titelangaben
Jo Nesbø: Blood on Snow
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
Berlin: Ullstein Buchverlage 2015
187 Seiten. 12,99 Euro
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