Roman | Albert Sánchez Piñol: Der Untergang Barcelonas
Der 11. September ist in Katalonien nicht erst seit 2001 ein Gedenktag. Fast dreihundert Jahre vor den fürchterlichen Anschlägen in den USA erlebten die Katalanen ihr 9/11, nämlich den Untergang Barcelonas als Folge des blutigen Spanischen Erbfolgekriegs im Jahr 1714. PETER MOHR hat den Roman ›Der Untergang Barcelonas‹ von Albert Sánchez Piñol gelesen.
Diesem katalanischen »Drama« widmet sich der ausgebildete Anthropologe Albert Sánchez Piñol in seinem neuen Roman, an dem er sieben Jahre gearbeitet hat und der 2013 das meistverkaufte Buch Spaniens war. Neben Carlos Ruiz Zafón (›Im Schatten des Windes‹, 2003) und Jaume Cabré (›Das Schweigen des Sammlers‹, 2011) ist Albert Sánchez Piñol der wichtigste zeitgenössische katalanische Schriftsteller der jüngeren Generation. Hierzulande stieß der 50-jährige, aus Barcelona stammende Autor 2005 mit seinem Romandebüt ›Im Rausch der Stille‹ auf ein beachtliches Echo, zwei Jahre später folgte ›Pandora im Kongo‹. Wie Ruiz Zafón und Cabré bevorzugt bevorzugt auch Sánchez Pinol in seinem ersten auf Spanisch verfassten Roman das aus- und bisweilen auch abschweifende Erzählen.
Im Mittelpunkt steht der katalanische Jüngling Martí Zuvíría (genannt Zuvi), der beim ebenso strengen wie berühmten Marquis de Vauban in der Bourgogne in die Kunst des Festungsbaus eingewiesen wird. Als Greis diktiert Zuvi im Exil in Wien einer Österreicherin seine Lebenserinnerungen: »Mit 98 Jahren gibt es mich immer noch, zwar mit halbem Gesicht, ein bisschen lädiert und mit drei Löchern im Hintern.« Zuvi hat tatsächlich viel erlebt und ist im spanischen Erbfolgekrieg (ausgelöst durch den Tod des kinderlosen Habsburger Königs Karl II. im Jahr 1700) zwischen die Fronten geraten.
Gemeinsam mit dem Waisenjungen Nan, einem Zwerg, dem er auf einem Schlachtfeld begegnet, und der attraktiven Amelie gerät Zuvi nach Barcelona. Die Stadt ist bald umzingelt, und am 11. September 1714 wird Barcelona vom Bourbonenheer unter dem Kommando des Herzogs von Berwick gestürmt und in Schutt und Asche gelegt.
Viele Tausend Menschen starben, und das Ende des unabhängigen Kataloniens war besiegelt. Und doch setzt der Katalane Albert Sánchez Piñol in seinem Roman, der sich in weiten Teilen an überlieferten historischen Fakten orientiert, dem kastilischen General Antonio de Villarroel, der die katalanische Metropole als Befehlshaber der Habsburger Truppen bis zum Schluss tapfer verteidigte, ein literarisches Denkmal.
Demütigungen, Katastrophen, Niederlagen: Dieser opulente Wälzer zielt exakt in das diffuse Gefühlsgemenge der Katalanen. Sánchez Piñol hat hier nicht nur eine wortgewaltige literarische Liebeserklärung an Barcelona intoniert, sondern er streichelt mit diesem Buch auch die Seele der stolzen Katalanen und liefert künstlerischen Rückenwind für die immer noch aktuellen Autonomiebestrebungen. 2009 hatten bei einer Volksabstimmung in Katalonien rund 95 Prozent für die Loslösung von Spanien und für einen selbständigen Staat in der europäischen Gemeinschaft votiert. Vor diesem Hintergrund reicht der Roman in seiner Breitenwirkung weit über die literarische Szene hinaus.
Als Kunstwerk kann ›Der Untergang Barcelonas‹ allerdings nicht vollends überzeugen. Man hätte sich von Sánchez Piñol – das angelesene und recherchierte Wissen über die Kriegsführung im 18. Jahrhundert in allen Ehren – eine etwas straffere Linienführung und weit weniger martialisches Gemetzel auf den Schlachtfeldern gewünscht. Fast ein Drittel der Handlung wird von Blut und Kanonendonner dominiert. Auch mit der Sprache hapert es hier und da gewaltig. Da heißt es u.a.: »Der fette Oberst ging mir mit seinem Befehlston allmählich auf den Sack.« Das ist weder der Duktus des 18. Jahrhunderts noch der von großer zeitgenössischer Literatur. Eigentlich schade, dass man sich am Ende dieses reizvollen Epos’ an effektvolle TV-Mehrteiler à la ›Fackeln im Sturm‹ erinnert fühlt.
Titelangaben
Albert Sánchez Piñol: Der Untergang Barcelonas
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2015
719 Seiten. 24,99 Euro
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