Eine wunderbare Wiederentdeckung

Roman | John Williams: Stoner

Der amerikanische Autor John Williams, 1994 in Arkansas verstorben, ist einer der ganz Großen der Weltliteratur. In seinen Büchern wählt er allerdings keine großen Symbolfiguren, und er erzählt nicht auf der »Gipfellinie« des klassischen Kanons. Seine Bücher spielen fernab vom Weltgeschehen, schildern das Unscheinbare der Provinz. Vielleicht ein Grund dafür, warum sein 1967 erstmalig erschienener Roman Stoner in Vergessenheit geriet. Bei seiner posthumen Wiederauflage wurde er zum absoluten Welterfolg. Zu Recht! – findet HUBERT HOLZMANN.

StonerJohn Williams, Jahrgang 1922, erzählt in seinem gleichnamigen Roman die Geschichte von William Stoner, der als Sohn eines Farmers Agrarwissenschaften studieren soll, aber, als er ein Shakespeare-Sonett liest, seine Liebe zur Literatur entdeckt. Stoner wechselt daher insgeheim das Studienfach, besucht nun die Literaturkurse – seine Eltern werden bei der Examensfeier überrascht sein – und er wird schließlich Unilehrer an der Universität im Mittleren Westen. Dort unterrichtet er über 40 Jahre bis zu seinem Tod.

Die Stationen dazwischen: Als Erstakademiker bleibt seine wissenschaftliche Karriere überschaubar. Er wird heiraten, hat eine Tochter. Später kommt noch eine Affäre mit einer Doktorandin dazu. Stoner lebt kein spektakuläres Leben. Er betritt nicht die große Bühne. Es ist die kleine Welt einer Provinzuniversität, die ihn determiniert, sein Handeln bestimmt. Trotzdem ist Stoner allerdings kein Campusroman, in dem eine »academic romance« wie in David Lodge’ Small World (1984) im Mittelpunkt steht.

Stoners Geschichte ist eigentlich in wenigen Worten erzählt. Der kurze, nur wenige Zeilen lange Nachruf zu Beginn des Romans enthält das Wesentliche. William Stoner wächst zunächst auf in einem sehr bescheidenen Nest. Er besucht die Schule und arbeitet zugleich sehr hart mit auf der elterlichen Farm. Seine Eltern, die durch die Härte des Landlebens geprägt sind und alles andere als liebevoll mit Stoner umgehen, sind ihm dabei eigentlich fremd und es überrascht und befremdet ihn, dass ihn sein Vater zum Studium auf das Landwirtschaftscollege schicken will. Was er von zu Hause mitnimmt, ist die Erfüllung seiner Pflichten – die bestimmende Devise in seinem Leben.

Am College prägen ihn wenige Menschen. Auch hier sind es wiederum »verstörende« Begegnungen, die schicksalsbestimmend werden. Zum Beispiel Archer Sloane, der Lehrer für englische Literatur, dessen Einführungskurs Stoner besuchen wird. Im Anfängerkurs kann er zu einem Shakespeare-Sonett nur schweigen, vielleicht gerade auch deshalb, weil es sein eigenes Lebensmotto vorwegnimmt: »Denn was du liebst, wird Tod dir bald verweigern.« Später als Promotionsstudent – seinen Eltern hat er den Wechsel des Studienfaches erst nach bestandenem Examen gestanden – freundet er sich mit zwei anderen Studenten an: David Masters und Gordon Finch.

»Diese drei – Stoner, Masters und Finch – machten es sich zur Gewohnheit, freitagnachmittags in einer kleinen Bar in der Stadt ein paar große Gläser Bier zu trinken und bis zu später Stunde miteinander zu reden. Obwohl Stoner kein anderes gesellschaftliches Vergnügen als diese Abende kannte, fragte er sich oft verwundert, was sie eigentlich verband.« Die Freundschaft währt jedoch nur kurz: Beide melden sich als Kriegsfreiwillige beim Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg. Gordon Finch wird als Offizier an der Columbia Universität weiterstudieren. Dave Masters fällt auf den Schlachtfeldern Frankreichs.

John WilliamsStoners eigentliches Desaster beginnt damit, dass er an einem Universitätsempfang Edith kennen lernt, eine Frau, die im gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt heraussticht. Edith lädt ihn zu ihrer Tante ein, bei der sie lebt, und erzählt ihm bei einer Kaffeestunde ihre ganze Lebensgeschichte. Hierbei entdeckt er ein Gefühl für sie, das er Liebe nennt. Diese besondere Nähe der ersten Begegnung wird allerdings die einzige wirkliche Begegnung mit Edith bleiben. Der Rest ist Distanz, Ablehnung.

Stoner muss sie also förmlich dazu drängen, ihn zu heiraten. Sie willigt ein, obgleich es klar ist, dass er ihre finanziellen Ansprüche überhaupt nicht erfüllen kann. »Er hatte schon fast das Gartentor erreicht, als er eilige Schritte hinter sich hörte. Er drehte sich um. Es war Edith. Steif und hochgewachsen stand sie vor ihm, das Gesicht blass, und sah ihn direkt an. ’Ich will versuchen, dir eine gute Frau zu sein, William’, sagte sie. ’Ich will es versuchen.’«

Es folgen Besuche bei den Eltern, Hochzeit, Flitterwochen, eine neue Wohnung. Dennoch: »Nach einem Monat wusste er, dass seine Ehe scheitern würde, nach einem Jahr hoffte er nicht mehr darauf, dass es je besser werden würde. Er lernte, mit der Stille zu leben und nicht auf seiner Liebe zu beharren.« Nur kleine Momente des Glücks sind ihm in seinem Leben noch vergönnt. Er selbst wird die Richtung nicht ändern. Dieses Festhalten an Ethos und Pflicht verstärken das Tragische, das in seine Beziehungen hineinspielt. Erfüllung sucht er in der Tochter Grace und in seiner Arbeit. Noch einmal erlebt er ein kurzes Glück. Der Schluss des Romans ein melancholisches Ritardando.

John Williams erzählt mit einer Liebe zum Detail, dabei wird er nie ausschweifend und langatmig. Sein Roman Stoner ist nicht akademisch konstruiert. Williams erzählt in einfacher, schlichter Art das Leben, wie es ist. Ein absolutes Meisterwerk, das emotional stark berührt.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben:
John Williams: Stoner
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben
München: dtv 2013
352 Seiten. 19,90 Euro

Reinschauen
Special zum Buch

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Märchenhafter Frauenversteher

Nächster Artikel

Vergebliches Streben nach Glück

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Hass, Rache und Gewalt

Roman | Javier Cercas: Terra Alta

Spätestens mit seinem Roman Anatomie eines Augenblicks, den die wichtigste spanische Tageszeitung El Pais 2009 zum Buch des Jahres kürte, hat der 59-jährige Javier Cercas auch außerhalb Spaniens den Durchbruch geschafft. Acht Jahre zuvor hatte der im katalanischen Girona lebende Autor schon mit Soldaten von Salamis eine Art Tabubruch begangen, in dem er als bekennender Linker künstlerisch den Versuch unternommen hatte, sich in einen politischen Führer der Falange hineinzuversetzen. Von PETER MOHR

Zuschauen und merken

Roman | Frank Goosen: Kein Wunder »Ich habe zwar auch an der Verklärung mitgeschrieben, aber immer versucht, das ironisch zu brechen«, hatte Frank Goosen kürzlich über seine Rolle als »Ruhrgebiets-Autor« in einem Interview erklärt. Der 53-jährige Goosen war einst mit seinem Partner Jochen Malmsheimer als kabarettistisches Tresenleser-Duo zu respektabler Popularität gelangt und hatte erst relativ spät zur Literatur gefunden. Dann startete er aber mit seinem später erfolgreich verfilmten Romandebüt Liegen lernen (2001) sofort richtig durch. Das Ruhrgebiet ist für den Bochumer nicht nur Heimat, sondern auch gleichzeitig stets Handlungsschauplatz der eigenen Werke. Von PETER MOHR

Das Grauen lauert im Alltäglichen

Roman | Heinz Strunk: Der gelbe Elefant

Wenige Schriftsteller vermögen den absurden täglichen Wahnsinn so gnadenlos abzubilden wie Heinz Strunk. Seine Geschichten – wie die im aktuellen Prosaband Der gelbe Elefant versammelten – bewegen sich jenseits aller Political Correctness und gern auch mal unterhalb der Gürtellinie. Nicht umsonst wurde Heinz Strunk einst von der Zeitschrift Visions zum »David Lynch des Humors« gekrönt. Von INGEBORG JAISER

Zeitgenössischer Stiller

Roman | Daniel Goetsch: Ein Niemand Obwohl der 48-jährige Autor Daniel Goetsch schon einige Romane, Hörspiele und Dramen veröffentlicht hat, gilt er in der Literaturszene noch als weitgehend unbeschriebenes Blatt. Das kann sich nun nach seinem gleichermaßen raffinierten wie verstörenden Roman Ein Niemand schlagartig ändern. Eine Rezension von PETER MOHR

Erlendurs erster Fall

Roman | Arnaldur Indriðason: Nacht über Reykjavík Mit seinem neuen Roman ›Nacht über Reykjavík‹ setzt Islands Krimiautor Nummer 1 fort, was er mit dem Roman ›Duell‹ (2013) begonnen hat: einen Rückblick auf die ersten Dienstjahre des Helden jener 11-teiligen Serie, mit der er zwischen 1997 und 2010 seine Heimatstadt zu einem europäischen Krimischauplatz machte. War Erlendur Sveinsson in der Geschichte um das »Match des Jahrhunderts« zwischen den Schachgiganten Boris Spasski und Bobby Fischer 1972 in Reykjavík allerdings nur eine von vielen Nebenfiguren, löst er im vorliegenden Buch seinen ersten wirklichen Fall. Und darf sich am Ende sogar Hoffnung machen, in