Roman | Bettina Balàka: Die Tauben von Brünn
Ein Kriminalfall, ein Stück Zeitgeschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, das einfühlsame Porträt einer Frau, die sich als Vollwaise durchschlagen muss und ein Roman über Tauben, die alles andere als nicht so gern gesehene »Ratten der Lüfte« sind. Dieser sehr dichte Roman von Bettina Baláka Die Tauben von Brünn hat ausgesprochen viel zu bieten – findet jedenfalls BARBARA WEGMANN.
Vieles aus dem sehr lesenswerten Roman hat es wirklich gegeben: zum Beispiel jenen Johann Karl von Sothen, der 1840 im gleichen Haus in Wien wohnt wie der Brieftaubenzüchter Wenzel Hüttler. Ein Emporkömmling soll er gewesen sein, dieser Sothen, jemand mit unaufrichtigem Charakter, man sagt, er habe Wenzel auf dessen Sterbebett einen Lottoschein mit hohem Gewinn gestohlen. Nach außen sieht er sich gerne als Wohltäter, auch indem er für die beiden Kinder des Wenzel nach dem Tod der Eltern sorgt.
Aber Sothen, der »elende Leuteschinder«, lässt kein Geschäft aus, übersieht keinen persönlichen Gewinn und scheut nicht vor kriminellen Machenschaften zurück. Als »Tabaktrafikant« verdient er sein Geld, mischt im Lotteriegeschäft mit und ist korrupter Bankier. »Welche geheimnisvollen Kräfte besaß er, welche Fähigkeiten, die ihn zu einem Zauberer des Gelderwerbs machten, sodass er dem angestammten Platz im gesellschaftlichen Gefüge, an den Gott ihn hinversetzt hatte … den Rücken kehren hatte können?«
Berta, »durch eine Hasenscharte entstellt«, leicht zu beeinflussen und manipulierbar, führt die Brieftaubenzucht des Vaters in Brünn weiter, wird von dem gierigen Sothen umgarnt und geschwängert und schließlich erpresst. Für ihren Sohn wolle er sorgen mit allen Mitteln, einzige Bedingung: Sie solle die Brieftauben für die Übermittlung der Lottozahlen einsetzen.
Die in Brünn gezogenen Lottozahlen solle sie per Brieftaube nach Wien schicken, denn dort könne Sothen die Zahlen noch bis zum dortigen Abgabeschluss setzen. Der reitende Bote von Brünn nach Wien war natürlich mit Abstand langsamer als eine Brieftaube. »Man würde in Wien Dinge wissen, die man eigentlich ich gar nicht wissen konnte, es würde wie ein Wunder sein.« Zauberei, Gedankenübertragung? Wer sollte da je auf Brieftauben kommen, jene Tiere, die »wie Geister unter den Menschen leben«.
Bettina Balàka wurde 1966 in Salzburg geboren, wurde vielfach ausgezeichnet und hat nun einen Roman vorgelegt, der in jeder Weise begeistert: nicht nur durch die Auferstehung eines alten Mythos, einer »nahezu unfassbaren Geschichte«, oder das Nachzeichnen historischer Figuren, mit soviel Feingefühl und sensiblem Blick für die gesellschaftlichen Zustände der Zeit damals. Es ist auch ein Roman, der einfach viel Spaß bereitet: wunderbar die Exkurse in Aberglauben, Orakel und Beschwörungen, in Traumdeutungen und Wahrsagerei, und das alles für die magischen Zahlen, die das Glück bringen sollen. »Zahlen haben immer etwas mit höheren Mächten zu tun.«
Nicht zu vergessen die sehr sinnliche Sprache der Autorin, mit der sie atmosphärische Bilder zaubert und malt, sei es von häuslichen Situationen, der bitteren Armut damals, der Natur, den Lebensbedingungen, oder der Tauben, die in dem Roman natürlich bis zum dramatischen Ende die heimliche Hauptrolle spielen.
Eine Lektüre, die mit ihren 189 Seiten viel zu schnell vergeht. Die Geschichte, die nicht chronologisch und in größten Teilen von Berta als Ich-Erzählerin erzählt wird, sie endet 1881. »Die Pferde werden durch Dampfmaschinen ersetzt, die Brieftauben durch Telegrafen.«
Titelangaben
Bettina Balàka: Die Tauben von Brünn
München: Deuticke 2019
192 Seiten, 20 Euro
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