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’s ist Weihnacht

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Weihnachtsgeld (SR), 26. Dezember, 20.15 Uhr

»Erdrosselung ist ein ziemlich zeitaufwendiger und kräftezehrender Vorgang«. Wir merken sofort, in ›Weihnachtsgeld‹ steht nüchterne Ermittlung im Vordergrund. Das ist absolut unverzichtbar, um einer zuvor nicht erlebten Fülle von Verwicklungen Herr zu werden. Von WOLF SENFF

Foto: SR / Manuela Meyer
Foto: SR / Manuela Meyer
Gleich zu Beginn beklaut ein Langfinger im Weihnachtsmannkostüm den Kommissar, doch weil an Heiligabend nicht sein kann, was nicht sein darf, erweist sich diese Gemeinheit einige Minuten später als Glück im Unglück. Überhaupt ist ›Weihnachtsgeld‹ von einer Leichtigkeit getragen, die behutsam und fein abgewogen mit parodistischen Elementen arbeitet. Diesen Sachverhalt dürfen wir mittlerweile als Charakteristikum der Saarbrücker ›TATORT‹-Ausgaben einordnen. Nein, keine Parodie, aber haarscharf dicht dran, stets ein wenig unernst, und weshalb sollte ein Ermittler nicht Vespa fahren. In Saarbrücken.

Sekt und Pfefferkuchen

Eine junge Frau wurde angefahren und liegt bis wenige Minuten vor dem Abspann im Koma. Ein junger Mann, Zeuge des Unfalls, erpresst den Fahrer, einen stadtbekannten Zuhälter, und kommt zu Tode, und zwar weniger weil er erdrosselt wurde, sondern aufgrund einer Kreislaufschwäche, das ist eine reale Gefahr, die allen übergewichtigen jungen Menschen droht.

Aus dem Hintergrund wird die Szenerie mit Weihnachtsmelodien bespielt, diverse Weihnachtsfeiern sind angesagt und werden eingeblendet, von der Dienststelle bis zum Bordell muss alles mit Sekt und Pfefferkuchen versorgt sein.

Wird sie durchhalten?

Sogar eine Weihnachtsgeschichte ist Teil der Handlung, ein Pärchen bricht auf nach Sizilien und strandet in einem verlassenen Haus, dort wird ihnen ein Kindlein geboren. Fragen Sie nicht, wie sich all das in einen ›TATORT‹ fügt, es fügt sich und passt unvergleichlich an diesem zweiten Weihnachtstag, wie machen sie das bloß, wir dürfen es genießen.

Nach gut sechzig Minuten hat Stellbrink den ersten Fall aufgeklärt, Eiapopeia breitet sich aus, »Ich will einen Arzt«, klagt weinerlich der Bordellbetreiber, »einen Anwalt, will ganz normale Weihnachten so wie alle«. Heul doch.

Ein Kommissar fährt Vespa

Nach einer weiteren Viertelstunde ist der zweite Fall geklärt. Es verbleibt hinreichend Zeit, auch die Langfinger dingfest zu machen. So löst sich alles auf und findet zu einem weihnachtlich versöhnlichen Ende, ein Gruppenfoto rundet das Geschehen ab. So gehört es sich, und wir bleiben sehr neugierig, ob Stellbrinks sympathische neue Gefährtin bis zum nächsten Saarbrücker ›TATORT‹ durchhält, wir würden uns freuen.

›Weihnachtsgeld‹ ist hintergründig angelegt, vielschichtig, jeder Zuschauer darf ihn auf seine Weise wahrnehmen. Der eine wird ihn als Krimi sehen, in dem dieser leicht abgedrehte, Vespa fahrende Ermittler aus Saarbrücken, wie hieß er gleich, einen Fall aufklärt. Der andere wird ihn als einen schönen, friedfertigen und humorvollen weihnachtlichen ›TATORT‹ sehen.

Manchmal geht es so zu

Wieder andere werden seinen skurrilen Charakter genießen, die herrlichen Kontraste. Die Staatsmacht lenkt Vespa, während der Lude den sündhaft teuren amerikanischen Straßenkreuzer chauffiert. Der Kommissar, betäubt, kann, ich erwähnte es, von den Ganoven glücklicherweise nicht identifiziert werden, weil andere Ganoven, als Weihnachtsmänner maskiert, ihm Bargeld und Ausweise aus der Tasche gezockt haben.

Manchmal geht es so zu im Leben, und allem Durcheinander zum Trotz stellen sich ordnende Strukturen ein. Unerklärlich. Aber es ist immerhin tröstlich und ganz so wie wenn Weihnachten wär‘.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Weihnachtsgeld (Saarländischer Rundfunk)
Ermittler: Devid Striesow, Elisabeth Brück
Regie: Zoltan Spirandelli
Freitag, 26. 12., 20.15 Uhr, ARD

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