Alle Jahre im Spätherbst kommen die aktuellen Restaurantführer in die Buchhandlungen, und es werden, neben den »Klassikern« Michelin und Gault Millau, immer mehr. Dabei geraten sie in eine Zwickmühle: Entweder sie ähneln sich bis zur Ununterscheidbarkeit, oder sie bemühen den subjektiven Geschmack – dann freilich gibt es wenig Ursache, ihnen zu vertrauen. Denn einen eigenen Geschmack hat auch der Benutzer, findet THOMAS ROTHSCHILD.
Der neue zweisprachige Michelin für Deutschland mit beachtlichen 1400 Seiten auf Dünndruckpapier wartet mit drei neuen Zweisternerestaurants auf – in Baden-Baden, München und Rust – und mit zwei Dutzend neuen Einsternelokalen. Dabei zeigt sich ein deutlicher Überhang für Deutschlands Süden. Weitaus mehr Restaurants erhielten erstmals den Bib Gourmand für »sorgfältig zubereitete, preiswerte Mahlzeiten«. Auch die Dreisternerestaurants, davon zwei in Baiersbronn, konzentrieren sich unverändert in den südlichen Bundesländern. Dass es keines in den Großstädten, Berlin eingeschlossen, gibt, gehört zu den Kuriosa. Die einzige Landeshauptstadt mit einem Dreisternelokal ist Saarbrücken. Und die liegt an der Grenze zu jenem Land, aus dem der Michelin kommt.
Wer den Michelin als Hotelführer benützt, muss gut betucht sein. Dass es auch preiswerte Hotels gibt, die angenehm sind und über besonderen Charme verfügen, scheint den Michelin-Testern beharrlich zu entgehen. Ihnen stehen offenbar zu viel Spesengelder zur Verfügung. Dafür enthält das rote Buch jede Menge Landkarten und Stadtpläne, die eine navisozialisierte Generation nicht mehr lesen kann.
Wenig Überraschungen im Gault Millau für Österreich, der wie stets mit einem speziellen Wein-Sekt-und-Bier-Führer und einer Werbebroschüre mit dem anspruchsvollen Titel »Genuss aus Österreich«, aber um zehn Prozent abgespeckt erscheint. In der Spitzengruppe halten sich alte Bekannte: die Obauers in Werfen, Heinz Reitbauer im Steirereck, das nun schon ein paar Jahre im Kursaal im Wiener Stadtpark residiert, dazu Simon Taxacher in Kirchberg in Tirol, das Landhaus Bacher in Mautern, Döllerer in Golling, nicht weit von Werfen entfernt, der Taubenkobel im entlegenen burgenländischen Schützen. In die Spitzengruppe aufgestiegen ist Konstantin Filippou in Wien. Es gibt eine Reihe von mehr oder weniger milden Auf- und Abstufungen. Zu den plausibelsten gehört das Café Sacher in Innsbruck, dem 1,5 Punkte entzogen wurden. Die verbliebenen 12,5 sind immer noch zu viel: der Name Sacher führt hier, anders als etwa in Salzburg, in die Irre.
Umwegrentabilität der Salzburger Festspiele
Koch des Jahres ist für den österreichischen Gault Millau Richard Rauch vom Steira-Wirt in Trautmannsdorf. Den besten Service garantiert angeblich Christl Döllerer in ihrem Familienbetrieb. Für sein Ambiente wurde das Restaurant des Park Hyatt in Wien ausgezeichnet, das den Protz einer k&k Bankschalterhalle instrumentalisiert hat. Das ist zwar keine ganz neue Idee, aber passt gut in die Landschaft des heutigen, einstmals roten Wien. Es fällt schwer, die Wahl nicht als symbolisch zu betrachten: die Bourgeoisie verfrisst das Geld, das sie hier zuvor abgehoben hat. Natürlich gibt es auch stimmige Toiletten: Geld und Scheiße – wir wissen es ja, wir befinden uns in der Stadt von Sigmund Freud.
Eine Stichprobe: Brunnauer in Salzburg hat zu Recht seine 15 Punkte behalten, die Riedenburg, die nach seinem Weggang abgewertet wurde, ist ebenso zu Recht auf 13 Punkte höhergestuft worden. Überhaupt Salzburg (Stadt): wer die Kochhauben zählt, weiß, was mit der Umwegrentabilität der Salzburger Festspiele gemeint ist.
Bodenständig und subtil
Auch bei den Weinen tut sich wenig Neues. Vereinfacht gilt, seit das Glykol dafür gesorgt hat, dass österreichische Weine international konkurrenzfähig sind: für weiße fährt man am besten in die Wachau oder in die Südsteiermark, für die roten ins Burgenland. Ganz oben in den Listen von Gault und Millau stößt man auf die bekannten Namen F.X. Pichler, Jurtschitsch, Knoll, Bründlmayer, Nittnaus, Gernot und Heike Heinrich, Gesellmann und bei den Süßweinen vom Neusiedlersee, klar doch, auf Kracher und auf Tschida und Feiler-Artinger, die mit dem Platzhirsch mit 19,5 Punkten gleich ziehen konnten.
In Österreich konkurriert der Gourmet-Führer A la Carte mit dem Gault Millau. Er ist bodenständiger und wohl auch subtiler mit den Restaurantbetreibern und Köchen verbandelt. Anonym bleibt in dem kleinen Land keiner. Auch A la Carte ergänzt seinen Restaurantführer durch einen Wein-Führer, der fast so umfangreich ist wie jener, und zusätzlich durch einen Delikatessen-Führer. Ganz oben stehen bei A la Carte mehr oder weniger dieselben Namen wie bei Gault Millau. Dass die Obauers ein Stückchen runtergerückt sind, dient wahrscheinlich der Profilierung. Brunnauer wird mit 79 von 100 möglichen Punkten eher unterbewertet, aber die Riedenburg kommt im A la Carte gar nicht vor.
Bei den Weißweinen figuriert der Steirer Sabathi zu Recht in der Spitzengruppe. Für die Wachau stehen auch hier die üblichen Verdächtigen eng bei einander. Mit Süßweinen gibt sich A la Carte nur am Rande, mit Bieren, Schnäpsen oder gar Fruchtsäften, anders als Gault Millau, gibt er sich gar nicht ab. Dafür erfährt man aus dem Delikatessen-Führer, wo es Bauernmärkte, Essig und Öl, Honig oder eben auch Säfte und Schnäpse zu kaufen gibt. Dabei gleicht sich die Produktkritik verdächtig der Werbung an. In England gab es einst einen Spruch, wonach man einen britischen Journalisten nicht bestechen oder verbiegen könne, man brauche sich darum aber nicht zu kümmern, wenn man weiß, was er ohne diese Bemühungen schreiben wird. Wieso fällt er mir bei der Lektüre von Gourmetführern ein?
Titelangaben
Deutschland Guide Michelin 2015
Michelin (Vertrieb in Deutschland: Travel House Media)
1404 Seiten. 29,95 Euro
Gault Millau Österreich 2015
Communication Service Verlagsgesellschaft mbH
528 + 288 Seiten. 33 Euro
A la Carte 2015
D+R Verlag
468 + 432 + 324 Seiten. 25 Euro