Autobiographie | Christian Flake Lorenz: Heute hat die Welt Geburtstag
Die Gruppe »Rammstein«, ursprünglich Punk vom Prenzlauer Berg, gilt heute nicht nur als eine der provokantesten deutschen Bands, sie ist einer der erfolgreichsten deutschen Kulturexporte überhaupt und füllt die Stadien weltweit, Moskau wie Madison Square New York. Im Lauf der aggressiven Bühnenshow bekommt Christian Flake Lorenz, Keyborder, es schon mal mit einem Flammenwerfer zu tun. Von WOLF SENFF
Doch darum soll es hier nicht gehen, Musik mal zur Seite gelegt. Christian Flake Lorenz, 51, schreibt seine Autobiographie. Heute hat die Welt Geburtstag. Schön. Ein Gute-Laune-Text? Jedenfalls ein Text, der uns den Werdegang eines Musikers, der, grob gesagt, seine Welt des Pop beschreibt, anekdotisch erzählt, auch frei assoziierend, er sucht ein Lebensgefühl zu vermitteln.
Holprig, stolprig
Politisch? Nein, man sollte das gar nicht ansprechen. Sie verwenden in ihren mit gewalttätiger Symbolik durchsetzten Bühnenauftritten nationalsozialistische Ästhetik und satteln noch drauf mit dem markant gerollten R ihres Frontmanns, dass es wehtut. In ihren verbalen Bekenntnissen positionieren sie sich links. Sind offenbar nach allen Seiten offen, für jeden ist etwas dabei, überzeugen kann das nicht.
Flake stolpert hinein in diese Welt nach dem Motto: Halb zog es ihn, halb sank er hin. »Wenn ich mal etwas erreiche, dann ist das meistens eine Sache, von der ich am Anfang nicht einmal wusste, dass es sie gibt.«
Saufen ohne Ende
Bei Flake spielt immer die Gemeinschaft eine Rolle, dort findet er neben dem Wohlbefinden stets Feedback und Motivation. Und immer wieder hemmungsloser Alkoholkonsum und planmäßig destruktives Agieren. Das wird alles sehr geschmeidig beschrieben, man fühlt sich von dem lockeren Tonfall gelegentlich eingelullt.
»Wenn man ein Konzert spielt, sind das nur zwei Stunden am Tag. Den Rest der Zeit verbringt man in Bedeutungslosigkeit. Damit kommen manche Musiker einfach nicht klar, sie betrinken sich dann oder begehen Selbstmord.« So ungefähr.
Selbstdarsteller
Die martialischen Auftritte inklusive Nazi-Anspielungen nennt Flake in seiner naiven Weltsicht schlicht »Faxen machen« und »Freude am Unfug«, und häufig drängt sich dann doch der Verdacht auf, bei dem Flake dieser Biographie handele es sich um eine Kunstfigur, eigens für diese Biographie ersonnen, eine das Image pflegende PR-Maßnahme, die mit der rauhen Wirklichkeit der Gruppe Rammstein nichts zu tun hat.
Aggressive Musik, sagt er, wirke befreiend. Nun ja, auch ein Schlag ins Gesicht des nervigen Nachbarn wirkt befreiend. Muss das sein? Und wo sind die Grenzen? Hätte man gern gelesen. Stattdessen viel Selbstdartellung von einem, der offensichtlich findet, er ist ein toller Hecht, Spaß muss sein, pflegte mal Oldtimer als Hobby. Und jammert reichlich über seine Ängste: Flugangst, Angst, alt zu werden, krank zu werden, etc.
In der Zwickmühle
Es gibt im Leben jedoch den Moment, da hat man etwas satt und man weiß, dass es Zeit ist, damit aufzuhören. Man entnimmt der Autobiografie, dass Flakes Alkoholkonsum seine Zeit hatte, und das war es dann auch – nur dass man Geduld haben muss, mit sich selbst, und darf die Hoffnung nicht aufgeben, erwachsen zu werden.
Oder man muss der Vernunft nachhelfen, doch das wäre Zwang und gefällt nicht. Die Verherrlichung der Droge kann es jedoch auch nicht sein, Flake klemmt da in einer Zwickmühle und klärt den Leser nicht auf. Man hätte gern Fakten statt Wohlfühlsound.
Nochmal die Zwickmühle
Flakes Erinnerungen haben ihren besonderen Stellenwert auch, weil er in der DDR aufwuchs, dem ›Unrechtsstaat‹, und wir erinnern uns an eine quälende öffentliche Debatte der neunziger und nuller Jahre, die vor allem zum Ziel hatte, den ›guten‹ und den ›schlechten‹ deutschen Staat korrekt in den Geschichtsbüchern zu positionieren.
Flake öffnet uns den Blick auf eine vielschichtigere Realität. »In meinem Bekanntenkreis gibt es eigentlich niemanden, der sich eine Wiedervereinigung herbeigesehnt hätte«, sagt er im Interview beim Deutschlandradio und beklagt »das Verschwinden von unserem Land und von unserer Identität, woran viele jetzt noch knabbern«.
An die Wand gefahren
Nochmal Flake. »Wir haben so günstig gelebt, dass wir in der DDR nicht auf Geld angewiesen waren, also Miete hat 25 Mark gekostet.« Reihenweise gab dann westliche Politik den Auftrag, zu verscherbeln, nicht nur Industrie, sondern komplett die Wohnungen aus staatlichem Besitz in den privaten Immobilienmarkt zu übertragen, sie großzügig an die Geldgier der Gentrifizierung auszuliefern.
All das geschah ohne Not, denn der Staat hätte sie genausogut halten und in den sozialen Wohnungsbau übertragen können. Nun klagt und jammert und heult Politik Krokodilstränen über hohe Mieten, ohne real etwas zu ändern.
Titelangaben
Christian Flake Lorenz: Heute hat die Welt Geburtstag
Frankfurt/Main: Fischer 2017
352 Seiten, 20 Euro
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»Im Gespräch«: Matthias Hanselmann und Christian »Flake« Lorenz. Deutschlandradio Kultur, 13.11.17, 9:00 Uhr