Kulturbuch | Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode
Man fragt sich während der Lektüre mehrfach, was für ein Buch man da in den Händen hält. »Geheimnis der Mode«? Nein, es wird nichts Geheimnisvolles ausgebreitet, und zum Schluss wird kein Geheimnis entschlüsselt. Von vornherein bestehen für Barbara Vinken keine Zweifel daran, dass Mode der Abgrenzung der Geschlechter dient. Die Arbeitsweise der Autorin analytisch zu nennen, wäre geschmeichelt. Von WOLF SENFF
Barbara Vinken informiert über die historische Entwicklung von modischer Kleidung, sie setzt an mit dem Umbruch der Kleidungsetikette, der mit der Französischen Revolution verbunden war. Sei zuvor die Kleidung der Männer bunt und phantasievoll gewesen, so setze sich nun – anknüpfend an die pragmatische Kleidung des englischen Landadels im 18. Jahrhundert – der nüchterne Anzug als eine rein funktionale, amtsbezogene und gender-neutrale bzw. die geschlechtliche Körperlichkeit ignorierende Kleidung durch, für die Autorin ein hochdramatisches Ereignis, ein »Zerbrechen der kosmischen Ordnung«. Als Symbolfigur dieser neuen Kleiderordnung – »der Anzug nivelliert, neutralisiert, egalisiert« – nennt sie Philippe d’Orléans, sein weibliches Pendant sei Marie Antoinette, die »eine unheimliche Nähe zwischen Königin und Maitresse« verkörpere.
Der Dandy als Symptom
Die Kleidung der Frauen zeige seitdem unverkennbar Tendenzen einer befreiten Weiblichkeit, die allerdings immanent konterkariert werde; etwa durch aufreizend inszenierte Beine oder auch nur durch die Übernahme des Anzugs – für den, der ein trendiges Wort braucht: »crossdressing« –, der bei Yves Saint Laurent hocherotisierend inszeniert sei; so trete »neue Weiblichkeit« in der Faszination eines Puppenkörpers auf. Zusammengenommen ein breites, widersprüchliches Spektrum »zwischen Dandy und Transvestit«.
Das ist letzten Endes recht beliebig. Zwar lebt der Text von einer immensen Detailkenntnis, doch diese Details tragen wenig zur Übersichtlichkeit bei. Der Typ des Dandy sei »zukunftsweisend« – aber es ist verwegen, dafür Baudelaires Aussage von 1863 heranzuziehen, der Dandy sei »Symptom des Übergangs zwischen Aristokratie und bürgerlicher Demokratie«.
Sapeurs in Brazzaville
Dieser Dandy, Anzüge tragend, übertrage »das Prinzip der Frauenkleidung auf die Männerkleidung«, nämlich »allen Wert der Welt auf ihre Kleider zu legen« – wie passt das zusammen, nachdem zuvor der Anzug als Symbol der Egalität definiert wurde. Man versteht recht gut, dass die Angelegenheiten der Mode kompliziert und verwirrend sind. Wer aber »das Geheimnis der Mode« entschlüsseln will, sollte die Verwirrungen auflösen anstatt sie zu steigern.
Eine moderne Avantgarde des männlichen Dandytums, Sapeurs, verortet sie in Brazzaville mit Ablegern in Paris und Brüssel; sie belegt ihre Beobachtung mit dem Auftreten von Sapeurs in einem kongolesischen Roman. Die Autorin gibt sich forsch und selbstbewusst; ein Kleidungsstil, der auf Inszenierung verzichtet, ist für sie »eine fast aggressive Gleichgültigkeit gegen die äußere Erscheinung« – das wiederum ist Küchenpsychologie.
Die Aufgeblasenheit des Modenarren
Sie gibt im Mittelteil eine Literaturübersicht von Zola über Nietzsche und Simmel bis Loos, ohne sich jedoch argumentativ mit zentralen Thesen auseinanderzusetzen. Von Georg Simmels berühmtem Essay über Mode hätte sie sich etwas nüchterne Distanz aneignen können; Simmel schreibt, »dass die Mode der eigentliche Tummelplatz für Individuen ist, welche innerlich unselbständig und anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch zugleich einer gewissen Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedarf«. Wenige Zeilen später erwähnt er »die Aufgeblasenheit des Modenarren«.
Barbara Vinken hat keine Distanz gegenüber ihrem Untersuchungsgegenstand, sie schreibt eine von Euphorie beflügelte Reportage über die Welt, in der sie sich am wohlsten fühlt, und letztlich ist ihre eigene Position die, dass die Kleidung der Frauen heutzutage von orientalischer Vielfalt, Prunk und Pracht geprägt sei, das weibliche Geschlecht werde »zum Schmuckstück«, sie schwärmt von »dem berüchtigten Rouge Noir von Chanel«, in dessen Gefolge »sich die Mehrheit der Frauen von Teenager bis zu Großmutter so unermüdlich wie vielfarbig Fuß- und Fingernägel lackiert«, von bei Männern wie Frauen beliebten »ausgeklügelten Schamhaarritualen«, spricht von einem »Kulturkampf um das Make-up« und ist sich nicht zu schade, auf die nationalsozialistische Verachtung der, in deren Worten, »südlichen, orientalischen Frau und allen so überfremdeten Kulturen wie den Franzosen« hinzuweisen, um ihrer eigenen Position Geltung zu verleihen.
Guipure-Spitze aus Wolle
Sie lobt Michelle Obama, bei der »so gut wie alle ihre Kleider Schlagzeilen« machen, mehr noch: »Seither sind der Welt wieder fast vergessene Textilraffinements wie Guipure-Spitze aus Wolle geläufig«. Der Welt? Hm. Die Frage sei erlaubt, in was für einer Welt die Autorin lebt. Sie schwärmt von den künstlichen Wimpern Michelle Obamas und sieht orientalisierende Tendenzen auch in der Anzugmode der Männer, sie beschreibt wiederum mit großer Detailkenntnis das Eindringen japanischer Traditionen in westliche Haute Couture, »Orientalismus pur« aber auch in den arabesken Mustern von Tattoos. Es handelt sich um eine Innenansicht einer Welt, in der Barbara Vinken sich offenbar zuhause fühlt. Wir müssen dem nicht weiter nachgehen.
Aber wir müssen dem etwas hinzufügen, wir knüpfen deshalb ein zweites Mal an Georg Simmel an. Mode, schreibt er, sei »ein Produkt klassenmäßiger Scheidung«, sie bedeute »einerseits den Anschluss an die Gleichgestellten, die Einheit eines durch sie charakterisierten Kreises, und eben damit den Abschluss dieser Gruppe gegen die tiefer Stehenden, die Charakterisierung dieser als nicht zu jener gehörig«.
Minderbemittelte Mitschüler
Nun darf man von einer Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München möglicherweise nicht ohne weiteres erwarten, dass sie soziologische Implikationen von Mode kennt bzw. berücksichtigen will; aber kann sein sie hat Kinder, hat Enkel und sie kennt den simplen Sachverhalt, dass schon unsere Grundschüler ihren Sozialstatus mittels Markenkonfektion gegen ihre minderbemittelten Mitschüler geltend machen.
Mode halt – und immer schon war eine wichtige Funktion von Mode die soziale Klassifizierung. So gesehen ist es besonders verwunderlich, dass Barbara Vinken die Unisex-Mode so mir nichts, dir nichts beiseite legt. Man muss vermuten, sie passt nicht in ihr mondänes, realitätsfernes Bild von Mode und Kleidung. Alles in allem möchte ich Ihnen deshalb doch eher nahelegen, den fünfzehnseitigen Essay Georg Simmels, den er 1905 verfasste, zu lesen als das insgesamt unübersichtliche und orientierungslose Zweihundertfünfundfünfzig-Seiten-Werk von Barbara Vinken.
| WOLF SENFF
Titelangaben
Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode
Stuttgart: Klett-Cotta 2013
255 Seiten. 19,95 Euro
Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014
[Aktualisierung 13.03.: Gewonnen hat Helmut Lethen: Der Schatten des Fotografen.]
Georg Simmel: Die Mode
In: Ders., Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne, S. 26-51
Berlin: Wagenbach 1983
251 Seiten. (vergriffen, ebenso Neuauflage 1998) – antiquarisch erhältlich
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