Komplexe Tracks und Broken Beats

Musik | Toms Plattencheck

Die oberbayerischen The Notwist sind nun seit einem Vierteljahrhundert im Geschäft. Wahnsinn! »Same same but different«, mag man sich denken, wenn man an diese Indie-Ikone denkt. Konstant ist die Unaufgeregtheit der Band, was Trends und Erwartungen anbelangt, sowie die vorbildliche künstlerische Integrität. Von TOM ASAM

The Notwist - Close to the glassWas das Musikalische anbelangt ist man versucht, von stetiger Veränderung zu sprechen. Von Anfangstagen mit krachigen Gitarren und Hardcore/ Noise Rock-Anleihen bis heute gab es im Klangkosmos von The Notwist immer wieder Veränderungen. Andererseits gibt es Konstanten wie Micha Achers melancholisch-schluffigen (Nicht-) Gesang mit doch häufig ähnlichen Melodielinien. Wichtigster Auslöser für Veränderungen war sicher die Ende der 90er erfolgte Aufnahme von Martin Gretschmann (aka Console) in den Bandkosmos. Das 2002 erschienene Album Neon Golden, das mit Gretschmanns Elektronik-Spielereien, symphonischen Elementen und tollen Songs überzeugte, schien wirklich das schwer zu überbietende goldene Scheibchen der Band zu sein. Doch das 2008 erschienen The Devil. You and Me zeigte, dass beileibe nicht behauptet werden kann, die Band habe ihren Horizont überschritten. Im Vergleich zu Neon Golden wirkte es weniger verkopft und auf technische Details versessen und überzeugte durch große Abwechslung. Da setzt ganze sechs Jahre später nun Close to the glass an. Mit Signals und dem Titeltrack geht es überraschend elektronisch los, wobei Gretschmann wieder mal beweist, dass er immer frische Sounds aus dem Ärmel schüttelt. Ein komplexer, collagenhafter Track wie das famose Into another tune steht neben einem reduzierten Akustik-Gitarrenstück wie Casino. Kong ballert mit straightem Drumming im Stile von NEU! los, The fifth Quarter of the Globe scheint sich vor My Bloody Valentine zu verneigen (beides Einflüsse, die man in den letzten Jahren bei zahlreichen Bands hören konnte), Lineri ist ein neunminütiges Instrumental, das keine Sekunde langweilig wird. Bei aller Stilvielfalt wirkt das Album wie aus einem Guss, und man hat – zum wiederholten Male – den Eindruck, die bisher kompakteste Bandleistung in der Geschichte von The Notwist zu hören.

Universal Daughters - Why hast thou forsaken meEin in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliches Album hält man mit Why hast thou forsaken me von Universal Daughters in der Hand. Die Fakten (und die spontan auftauchenden Befürchtungen): Charity Album (oh weh!), auf dem eine außerhalb ihrer Heimat wohl unbekannte italienische Rockband (äh, nun gut) mit bekannten Gastmusikern (das geht ja gerne in die Hose) Coversongs (gähn) aufnimmt, die sich über sechs Jahrzehnt und zahlreiche Stile strecken (beliebig). Und dann noch dieses etwas seltsame Cover. Aber, Achtung: Dieses Album überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute! Den Kern bilden Musiker der Band Verdena, die sich unter anderem mit Alessandro »Asso« Stefana (klampft auch für Mike Patton!) und dem französischen Multiinstrumentalisten Jean Charles Charbone verstärkt haben, um mit namhaften Gastsängern mehr oder weniger obskure Tracks zwischen Country-, Blues, Psychedelic und Crooner-Pop einzuspielen. Jarvis Cocker singt First of May (Bee Gees), Alan Vega (Suicide) wirkt am schrägen I hear voices von Screamin´ Jay Hawkings mit, während Mark Arm (Mudhoney) sich den Suicide-Klassiker Cheree vorknöpft. Steve Wynn singt Psycho (Leon Payne), Gavin Friday Kanga Roo (Big Star)! Hier trifft eine außergewöhnliche Songauswahl auf eine einmalige Musikerschaar – und das Ganze wirkt keineswegs beliebig oder schnell hingerotzt -sondern absolut charmant. Dass man mit dem Kauf von Universal Daughters auch noch ein gemeinnützige Institution unterstützt, die schwerkranken Kindern hilft, ist ein weiteres gutes Argument, um hier zuzuschlagen.

DJ Kicks Das wahlberliner Trio Brandt Brauer Frick schaffte es, in den vergangenen drei Jahren, seinen ganz eigenen Kosmos zwischen Klassik, Minimal Music und Techno zu erschaffen. Der Spagat zwischen Mensch und Maschine, zwischen live eingespielter Musik und Studio-Technik macht dabei den Reiz aus. Nun haben Brand Brauer Frick einen Mix in der berüchtigten DJ Kicks Reihe abgeliefert. Zunächst brachte dafür jeder 25-30 Tracks in die Diskussion ein. Man einigte sich auf letztlich 28 Tracks, die allen gefielen, und nahm den Mix innerhalb eines Tages ausschließlich mit Vinyl im Watergate Club auf. Man wollte also auch in der DJ-Situation das menschliche Element hochhalten und verzichtete auf computergesteuerte Perfektion. Die Tracks, die zum Zeitpunkt des Mixes noch gar nicht als Vinyl erhältlich waren, ließen sie sich als Dub-Plates schneiden. Das Ergebnis sprengt den vielleicht zu erwartenden Rahmen zwischen minimalistischen und experimentellen Stücken, da der Gedanke an den Dancefloor hier deutlich mit einfließt. Neben Deep House wie Theo Pharish´s Electric Alleycat und Post-Dubstep von Machine Drum stehen auch eher klassische Techno Tracks, wie das im Mix zentral positionierte Transition von Galaxy 2 Galaxy feat. Atlantis. Für den Kopfhörer prädestinierte Broken Beat Tracks stehen gleichberechtigt neben 4/4 Knallern. Neben drei von BBF exklusiv produzierten Tracks beinhaltet dieser DJ Kicks Beitrag auch exklusive Tracks weiterer fünf Künstler, etwa das gelungene Rollercoaster von Dollkraut.

Pyrolators TraumlandDer Name Kurt Dahlke, Jahrgang 1958, dürfte nicht allzu vielen etwas sagen, aber auch sein Pseudonym Pyrolator ist vermutlich nicht im angemessenen Ausmaß geläufig. Pyrolator schrieb als Mitbegründer des Labels/ Musikverlags Ata Tak und Mitglied stilprägender legendärer Bands wie DAF und Der Plan durchaus die Geschichte der deutschen Popmusik in der Zeit nach Punk prägend mit. Nicht zu verachten sind auch seine Soloalben, von denen das 1979 erschienene Inland das bekannteste sein dürfte. Der – im Gegensatz zum Großteil seiner Mitstreiter – ausgebildete Musiker mit Jazzwurzeln schuf damit ein wegweisendes Werk aus Loops und Geräusch-Collagen. Auf Inland folgten Alben wie Ausland, Neuland oder Wunderland, Letzteres eins schrobiges Wunderding »intelligenter Gebrauchsmusik« mit gesampelten Tierstimmen. Weitgehend unbeachtet hingegen blieb Pyrolators Traumland aus dem Jahr 1987 – obwohl es bei Kritikern durchaus gut ankam. Es klang einfach nochmal anders, als das was man von einem erwartet, der »was anderes« macht. Von allen Pyrolator-Werken ist es wohl am ehesten ein Band-Album – mit Gitarren, Schlagzeug, Sax und Trompeten sowie zwei Gastsängern: Jörg Kemp sowie die New Yorkerin Susan Brackeens. Traumland wechselt zwischen sphärischen Instrumentaltracks und fein gestrickten Popsongs mit jazzigen Harmonien und Saxofonsoli. Über Postkraut wuchern hier Anklänge an englischen Pop wie Scritti Politti oder Japan. Ein sehr ungewöhnliches deutsches Popalbum, das zu entdecken auch im Jahre 2014 unbedingt lohnt.

| TOM ASAM

Titelangaben
The Notwist: Close to the glass – City Slang / Universal
Universal Daughters: Why hast thou forsaken me? – Santeria / Rough Trade
DJ Kicks: Brandt Brauer Frick – !K7 Records/ Alive
Pyrolator: Pyrolator´s Traumland: Bureau B / Indigo

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