Menschen | Don’t get him wrong…: Mark E. Smith wurde nur 60 Jahre alt
Mark E. Smith sah schrecklich blass aus in den vergangenen Jahren. Dabei wirkte er früher immer sophisticated wie ein spießiger Student. Sehr hübsch sozusagen. War aber ganz anders. Und er zeigte seine Band The Fall vor. Die soll im Lauf der Zeit mehr als vier Dutzend Bandmembers gehabt haben. Von TINA KAROLINA STAUNER
Mastermind Mark E. Smith als Frontman führte sie alle vor. Haben alle, die wollten, gesehen und gehört. Nur wer halt. Und was halt. Post-Hardcore-Punk, Indie-Rock, Avantgarde-Pop. Independent-Zeug. Das jeder hörte. Und niemand. Und ein paar namhafte Leute, die ich namentlich kenne. Mark E. Smith lebte von 1957 bis 2018.
Mark E. Smith und The Fall: proletarisches Selbstbewusstsein
Ich hatte mit der bloßen Pop- und Rock-Szene und der Indie-Szene kaum etwas zu tun. Aber doch so einiges. Mehr als so einiges. Ich hörte nie einfach nur Musik. Anfangs habe ich auch Sonic Youth nur am Rande wahrgenommen. Doch einmal beobachtete ich ein Sonic Youth-Konzert. Nein, zweimal. Und vor über 20 Jahren im Vorprogramm kriegte ich unvermutet mit, wie Kurt Cobain auf seine E-Gitarre eindrosch. In solchen Konzerten traf man jedes Mal auch die Leute, die Dinosaur Jr. hörten. Diese komischen Indie-Leute, von denen dann wiederum einige ständig von The Fall sprachen. Auf The Fall einigten sich Individualisten und ein paar mehr. Dinosaur Jr. aber wussten alle. Nun lebt Mark E. Smith nicht mehr. Es ist zu spät für ihn.
Auch Grant Hart von Hüsker Dü lebt nicht mehr. Hüsker Dü hörten eher wenige. Alle hörten Dinosaur Jr. Wirklich alle in der Indie-Szene. Einige hörten The Fall. Einige Bands hörten alle. Viele Bands hörten nur wenige. Einige nannte ich gerade. Nicht nur News, sondern auch Texte über Künstler und Musiker und deren Releases, die man als zeitlos bezeichnen könnte, werde ich nun verstärkt mit einbeziehen. Zeitlos und eigentlich noch etwas Anders. Und meine eigenen literarischen und künstlerischen Arbeiten werden im Vordergrund stehen. Ich habe nicht wie viele nur Dinosaur Jr. gehört und Go Betweens und so was. Die haben wirklich alle gehört. Ich bin Individualistin. Und The Fall habe ich eigentlich auch eher selten gehört. Es gibt tausende Bands. Wirklich abertausende Bands. Und dabei ist die Indie-Szene eher klein. In der Pop- und Rock-Szene gibt es dann noch zigtausende Bands mehr. Für jeden eine.
Mark E. Smith, Grant Hart und Kurt Cobain und einige andere aus der Indie-Szene leben nicht mehr. Seltene Krankheit, Selbstmord, Drogenprobleme. Was halt so gesagt wird. Irgendetwas. Von irgendwem.
Irgendetwas habe ich nie gesagt. Über irgendwen habe ich nie irgendwas gesagt. Ich bin Autorin und Künstlerin. Tippe Texte auch über Musik. Momentaufnahmen journalistischer Arbeit, die ich anderen mitteile. Auch über Musiker. Mark E. Smith und Grant Hart leben nicht mehr. Aber Bob Mould lebt. Greg Norton lebt, J Mascis lebt. Pete Greenway lebt. Dave Spurr lebt. Elena Poulou lebt. Keiron Melling lebt. Thurston Moor lebt. Lee Ranaldo lebt. Kim Gordon lebt. Für die ist es noch nicht zu spät, ihre Platten zu featuren.
Über Sonic Youth und Bob Mould gibt es aus dem Jahr 2008 Besprechungen von mir – Es war einmal die ›Daydream Nation‹ …
Bob Mould’s ›District Line‹
Bob Mould, ehemals Hüsker Dü und Sugar, ist auch, dies auf seine sehr gitarrenlastig rockige Weise, in die derzeitige neue Leichtigkeit im Songwriting geraten. ›District Line‹ sei seine Art gewesen »etwas in ein Tagebuch zu schreiben«, sagt er. Ja, Notizen wie nebenbei. Zwar manches mitteilenswert gelungen, aber so manches auch unspektakulär belanglos. Er spricht von den vergangenen Jahren als »sehr positive Erfahrung«. Umgesetzt dann also zu etwas mit eingängigem Pop-Appeal, wenngleich reflektiert: »…the slow romantic decay….« (›Shelter Me‹), durch Amy Domingues‘ Cellomelodien in einigen Songs verfeinert und kantig durch die Drums von Brendan Canty von Fugazi.
Sonic Youth beim Tollwood Festival in München im Juni 2007: Die ›Daydream Nation‹-LP von 1988 live gespielt.
Ich frage mich jedenfalls zuallererst: warum das? Um zu zeigen, dass diese Songs nichts an Kraft und Wichtigkeit verloren haben? Oder um bewusst das Gegenteil zu demonstrieren, nämlich dass die Zeit vergangen ist …?
Ich gehe am frühen Abend auf das Festivalgelände zu. Sonic Youth spielen längst. Als das weiße, hell leuchtende Festivalzelt in der Ferne in Sichtweite ist, ist auch der Sound schon so deutlich, dass die Songs gut zu hören sind. Das Völkchen der Tandler hat sich mit kleinen Zelten und Buden um das große Musikzelt angesiedelt. Mit lauter hübschem Kunsthandwerk, Kleinkram, Tand. Der ganze Platz ist beleuchtet mit Kerzen und Lampions. Bunte Lichter überall. Und Drinks und Gesprächsfetzen. Ein Ort einfach für gute Laune und gemütliche Stimmung am Rande eines grauen, durchschnittlichen Stadtalltags. Ein bisschen wie eine kleine Märchenwelt für sich, das Musikzelt ein strahlender Märchenpalast mit Sonic Youth als Märchenfiguren. Hatten die Gefühle und Gedanken der ›Daydream Nation‹-Zeit realen Wert?
Zwar flackerndes Kerzenlicht in der ganzen Zeltstadt, doch die Gerhard-Richter-Kerze des Plattencovers ist nur noch auf dem Bild angezündet. Das Licht der damaligen Zeit brennt nicht mehr.
Ich höre und sehe etwas Artifizielles, dem es an echter, innerer Spannung fehlt, wenn ich mich heute mit der Show von ›Daydream Nation‹ originalgetreu auf der Bühne nachgespielt konfrontiere. Das zutiefst existenzielle Element, das ›Daydream Nation‹ einmal hatte, ist vorbei. Vielleicht sogar vergessen? Ich weiß, was aus dem Leben so manchen Sonic Youth Fans dieser Zeit wurde … bei der Zugabe kommt man zu aktuellem Songmaterial, das Feeling verändert sich und so wird es auch interessant Sonic Youth zu hören … und ich bin gedanklich beim Thema Musik und Relevanz.
Habe ich gerade eigentlich viel über Musik geschrieben? Mark E. Smith liest Fußballergebnisse:
Titelangaben
Sonic Youth: ›Daydream Nation‹
(Enigma Records, 2008)
Bob Mould: ›District Line‹
(Beggars, 2008)
The Fall: ›Singles 1978-2016‹
(CD Deluxe Boxset, Cherry Red/Rough Trade, 2017)
›Von The Fall bis Sonic Youth und zurück‹/ ›Don’t get him wrong: Mark E. Smith wurde nur 60 Jahre alt‹ (2018)
aus dem Text-Projekt ›4 Decades‹
(Short Stories und Artikel)
86. Geburtstag von Gerhard Richter am 09.02.18
Frühe Bilder
Museum Wiesbaden
16.03.18 – 17.06.18
und
Neue Bilder
Ausst.Kat. Museum Ludwig, Köln:
(Walther König Verlag, 2017)