Comic | Pénélope Bagieu: Unerschrocken
Mit ihrem Episodencomic ›Unerschrocken‹ zeichnet Pénélope Bagieu 15 bemerkenswerte Frauenbiografien nach – und findet dafür luftig-leichte Bilder. Und BIRTE FÖRSTER? Findet den Comic aufgrund seines Humors und seiner Informationsdichte gut.
Ob Politik, Kunst oder Naturwissenschaften – in der Geschichte waren es vor allem Männer, die sich kämpferisch und mit neuen revolutionären Ideen hervortaten. Von erfolgreichen Frauen ist noch heute weniger die Rede. Was nicht bedeutet, dass es sie nicht gab. Zahlreiche Frauen leisteten in Wirklichkeit Großes, mussten sich dazu oftmals gegenüber Männern behaupten, um ihre Ziele zu erreichen.
In ihrer Graphic Novel ›Unerschrocken‹ holt Pénélope Bagieu genau diese Frauen aus der Vergessenheit. In fünfzehn einzelnen Porträts von oftmals unbekannten Heldinnen ihrer jeweiligen Zeit beweist die französische Comiczeichnerin, dass das vermeintlich schwache Geschlecht von Tatendrang, Entdeckergeist und schöpferischer Kraft durchdrungen ist. Tollkühn und mutig kämpften sie für ihre Ideale und setzten sich über vorherrschende Traditionen und Moralvorstellungen hinweg, ließen sich von Obrigkeiten nicht von ihrem Weg abbringen.
Pénélope Bagieu, die mit ihrem Comicblog ›Ma vie est tout à fait fascinante‹ berühmt wurde, porträtiert in ›Unerschrocken‹ Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten, Berufen und Kontinenten, von der Antike bis heute. Dabei wird sie aber nicht zur Mahnenden, die uns einbläut, man möge den weiblichen Erfolgen mehr Beachtung schenken. Auf wenigen Seiten verbindet Bagieu Informatives über die einzelnen Lebenswege im Kontext von Land und Zeit mit humorvollen Einfällen und Anekdoten, die persönliche Momente schaffen.
Keine Moralkeule
Vor allem bringt das viel Leichtigkeit in die Lektüre. So auch in dem Abschnitt über Annette Kellerman aus Australien. Die Sportlerin schwamm bis an ihr Lebensende jeden Tag. Sie verfasste Bücher über ihre liebste Freizeitbeschäftigung, verkleidete sich für Schwimmshows als Meerjungfrau und vor allem revolutionierte sie die Bademode. Aus einem für das Wasser völlig unpraktischen und unförmigen Ganzkörperbadeanzug für Frauen schuf sie eine knappe, eng anliegende Hülle, die die Beweglichkeit im Wasser enorm steigerte, sich aber weniger mit der damaligen Prüderie vereinbaren ließ.
Vor der königlichen Familie in London präsentiert sie stolz ihre Erfindung, die ihren straffen Körper zur Geltung bringt. Die Freude darüber bleibt ungeteilt: Die weit aufgerissenen Münder der Royals lassen pures Entsetzen erkennen. Kein Grund, ihr Werk nicht fortzuführen: Nach und nach erleichterte Annette Kellermann ihre Schöpfung um immer mehr Stoffanteile, bis daraus schließlich der Badeanzug wurde, wie wir ihn heute kennen. Kellermans Werk resümiert Bagieu als Befreiung des weiblichen Körpers.
Anrührend wiederum ist die Geschichte der Niederländerin Josephina van Gorkum, die sich über die strikte Trennung von Protestanten und Katholiken im 19. Jahrhundert hinwegsetzt. Aufgewachsen bei streng katholischen Eltern, heiratet sie später einen Protestanten – eine zu damaligen Zeiten undenkbare Verbindung. Nach dem Tod ihres Ehemanns Jacob wird es ihr verwehrt, im selben Grab wie er ihre letzte Ruhe zu finden. Für beide ist es vorgesehen, in ihrer jeweiligen Familiengruft auf der protestantischen oder katholischen Seite des Friedhofs beerdigt zu werden. Aber Josephina van Gorkum hat einen besonderen Einfall. Noch vor ihrem Tod setzt sie durch, dass eine Konstruktion zweier Hände, die sich halten, ihre Gräber über die Friedhofsmauer hinweg miteinander verbinden.
Bagieus Zeichnungen sind luftig, leicht und pointiert. Am Ende jedes Kapitels resümiert sie die wichtigsten Momente eines Lebens in einem atmosphärisch dichten, doppelseitigen Bild. Sie erzählt von der liberianischen Sozialarbeiterin Leymah Gbowee, die für ihren Kampf für die Frauenrechte mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, und von Agnodike, einer Gynäkologin aus Athen, die in der Antike lebte und wegen illegaler Berufsausübung zum Tod verurteilt wurde – weil sie erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen war. Eine Horde wütender Patientinnen hielt sie jedoch von diesem Schicksal ab. Schließlich wurde sogar das Berufsverbot für weibliche Geburtshelferinnen aufgehoben.
Fragen von aktuellem Belang
In ihren kurzen Passagen resümiert Bagieu nicht nur einzelne Lebensgeschichten, sondern zeigt zugleich, mit welchen Hindernissen und Freiheitsbeschränkungen Frauen sich in der Vergangenheit konfrontiert sahen. Und sie wirft Fragen auf, die in der heutigen Zeit noch aktuell sind.
Im letzten Kapitel der Graphic Novel schildert die Comiczeichnerin – möglicherweise ganz bewusst ans Ende gesetzt – die Geschichte von Wu Zetian, in den Jahren 690 bis 705 chinesische Kaiserin. Von chinesischen Historikern sei vor allem auf ihre Geheimpolizei und ihre Neigung, sich ihrer Feinde zu entledigen, hingewiesen worden, heißt es im Comic. »Eine wunderliche Perspektive«, kommentiert Bagieu diese Haltung, »wenn man bedenkt, dass ihre Kurzdynastie in vielerlei Hinsicht eine der prosperierendsten Chinas war«. Schließlich gab es unter Wu Zetian Frieden, die Künste entwickelten sich, der soziale Fortschritt war bemerkenswert und sie stärkte die Stellung der Frau in vielen Bereichen. Dennoch: Als negativ wurde in erster Linie hervorgehoben, dass sie »furchterregend«, »strebsam« und »nicht zu Kompromissen bereit war«. Charakterzüge, die bei männlichen Kaisern Anerkennung fanden, bemerkt Bagieu und lässt ihre Kaiserin am Ende sagen: »aber offensichtlich gelten für eine Kaiserin andere Maßstäbe«. Und trifft das nicht auch noch auf die Frauen von heute zu?
| BIRTE FÖRSTER
Titelangaben
Pénélope Bagieu: Unerschrocken
Aus dem Französischen von Heike Drescher und Claudia Sandberg
Berlin: Reprodukt 2017
144 Seiten. 24 Euro
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