Comic | Y.Sente, A.Juillard: Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 18: Das Gelübde der fünf Lords / J.Dufaux, A.Aubin & É.Schréder: Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 19: Die Septimus-Welle / D.Convard, A.Juillard: Blake und Mortimer: Das letzte Kapitel
Mittlerweile gibt es mehr Abenteuer von Blake und Mortimer aus der Feder anderer Zeichner und Autoren, als aus der von Edgar Pierre Jacobs. Doch wie in kaum einer anderen Comicreihe, die von unterschiedlichen Künstlern fortgeführt wurde, ist der Atem ihres Schöpfers noch auf jeder Seite zu spüren. BORIS KUNZ über die Mischung aus Nostalgie und Abenteuersehnsucht beim Lesen der neuesten Abenteuer von Blake und Mortimer.
Beinahe jedes einzelne von E.P. Jacobs gestaltete Comicalbum ist legendär und jedes von ihnen weist unterschiedliche Stärken auf. Durch die Wahl seiner Titelhelden konnte Jacobs zwei verschiedene Schwerpunkte setzen: Francis Blake wird in seiner Eigenschaft als Captain des MI5 in allerhand Intrigen und Verschwörungen verstrickt, die von Spionagefällen bis hin zu sensationellen Einbrüchen reichen; Professor Philip Mortimer, der neugierige und comictypisch interdisziplinär veranlagte Wissenschaftler, brachte meistens das phantastische Element in die Geschichten ein, in dem er sich einerseits mit alter Mythologie, andererseits mit allerhand futuristischen Technologien auseinandersetze.
Während Jacobs in einigen Alben eher das phantastische Element ausspielte und seine beiden Helden das versunkene Atlantis entdecken ließ oder gegen Androiden in den Kampf schickte, gelangen ihm in den eher bodenständigeren Thrillern die fast noch spannenderen Sequenzen. Man denke nur an die Verfolgungsjagden in ›SOS Meteore‹ sowie an die in aller Ausführlichkeit erzählte Sequenz, in der Mortimer im gleichen Album den Hergang einer nächtlichen Irrfahrt zu rekonstruieren versucht. Der Naturalismus und die erzählerische Ausführlichkeit seines langen Spaziergangs waren fast noch beeindruckender als der Kampf um Atlantis.
Als mit ›Der Fall Francis Blake‹ (1997) und ›Die Voronov-Intrige‹ (2000) die Reihe fortgeführt wurde, war es zunächst eine kleine Sensation, neue Abenteuer der legendären Helden in den Händen zu halten. Es war erstaunlich, wie genau Van Hamme, Benoît, Sente und Juillard den Tonfall der alten Alben getroffen hatten. Die Geschichten, die sie zu erzählen hatten, waren inhaltlich jedoch weniger sensationell und konzentrierten sich im wesentlichen auf das Thriller- und Spionageelement. Zugegeben, so ernst wie in diesen Storys wurde Blakes Spionagetätigkeit von E.P. Jacobs nie genommen. Und das Spiel der Nachgeborenen mit der Ästhetik der 50er Jahre, der Paranoia des Kalten Krieges und des Atomzeitalters verschaffte diesen Alben einen ganz eigenen Flair. Doch so legendäre Thrillersequenzen, wie Jacobs sie geschaffen hat, sind den Nachfolgern mit ihrer Konzentration auf einen möglichst wendungsreichen Plot voller Spionagebluffs nie gelungen.
Dann – endlich! – kam das »Mortimer-Element« wieder stärker zum Tragen: In ›Unheimliche Begegnung‹, dem Zweiteiler ›Die Sarkophage des 6. Kontinents‹ und ›Das Heiligtum von Gondwana‹ trauten die Autoren sich endlich an das heran, was die Comicreihe so legendär gemacht hat: Eigene, originelle Science-Fiction Elemente, wie etwa das Eis-U-Boot Subclacior, körperloses Reisen auf Elektrowellen, Begegnungen mit außerirdischen oder lange verschollenen Zivilisationen oder Wesen aus der Zukunft. Keine leichte Aufgabe für die Autoren, einen Spagat zwischen futuristisch und nostalgisch hinzubekommen. Denn nachdem die Serie ja weiterhin den 50er bis 60er Jahren angesiedelt ist, müssen die »modernen« Technologien in dieser Zeit glaubhaft sein und dürfen dennoch ihren Science-Fiction Flair nicht verlieren. Den Zeichnern fällt dann die etwas leichtere Aufgabe zu, die Geschichten in einem Stil umzusetzen, der dem Original des Meisters möglichst nahekommt – Innovation wird hier gar nicht verlangt.
Mit diesen Alben gewann die Serie einen neuen Drive und wurde dabei um zwei wesentliche Elemente bereichert: Zum einen vervollständigen sich langsam die Biographien unserer Helden, wir lernen in langen Rückblenden das Elternhaus und die Jugendsünden von Blake und Mortimer kennen. Zum anderen halten ganz schlicht und ergreifend weibliche Figuren in das Universum Einzug, die Jacobs beinahe völlig ausgespart hatte, und die inzwischen zum Standardrepertoire der Serie gehören, erstaunlicherweise gerne als Gegenspieler. Eine wirkliche, greifbare Liebesgeschichte, die über platonische Verehrung oder ein obligatorisches Charmantfinden gut aussehender Frauen hinausgeht, hat man sich allerdings noch nicht so recht getraut. Die seltsame Männerfreundschaft der beiden, die sich zwar siezen aber gemeinsam ein Apartment bewohnen, bleibt daher noch immer das größte und heikelste aller Geheimnisse dieser Comicreihe.
Die beiden jüngsten Bände der Reihe sowie ein bei Salleck erschienener Sonderband stehen geradezu exemplarisch für die Stärken und Schwächen der modernen ›Blake & Mortimer‹ Interpretationen:
Ein Fall für Francis Blake: Das Krimi-Element
In ›Das Gelübde der fünf Lords‹ versucht sich das sonst eher auf die fantastischen Geschichten spezialisierte Duo Yves Sente (der ebenfalls die neuen Bände der Reihe ›XII‹ schreibt) und André Juillard (als Zeichner vor allem berühmt für ›Die sieben Leben des Falken‹) an einem Krimiplot, der in seinem Grundaufbau stark an Romane von Agatha Christie erinnert: Ein geheimnisvoll kostümierter Einbrecher/Mörder entwendet Stück für Stück vergleichsweise wertlose historische Gegenstände aus einem Museum, von denen jedes von einem britischen Lord gestiftet worden ist. Diese Lords finden nun einer nach dem anderen einen gewaltsamen Tod. Dass die Lords seit ihrer Studienzeit ein Geheimnis hüten, und dass der Mörder hinter den Puzzlestücken dieses Geheimnisses her ist, wird einem als Leser relativ schnell klar. Deswegen ist es ein wenig ärgerlich, dass Sentes Geschichte doch recht lange darauf herumreitet, bis Blake und Mortimer diese Zusammenhänge endlich auch kapieren. Und selbst dann stellt sich der MI5 bei seinen Schutzmaßnahmen für die mutmaßlichen nächsten Opfer ärgerlich dumm an, sodass man als Leser manchmal nicht nur Blake und Mortimer sondern auch dem Autoren in den Hintern treten möchte, er möge doch nun endlich das sensationelle, von den Lords gehütetes Geheimnis enthüllen, denn das ist über weite Strecken das einzig wirklich spannende Rätsel der ganzen Story. Denn wer der Mörder ist, kann man sich dank nicht gerade sehr subtil gestreuter Hinweise auch schon selbst zusammenreimen.
Anzurechnen ist dem Autor, dass er die Geheimdienstarbeit von Blake insofern noch ernster nimmt als bisher, als dass er sie als ein schmutziges, wenig heldenhaftes Handwerk darstellt, in dem sich Blake auch einmal ordentlich die Finger schmutzig machen muss. Originell ist auch die Verknüpfung der Handlung mit historischen Personen (in diesem Fall Lawrence von Arabien), was sich auf der anderen Seite aber auch immer ein Bisschen damit beißt, dass die Reihe eigentlich in einem Paralleluniversum spielt in dem es einen Dritten Weltkrieg gegen Kaiser Basam-Damdu gegeben hat. Juillard bemüht sich, mit dem maskierten Einbrecher im nächtlichen Museum oder mit der gekonnten Inszenierung von winterlichem Wetter dem Album auch visuell spannende Momente und ikonenhafte Szenen zu verleihen.
Allerdings hat man von ihm in anderen Comicreihen schon stärkere Bilder gesehen – was vielleicht auch an seinem Versuch liegt, die simplere Klarheit von Jacobs zu imitieren. Das Ergebnis ist zwar völlig solide, erreicht aber als Zwischending zwischen einem echten Jacobs und einem »echten« Juillard weder die Intensität des einen noch des anderen. ›Das Gelübde der Fünf Lords‹ ist unterhaltsame Lektüre für Nostalgiker, doch leider muss man konstatieren, dass die Reihe schon wesentlich spannendere Alben gesehen hat.
Ein Fall für Philipp Mortimer: Das phantastische Element
Zu diesen gehört Band 19, ›Die Septimus-Welle‹, in dem zum ersten Mal der umtriebige Jean Dufaux (›Giacomo C.‹, ›Jessica Blandy‹ uvm.) als Autor tätig wird, und keine Angst davor hat, mehr oder weniger eine direkte Fortsetzung von ›Das gelbe M‹ zu erzählen. Sein Plot ist gespickt mit eigenen Einfällen und geprägt von dem Mut, auch nah am Trash zu erzählen, und erinnert auf angenehme Weise die alten ›Dr. Mabuse‹-Filme: Neben dem unausweichlichen Erzschurken Olrik (der in diesem Album sein Trauma aus dem gelbem M verarbeiten muss) taucht auch Prof. Septimus nach seinem Tod noch einmal auf.
Eine Gruppe von Verehrern des Buches über die Megawelle versucht, die Experimente von Septimus fortzusetzen – ganz ähnlich wie auch Mortimer selbst der eigentümlichen Strahlung auf den Grund gehen möchte und heimlich eigene Forschungen anstellt. Während die Verschwörer sich auf die Suche nach Olrik machen, um an ihm die Arbeit von Septimus fortführen zu können, werden Blake und Mortimer mit allerhand rätselhaften Phänomenen konfrontiert: Eine Reihe von eigenartigen Amokläufern, die alle mit einer Huldigung auf Septimus auf den Lippen einen eindrucksvollen Strahlentod sterben, eine ganze Kompanie schwer kriegstraumatisierter Soldaten in einer Nervenheilanstalt, eine nach und nach wachsende Armee von Septimus-Klonen die durch Londons Straßen geistert – all das scheint irgendwie mit den Experimenten an der Megawelle zu tun zu haben. Und tief unter der Kanalisation von London warten noch ganz andere Überraschungen …
Dufaux scheut nicht davor zurück, sich in seiner Geschichte ständig und in aller Deutlichkeit auf Originale von Jacobs zurückzubeziehen – so kann Olrik beispielsweise bei ehemaligen Anhängern von Basam-Damdu untertauchen – doch er weiß mit diesen Rückbezügen viel anzufangen, sodass seine Hommage an Jacobs eines der unterhaltsamsten ›Blake und Mortimer‹-Alben der letzten Jahre geworden ist. Anstatt bewährte Erzählmuster auf Blake und Mortimer überzustülpen (wie zuletzt beim verkappten ›Indiana Jones‹-Aufguss ›Der Fluch der Dreißig Silberlinge‹) greift Dufaux lieber tief in die Effektkiste und lässt sich dabei von Jacobs Vorlagen ungeniert inspirieren. Auch Antoine Aubin und Étienne Schréder, die auch schon ›Die Pforte des Orpheus‹ illustriert hatten, sind mit ihrem kräftigen, sicheren Strich näher am Original als Juillard und wirken dabei gleichzeitig sehr souverän. So wirkt das ganze Album, als hätten ein paar Fans von E.P. Jacobs sehr viel Freude dabei gehabt, in seine Welt einzutauchen und hemmungslos darin herumzutollen.
Ein Fall für Blake & Mortimer: Das Element der Freundschaft
Noch experimentierfreudiger erweisen sich Autor Didier Convard (›Das geheime Dreieck‹) und André Juillard dann besonders auf der formalen Ebene in dem querformatigen Büchlein ›Das Letzte Kapitel‹: Der enthält keinen Comic sondern ein Briefwechsel zwischen Francis Blake und Philip Mortimer, beide zu diesem Zeitpunkt schon alte Herren, deren Abenteuer in Ägypten (Der Zweiteiler ›Das Geheimnis der großen Pyramide‹) inzwischen gute 40 Jahre her ist. Die Briefe werden als Fake- »Originale« abgedruckt und die Seiten dazwischen von Juillard illustriert.
Seine Bilder zeigen Rückblenden aus ›Die Kammer des Horus‹, sowie die gealterten Versionen von Blake und Mortimer, mit Falten, schlohweißen Haaren und Bauchansatz – aber doch immer noch gesünder und lebendiger, als es zu einem Text passen will, in dem sich die beiden bereits selbst als »museale Greise« bezeichnen. Die Bilder sind direktkoloriert und runder und harmonischer als Juillards direkte Jacobs-Imitationen.
Inhaltlich geht es um die Kammer des Horus, den verborgenen Ort im Inneren der großen Pyramide, in dessen Geheimnis Blake und Mortimer eingeweiht wurden, wobei ihnen die Erinnerung daran jedoch auf magisch Weise wieder abhandengekommen war. Jetzt erhalten sie Botschaften aus dem Totenreich, die sie dazu auffordern, sich wieder zu erinnern und diese letzte weiße Stelle auf der Landkarte ihrer Abenteuer endlich auszufüllen. Wer angesichts dieses Inhalts und des Titels einen Abgesang erwartet, der vom Ableben der beiden Helden erzählt, der erwartet etwas zu viel. Natürlich spielt der Band auch darauf an, dass Blake und Mortimer nicht mehr weit davon entfernt sind, auf Charons Nachen überzusetzen, doch so weit geht die Geschichte dann doch nicht – genauso wie auch die »tiefe Zuneigung« der beiden Figuren nur ganz am Rande thematisiert wird. Der französische Originaltitel ›L´aventure immobile‹ (etwa: Das unbewegte Abenteuer) gibt da schon deutlichere Hinweise darauf, was der inhaltliche Clou der ganzen Story ist, und warum es auch Sinn macht, dieses in der speziellen Form des Briefwechsels zu erzählen.
Letztendlich ist der Band nicht mehr als eine nette Fingerübung von Convard, von Juillard nett illustriert, eine von zahlreichen Hommagen an einen beliebten Comicklassiker, aber keineswegs ein unverzichtbarer Bestandteil des ›Blake und Mortimer‹ Universums und erst recht kein Experiment, das es wagen würde, Dinge zu erzählen, die man in einem regulären ›Blake und Mortimer‹ Comicalbum nicht hätte erzählen können. Zwar wird versucht, die sonst immer recht unter dem Teppich gehaltene, emotionale Seite der Reihe stärker in den Vordergrund zu rücken und zu erkunden, was die Freundschaft der notorischen Junggesellen Blake und Mortimer denn nun eigentlich ausmacht, aber viel zu entdecken scheint es da nicht zu geben: Die beiden sind eben gute Freunde, die sich im Alter deshalb aus den Augen verloren haben, weil sie zu alt wurden, um zusammen Abenteuer zu bestehen, und weil Mortimer aufs Land gezogen ist. Mehr ist da nicht. Und vielleicht ist das ja auch gut so.
| BORIS KUNZ
Titelangaben
Yves Sente (Szenario), André Juillard (Zeichnungen): Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 18 -Das Gelübde der fünf Lords (Le Serment des Cinq Lords)
Aus dem Französischen von Harald Sachse
Hamburg: Carlsen Verlag 2013
64 Seiten, 12 €
Jean Dufaux (Szenario), Antoine Aubin & Étienne Schréder (Zeichnungen): Die Abenteuer von Blake und Mortimer Band 19: Die Septimus-Welle (L´Onde Septimus)
Aus dem Französischen von Harald Sachse
Hamburg: Carlsen Verlag 2014
68 Seiten, 12 Euro
Didier Convard (Szenario), André Juillard (Zeichnungen): Blake und Mortimer: Das letzte Kapitel (L´aventure immobile)
Aus dem Französischen von Harald Sachse
Wattenheim: Salleck Publications, Eckart Schott Verlag 2014
48 Seiten, 15 Euro