Comic | Milo Manara: Werkausgabe Bd. 16 / Caravaggio Bd. 1
Milo Manara ist einer der Grandseigneurs des erotischen Comics. Als solcher habe er jedoch nicht viel zu erzählen, sagen so manche. Stimmt das? CHRISTIAN NEUBERT hat Blicke in aktuelle Bände aus dem Hause ›Panini‹ geworfen, die Arbeiten von ihm außerhalb des Erotikfachs zeigen.
Neben Guido Crepax und Paolo Serpieri ist der italienische Künstler Milo Manara der Grandseigneur des erotischen Comics. Seit Ende der Sechziger realisiert er Bilderzählungen, sein internationaler Ruhm gründet zuallererst in frivolen, mehr oder weniger pornografischen Veröffentlichungen. Daneben ist er vor allem für seine Arbeiten mit Federico Fellini, Pedro Almodóvar oder Hugo Pratt bekannt. Diese mündeten in einigen seiner stärksten Werke, bargen umgekehrt aber auch Anlass für Kritik: Angesichts der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Szenaristen wie den genannten wurde so manche Stimme laut, seine eigene Erzählkunst stünde seiner Fertigkeit im Malen und Zeichnen wesentlich nach. Die Geschichten aus eigener Feder seien deutlich weniger rund als die Kurven seiner weiblichen Figuren.
Sicher stimmt dies zumindest zum Teil. Ebenso sicher ist es auch den Produktionsbedingungen erotischer Comicliteratur geschuldet: War sie einst als leichte, aber keineswegs seichte Lesekost beliebt, musste sie plötzlich, ab Ende der Siebziger, mit dem Medium Video konkurrieren. Klar ist das lange her, und Manara war in den letzten Jahrzehnten nicht gerade untätig. Dies jedoch mündet in einem weiteren Punkt, der hinsichtlich des Vorwurfs eine Rolle spielt: Sein Oeuvre ist alles andere überschaubar. Zudem wilderte er in diversen Genres. Neben seiner Tätigkeit als Erotikinterpret ist Manara ebenso sehr im Western, im Abenteuer, in der Science Fiction zuhause. Beim Panini Verlag, der vor neun Jahren einen Exklusiv-Vertrag mit Manara über dessen Opus abschloss, ist inzwischen der 16. Band der Werkausgabe erschienen.
Werkausgabe Bd. 16
Vielleicht genügt ein Blick in eben diesen Band, um Manara auch als Geschichtenerzähler wertzuschätzen. Vordergründige Erotik gibt es hier keine, dafür drei mit wenig nackter Haut auskommende Erzählungen, nämlich ›Mann Aus Papier‹, ›Der Schneemensch‹ und ›Flucht Von Piranesi‹. Während die Zweitgenannte nach einem Skript von Alfredo Castelli entstand, hat Manara die anderen beiden alleine inszeniert.
›Mann Aus Papier‹ versetzt zuerst in ein Western-Szenario, entpuppt sich aber schnell als eigentümliche Liebesgeschichte mit divergierenden Ingredienzien, die man in diesem Mix wohl nur als Comic findet. Die albumlange Erzählung bringt Abenteuerelemente, klamaukige Momente, einen Hauch Erotik und durchaus auch eine gehörige Portion Drama unter einen Cowboyhut. Die Prärie, festgehalten in bunten, doch wenig aufdringlichen Aquarellfarben, ist hier zwar weit, aber dennoch ein Ort mehrerer schicksalhafter Zusammentreffen merkwürdiger Gestalten. Was zunächst etwas konstruiert klingt, mutet bald wie ein Monty Python-Märchen an, das mit Bud Spencer und Terrence Hill besetzt auf El Topo trifft. Alberne Momente sind entsprechend unvermeidlich, doch insgesamt bezeugt die Story Manaras Vermögen, Geschichten nicht nur bebildern, sondern auch selbst erzählen zu können.
›Der Schneemensch‹ wiederum wandelt auf den steinigen Pfaden des Himalayas. Dem abenteuerlichen Szenario wird alsbald ein esoterischer Moment und schließlich einer des Horrors in Lovecraft-Manier untergeschoben. Das verspricht nervenkitzeligen Lesespaß, da man bis zum Finale nur erahnen kann, auf welche schaurigen Gipfel einen die Lesereise tragen wird.
›Flucht Von Piranesi‹ schließlich ist eine Science-Fiction-Story, die mit Band 16 der Werkausgabe erstmals in Deutschland veröffentlicht wurde. Angesiedelt in einer dystopischen Endzeitwelt geht es um eine junge Frau, die zwar auf der Flucht, aber insofern frei lebt, als dass an ihr noch keine genmanipulative Gleichschaltung vorgenommen wurde. Das ist schön erzählte Comickunst und ein wunderbares Beispiel dafür, wie Manara es gelingt, ein gewisses Maß an nackter Haut in seine Story unterzubringen, ohne ihr damit zu schaden. Die Kolorierung von Nicola Righi steht dem retrofuturistischen Szenario dabei sehr gut und unterstreicht dessen sozio-esoterischen Anteil.
Caravaggio Bd.1
Ein weiteres Beispiel für Manaras Fabulierkunst findet sich seit Kurzem ebenfalls bei Panini, allerdings außerhalb der retrospektiven Werkausgabe: Der Italiener verlegt bei dem Verlag auch seinen neuesten Streich in deutscher Ausgabe, nämlich ›Caravaggio‹, ein Biopic in Comicform. Der erste von zwei Bänden erschien letztes Jahr – und liest sich wie ein Künstlerporträt im Stil einer Mantel-und Degen-Story. Manara empfindet – der Titel legt es nahe – auf sehr freie Weise die Geschichte von Michelangelo Merisi Caravaggio nach, der als frühbarocker Maler Epoche machte.
Manaras Caravaggio ist ein draufgängerischer, gerechtigkeitsliebender Rebell mit besonderem Schlag fürs weibliche Geschlecht. Der dichtgewobene erste Band ist rasant erzählt und besticht durch opulente Dekors, wunderbar koloriert übrigens von ihm selbst und Simona Manara. Wer nach einer Geschichte mit erotischer Ausrichtung sucht, wird allerdings auch hier besser woanders fündig – obwohl der Band natürlich immer wieder unterschiedliche Ausführungen seines Prototyps weiblicher Wunschvorstellungen präsentiert bzw. diese ihren Hintern.
Der Band legt wenig Wert auf eine tatsächliche historische Nachzeichnung. Stattdessen setzt er auf flotte Konsumierbarkeit und eine Hauptfigur, die auch für Action geradestehen kann und vor den düster-morbiden Rom-Darstellungen und den kunstgeschichtlichen Reminiszenzen eine gute Figur macht. Allein der Untertitel spricht in dieser Hinsicht Bände, er lautet: ›Mit Pinsel Und Schwert‹. In die Tiefe geht das kaum, doch als einfache Abenteuergeschichte gelesen fesselt das Comicalbum sehr wohl. Man darf nur keine tiefschürfende, der Wahrheit verpflichtete Biographie erwarten: Die (kunst-) historische Genauigkeit und Verortung geht kaum über die in die Panels eingeflochtenen Caravaggio-Gemälde hinaus.
Wer nach Lektüre der beiden Panini-Bände feststellt, Manaras Fertigkeiten im Malen und Zeichnen übertreffen sein narratives Vermögen, hat definitiv recht. Dass er als Erzähler dennoch gute Ergebnisse hervorzubringen weiß, belegen diese ebenso. Eventuell ist seine wahre Meisterschaft jedoch tatsächlich der erotische Autorencomic. Schön, dass das Medium diese nach wie vor als Kunst anpreisen kann, anstatt gleich damit in die Schmuddelecke gedrängt zu werden.
Titelangaben
Milo Manara: Werkausgabe Bd. 16
Aus dem Italienischen von Michael Bregel
Stuttgart: Panini 2016
172 Seiten. 39,99 Euro
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Milo Manara: Caravaggio Bd. 1. Mit Pinsel Und Schwert
Aus dem Italienischen von Michael Bregel
Stuttgart: Panini 2015
64 Seiten. 16,99 Euro
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