Der alltägliche Kampf

Comic | Manu Larcenet: Die Straße

Manu Larcenet adaptiert Cormack McCarthys Romanerfolg ›Die Straße‹ als Comic. In deutscher Übersetzung erschien er jüngst bei Reprodukt. Er ist unfassbar desillusionierend – und wahnsinnig stark. Solange man es aushält, die Endzeit auch ohne Held und Abenteuer zu konsumieren. Von CHRISTIAN NEUBERT.

Zwei zerlumpte Gestalten in einer felsigen Landschaft neben einem umgetürzten Auto»Wir sind die Guten«, erklärt der Vater seinem zehnjährigen Sohn. Was das konkret bedeutet, was es heißt, »gut zu sein«, weiß der Junge schon. Er bekommt es immer und immer wieder erklärt: Keine Menschen zu essen. Das nämlich ist Usus geworden, aus schlichter Notwendigkeit. Denn die Welt ist am Abgrund, Essen Mangelware. »Die Hölle, das sind die anderen«, Sartres Schlüsselsatz, bekommt da eine ganz neue Tragweite. Denn hier ist allein die Umwelt schon die Hölle. Die anderen machen sie nur umso schlimmer.
Das Warum hinter dem Wie der Welt, der Grund für die fatalen Umstände, die die Zivilisation haben untergehen lassen, sind unbekannt. Sie werden nicht weiter erläutert. Nur das »Wohin« ist klar umrissen: Nach Süden soll es gehen, ans Meer. Dahin wo es wärmer ist und eventuell ein Leben möglich ist, das über bloßes Überleben hinausgeht. Auf der Straße, mit den wenigen Habseligkeiten in einem alten Einkaufswagen.

›Die Straße‹ ist dann auch der Titel dieses postapokalyptischen Comics. Er ist Manu Larcenets Adaption des gleichnamigen Romans, der im Original als ›The Road‹ erschien. Und geht somit von vornherein als Schwergewicht ins Rennen.

Trübe Aussichten

Denn ›The Road‹ ist ein vielfach – unter anderem mit dem Pulitzer-Preis – prämierter Roman des im letzten Jahr verstorbenen Corman McCarthy, also dem Star der US-Literaturszene der letzten Jahrzehnte. Manu Larcenet wiederum ist ein Titan des zeitgenössischen Comics. Als Zeichner und Szenarist in Personalunion verwirklicht er gefeierte Bildgeschichten wie ›Der alltägliche Kampf‹ und ›Blast‹ – umwerfende Werke, die aus dem Gros der Comicveröffentlichungen herausragen. Wie nun eben auch ›Die Straße‹.

Nach ›Brodecks Bericht‹ ist ›Die Straße‹ Larcenets zweite Romanadaption. Er überführt die triste Ausweglosigkeit, den desillusionierenden, schonungslosen Realismus von McCarthys Erzählung in Bilder und Dialoge, die unmittelbar an die Nieren gehen. Das Schwarz seiner Tuschestriche schafft in Lumpen gehüllte, ausgemergelte Körper, mit hängenden Schultern und leeren Augen, und schickt sie in eine zerstörte Welt, die nur noch Entbehrung und Elend kennt. Gefärbt ist alles mit Asche, Staub und Schmutz. Schwarz, braun und grau sind die Tage und Nächte, die Aussichten so trüb wie die Endzeitstimmung. Für Heroismus und Abenteuer, die ähnlich gelagerte Settings in Literatur, Comic und Film meist tragen, ist hier kein Platz.

Endzeitstimmung ernst genommen

In der postapokalyptischen Welt dies- und jenseits der Straße gibt es nur Hunger und Leid. Das, was einmal die USA waren, ist ein entvölkerter Schutthaufen. Alles ist tot, Flora und Fauna sind vage Erinnerungen. Nahrung gibt es nur noch in Form von Konservendosen und Fertigprodukten, die die Katastrophe überdauern konnten. Nach ihnen wühlen Vater und Sohn im Schutt, in verlassenen Häusern, in Autowracks oder in den Jackentaschen verendeter, halbverwester Artgenossen. Die Angst vor marodierenden Banden, vor Kannibalismus ist real und allgegenwärtig. Fressen und gefressen werden: Wer sich hier einen Rest an Zivilisiertheit bewahren möchte, vermeidet besser jeden Kontakt mit anderen Überlebenden. Was der Vater dem Filius auch immer wieder einschärft.

Für den Zweifelsfall gibt es dennoch eine Lösung: Die letzte Kugel im Revolver. Der Junge weiß längst, wie man ihn benutzt, um Erlösung im Tod zu finden. Wie hier ein Happy End aussehen könnte, ist schwer zu sagen. Eigentlich kann es sich nur in der Aussicht auf ein Danach einstellen – doch dazu muss die Hoffnung über die Furcht siegen. Die Hoffnung stirbt als Letztes, heißt es. Hier, mittendrin in der allumfassenden Katastrophe kann man nur sagen: Hoffentlich!

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Manu Larcenet: Die Straße
Nach dem Roman von Cormac McCarthy
Aus dem Französischen von Maria Berthold und Heike Drescher
Berlin: Reprodukt 2024
160 Seiten, 25 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wie ein Spiel historische Forschung und Game Studies zusammenführt

Nächster Artikel

Eine Allegorie für sozial-revolutionäre Ordnungs-Systeme?

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Max und Moritz-Preis 2018

Comic Spezial | Max und Moritz-Preis 2018 Im Zentrum des 18. Internationalen Comic-Salons, der vom vergangenen Donnerstag bis Sonntag in Erlangen stattfand, stand die Verleihung der Max und Moritz-Preise für Comic-Künstler im Markgrafentheater. Die Comic-Expertin Hella von Sinnen und der Juror Christian Gasser moderierten die Veranstaltung, mal mit Charme und Humor, mal mit peinlichen Plattitüden. Für Begleitmusik sorgte die fränkische Band Kapelle Rohrfrei. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Gala in dem nur halb gefüllten Theatersaal angesehen und berichtet über die Preisvergabe.

Fluchthelfer der dritten Art

Comic | Ulf S. Graupner / Sascha Wüstenfeld: Das UpGrade Bd. 1+2 Einst beim Berliner ›zitty‹-Verlag veröffentlicht, bringt ›Cross Cult‹ Graupners und Wüstenfelds wahnwitzige Science-Fiction-Superhelden-Ostalgie-Orgie ›Das UpGrade‹ heraus. CHRISTIAN NEUBERT hat sich die vorliegenden ersten beiden Bände reingezogen – und wurde selbst in einen farbenfrohen Kosmos gezogen, in dem man sich sehr gerne verliert.

Kafka im Iran

Mana Neyestani: Ein iranischer Albtraum Berühmt ist der iranische Cartoonist Mana Neyestani eigentlich für scharfe, politische Karikaturen über Wahlfälschung und Terrorregimes. Die sind aber nicht der Grund, warum er jetzt in Frankreich im Asyl lebt. Schuld daran ist die Aufregung um eine kleine Gedankenlosigkeit in einer Kinderzeitschrift, die zu Aufständen und Toten führte. In seiner ersten Graphic Novel beschreibt Neyestani diese politische Farce, seinen Gefängnisaufenthalt und seine nervenaufreibende Suche nach Asyl – unter dem Titel Ein iranischer Albtraum. BORIS KUNZ hat sich auf diesen Trip begeben.

Sterben nach Zahlen

Comic | Thomas Ott: The Number 73304-23-4153-6-96-8 Thomas Otts Schabkarton-Comic ›The Number 73304-23-4153-6-96-8‹ findet den Horror im Alltäglichen, lässt ihn in Zahlen gedeihen. In der Edition Moderne wurde nun die dritte Auflage veröffentlicht. CHRISTIAN NEUBERT hat sie sich vorgenommen.

Die philosophierende Katze

Comic | Joann Sfar: Die Katze des Rabbiners Selten schaffen es Graphic Novels in die Feuilletons der Mainstream-Medien. Die Reihe ›Die Katze des Rabbiners‹ des französischen Comiczeichners und Filmregisseurs Joann Sfar ist da eine Ausnahme. Sie gilt als genreübergreifend interessant, was nicht verwunderlich ist, da die in den 2000er Jahren entstandene Reihe 2011 verfilmt wurde, für mehrere Preise nominiert war und wohl als das schönste Kurzkompendium des Judentums fungiert – sowie gleichzeitig ein toller Schmöker für Katzenfans ist. Wegen der großen Beliebtheit der Reihe verlegt der Avant-Verlag nun alle fünf Teile neu und publiziert sie in zwei Sammelbänden. Vor kurzem