Comic | Burkhard Ihme (Hg.): Comic Jahrbuch 2017
Das Comic Jahrbuch ist das größte Projekt des Interessenverbands Comic Cartoon Illustration Trickfilm (ICOM). Es erscheint seit dem Jahr 2000 nahezu regelmäßig, aktuell im 17. Jahrgang. Es ist unter den bekannten Publikationen die, die den Fokus auf die deutschsprachige Szene legt. Sie ist bekanntlich nur zu einem kleinen Teil professionalisiert – das großformatige Jahrbuch erfasst auch Künstler, die aus der Fanszene kommen, und untersucht ihre Situation. Was die neue, ein wenig reduzierte Ausgabe bietet, hat sich ANDREAS ALT angesehen.
Ohne die unermüdliche Arbeitswut von Burkhard Ihme würde das Jahrbuch sicher nicht wie ein vollständiges Werk aussehen – was es in diesem Jahr nicht ist. Legt man die letztjährige Ausgabe daneben, dann fällt auf, dass das Dossier fehlt (2016 war das ›Comics und Musik‹); auch ein größerer aktueller Beitrag (damals ›Charlie Hebdo‹ nach dem Anschlag auf die Pariser Redaktion) ist diesmal nicht dabei. Dass der Band dünner ist als in den Vorjahren, wird nur der bemerken, der genau vergleicht.
Übrig bleibt das Pflichtprogramm: die Jahresberichte zu internationalen Comicmärkten (nicht berücksichtigt sind freilich Frankreich/Belgien, eventuell hätten auch Italien, Spanien, Skandinavien analysiert werden können), die Würdigung der Gewinner des ICOM Independent Comic Preises, die fast die Hälfte des Buchs ausmacht – was aber an den vielen Preisen liegt, und der Blick auf die Trickfilmszene, angereichert um ein paar Interviews mit Vertretern deutschsprachiger Comicverlage und mit Künstlern, die Ihme offenbar großenteils während des Comic Salons Erlangen geführt hat. Und doch ist das Jahrbuch auch so noch zu umfangreich, um es mal schnell durchzulesen. Auch so stecken noch eine Menge interessante Blicke und Seitenblicke auf die Comicszene darin.
Als Dossier war eine Betrachtung von Behördencomics geplant. Zwar zahlt der ICOM den Autoren ein Honorar (was in der Comicfachpresse nicht selbstverständlich ist), doch erfordert ein solches noch kaum beleuchtetes Thema entweder einen Spezialisten, der Behördencomics (etwa zur Drogenaufklärung oder politischen Bildung) schon seit Längerem im Blick hat und archiviert, oder einen Schreiber, der in seine Recherche eine Menge Zeit investieren kann. Das ist nicht immer gegeben.
Deutliche Worte, die nicht gestrichen wurden
Was den Weg ins Jahrbuch gefunden hat, ist eine Mischung aus Routinetexten und Beiträgen, die überraschende neue Perspektiven eröffnen. Zu Letzteren gehört das Interview mit Kristina Gehrmann, eine Mangazeichnerin, die den Ratgeber ›Zeichnen als Beruf‹ veröffentlicht hat. In dem Gespräch, das offenbar schriftlich geführt wurde, geht es auch um die alte contra die neue Comicszene, und erfreulicherweise scheut die Interviewpartnerin weder vor deutlichen Worten zurück, noch sind diese Worte aus dem Interview wieder entfernt worden. Auf die Frage, warum sich Mangafans von der älteren Comicleser-Generation abgrenzen, sagt sie, dass die Mangas von jenen lange als Kinderkram angesehen wurden, was es nicht leicht machte, eine gemeinsame Basis zu finden. Informationen aus dem ICOM-Honorareratgeber hat Gehrmann nach eigenen Worten für ihr Buch nicht herangezogen, weil sie ihn veraltet fand (erschienen 2002).
Solche Kontroversen sind eher die Ausnahme, aber interessant ist etwa auch das Interview mit Christian Maiwald, dem Macher der Comic-Website ›dreimalalles.info‹. Maiwald erzählt sehr offen und unprätentiös über sein Verhältnis zu Comics, wie er auf die Idee kam, die Website zu gründen (und zu beenden), und äußert sich über Unterschiede zwischen Buch- und Comichandel. Sehr informativ sind auch der Nachruf auf Manfred Deix und der Beitrag über Klaus Voormanns grafische Mitarbeit am Beatles-Album ›Revolver‹ geraten. Dadurch, dass das Internationale Trickfilm-Festival regelmäßig in Stuttgart stattfindet, dem Wohnort von Burkhard Ihme, wird über den Bereich Trickfilm – heute sagt man Animationskino – ausgesprochen ausführlich und fundiert berichtet.
Die Routinebeiträge: Häufig finden sich in dem Band Interviews mit Comicmachern, die recht geschickt ihre eigene Arbeit anpreisen. Das gilt übrigens auch für das Interview über die Comiciade in Aachen. Diese Gespräche gehen über gefällige PR nicht hinaus. Man erfährt aber auf diesem Weg zumindest etwas von diesen Künstlern, was ohne den ICOM, seine Preise (im Gegensatz etwa zum Max-und-Moritz-Preis dotiert) und sein Jahrbuch sicherlich nicht möglich wäre – wohl keine andere Publikation widmet sich deutschen Comiczeichnern und -autoren so ausführlich und unbeirrt wie das ICOM-Jahrbuch. Eigenwillig erscheint der Bericht von Björn Bischoff über den Comic Salon 2016; einerseits hat er sich sehr gründlich umgesehen und viele Besonderheiten registriert, andererseits münden die Beobachtungen in das Fazit: »Der 17. Comic Salon wird als weitestgehend unauffällig in die Geschichte der Veranstaltung eingehen.«
Entlegene und seltene Comicseiten werden abgebildet
Ein großer Pluspunkt des Jahrbuchs ist die überaus reichhaltige Illustrierung der Beiträge. Auch dafür ist in erster Linie Burkhard Ihme verantwortlich, der sich nicht mit den Bildern zufriedengibt, die die Verlage aus PR-Gründen liefern, sondern so lange sucht, bis er auf entlegene und seltene Comicbeispiele stößt. Wer also aus Zeitmangel oder Unlust das Jahrbuch nicht durchliest, kann bereits beim Durchblättern eine Vielzahl von Eindrücken aufnehmen.
Das Comic Jahrbuch lohnt also im Großen und Ganzen durchaus die Lektüre. Dass das, wie immer wieder zu hören ist, zu wenig geschieht, hängt vielleicht auch mit der äußeren Form des Buchs zusammen. Es ist einfach zu groß und unhandlich. Auf das DIN A4-Format wird kaum verzichtet werden können, denn nur so kommen Abbildungen richtig zur Geltung. Aber knapp 230 DIN A4-Seiten zu lumbecken, sodass man das Buch kaum aufgeschlagen vor sich auf den Tisch legen, geschweige denn im Sessel oder gar im Bett lesen kann, mag so manchen abschrecken. Schade, denn das Jahrbuch hat Wichtiges zur Comicrezeption im deutschsprachigen Raum beizutragen.
Titelangaben
Burkhard Ihme (Herausgeber): Comic Jahrbuch 2017
Stuttgart: Interessenverband Comic e. V. 2016
228 Seiten, 15,25 Euro
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