Comic | Alan Moore (Text) / Jacen Burrows (Zeichnungen): Providence Bd. 1 und Bd. 2
Mit der Comicreihe »Providence« wandeln Kult-Autor Alan Moore und Zeichner Jacen Burrows auf den Spuren von Horror-Altmeister H.P. Lovecraft. Alleine aufgrund dieser Namen folgt CHRISTIAN NEUBERT den verschlungenen Pfaden nur allzu gern.
Der 1890 geborene Howard Philips Lovecraft gehört zweifellos zu den Grandseigneurs früher Horror-Autoren. Von der Prämisse ausgehend, dass die wissenschaftlich erschlossene Welt keinen Platz mehr für Wunder birgt, entdecken seine verstreut veröffentlichten ›Weird Fiction Tales‹ den Schrecken in den Untiefen von Raum und Zeit – kühl, mit blumiger Präzision und kafkaesker Entrücktheit. Lovecrafts enormer Einfluss hat längst alle Bereiche der Kultur durchdrungen. Vor allem sein so genannter »Ctulhu-Mythos« um uralte Dämonen und Gottheiten hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Neben prosaischen Verbeugungen und diversen Verfilmungen seiner Storys gibt es Songs und Kompositionen, die offenkundig von ihm inspiriert sind. Auch Computerspiele, Trading Card Games und Pen-und-Paper-Rollenspiele fußen auf seinen Geschichten. Und Comics. Unter anderem von Reinhard Kleist, Erik Kriek und Alan Moore.
Alan Moore, einer der profiliertesten Comic-Künstler überhaupt, hat Lovecraft bereits mit »Neonomicon« ein Comic gewordenes Denkmal errichtet, übrigens ebenfalls mit Zeichner Jacen Burrows. Diesem ambitionierten Werk setzt er mit der Reihe »Providence«, benannt nach Lovecrafts Geburtsort, noch einen drauf. Auf zwölf Teile angelegt, die bei Panini in deutscher Sprache in Form von Sammelbänden erscheinen, wandelt er mit einer Versiertheit und Komplexität auf Lovecrafts Spuren, die den Status einer bloßer Hommage haushoch überragt.
Ein echter Moore
»Providence« ist referenzgeschwängert, eigenwillig und von literarischem Anspruch – und insofern ein echter Moore. Die Comicreihe erzählt von dem New Yorker Journalisten Robert Black, der nach dem Tod seines Liebhabers in eine Sinnkrise stürzt. Als er von einem mysteriösen Buch erfährt, dem Lovecrafts fiktionales wie legendäres »Necronomicon« Pate steht, wittert er eine Story. Um es ausfindig zu machen, begibt er sich auf eine Reise in die ländlichen Gefilde New Englands. Auf verschlungenen Pfaden kommt er dem Buch immer näher. Gleichzeitig gerät er an abseitige, mysteriöse, okkulte Personen und Gegebenheiten, die seinen Weg mehr zu prädestinieren scheinen als ihm lieb sein kann.
Die Figur des Robert Black ist ein hochgestochen schwadronierender Bücherwurm, ein Besessener à la Dean Corso, der den Teufel wohl erst erkennt, wenn er leibhaftig vor ihm steht – und insofern ein typischer Lovecraft-Held. Mit distanziertem Blick seziert er das jeweilige Geschehen. Dabei bemerkt er nicht, wie er sich immer tiefer in einem undenkbaren Grauen verliert, das unter und hinter allem lauert – zumindest nicht zunächst.
Jedes Kapitel hangelt sich an bekannten Lovecraft-Stoffen entlang. Der geneigte Leser stößt auf »Die Farben Aus Dem All«, auf »Schatten Über Innsmouth« oder auf »Das Grauen Im Red Hook«. Im nerdigen Zitate-Raten erschöpft sich Moores Aufgreifen und Weiterspinnen jedoch nicht. Vielmehr gelingt es ihm, die einzelnen Storys, bei denen er sich frei bedient, zu einem übergeordneten Ganzen zu verweben und mit weiteren Referenzen aufzuladen. Anhand der detektivischen Recherchen seines Titelhelden erschafft er so einen vielschichtigen, sich immer weiter zum Wahnsinn steigernden Alptraum.
Grauen auf leisen Sohlen
Der Horror speist sich dabei aus dem Vagen, Suggestiven, lediglich Angedeuteten. Moore weiß, dass das Grauen am besten auf leisen Sohlen daherkommt, damit es umso heftiger kickt. Er zeigt dies auch in den für ihn typischen, sehr umfangreichen Text-Passagen, die den einzelnen Comic-Kapiteln nachstehen, den Tagebucheinträgen, Kinderzeichnungen und fiktiven Broschüren – und in den Panorama-Panels, die Zeichner Jacen Burrows mit penibler Detailgetreue zum Leben erweckt. Oder zum unheiligen Gegenteil davon, die Anzeichen verdichten sich mehr und mehr …
Bei Panini liegen inzwischen die ersten beiden Sammelalben vor, die mit insgesamt acht Kapiteln zwei Drittel des anberaumten Stoffs abdecken. Ob »Providence« tatsächlich das Zeug zum »Watchmen« des Horrors hat, wie es seine US-Verlagsheimat Avatar Press vollmundig verkündet, sei bisher noch dahingestellt. Diesen Vergleich zieht man nicht eben leichtfertig, weswegen der finale Sammelband noch abzuwarten bleibt. In den besten Momenten der bisher vorliegenden Kapitel ist »Providence« allerdings derart intensiv, dass tatsächlich einiges dafür spricht.
Titelangaben
Alan Moore (Text) / Jacen Burrows (Zeichnungen): Providence Bd.1 / Bd.2
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Stuttgart: Panini 2015 (Band 1) bzw. 2016 (Band 2)
176 bzw. 180 Seiten, Je 19,99 Euro
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