›Von Unterwegs‹ berichtet der Schriftsteller und Journalist Eckhart Nickel in ebenso charmant recherchierten wie elegant komponierten Reisereportagen. Zwischen Grönland und Asien bewegen sich seine Koordinaten, zwischen entdeckungsfreudiger Neugier und kosmopolitischer Kultiviertheit sein Habitus. Fast wünscht man sich als Leser für die Lektüre einen Zustand, den der Autor bereits in einer früheren Publikation euphorisch beschrieben hat: ›Ferien für immer‹. Von INGEBORG JAISER
Geschickter hätte die Veröffentlichung eines Reisebuches nicht terminiert werden können. Als nach harten Monaten des erzwungenen Stillstandes die Aussicht auf neue Freiheiten in greifbare Nähe rückt, das Fernweh wieder aufflackert, schürt Eckhart Nickels Sammlung von Reiseimpressionen ganz vehement unsere Lust nach einem Ortswechsel. Und sei es nur im Kopfe.
Unter dem bewusst bescheidenen Titel ›Von unterwegs‹ versammelt dieser höchst anregende Band über fünfzig Texte aus zwei Jahrzehnten – von der poetischen, nur wenige Zeilen umfassenden Miniatur über die Iguazú-Wasserfälle bis zu umfangreichen Reportagen über Bangkok (»eine Art spätkapitalistische ›Blade-Runner‹-Kulisse mit blinkenden Leuchtschriftzügen an bizarren Hochhäusern«), eine Fahrt mit dem transkontinentalen Fernzug ›The Canadian‹ oder einen Nachtflug nach Kairo. Überdies vermag der Verfasser dem Fliegen genauso interessante Facetten abzugewinnen (»Die Ansage des Kapitäns ist so gesehen die Königsdisziplin rhetorischer Aviatik«) wie der Stimmungslage in einer deutschen Pension (»Tisch an Tisch fanden sich dort hysterische Studienrätinnen, Atomphysiker und Heiratsschwindler wieder, aus denen Tag für Tag immer neue Wahrscheinlichkeitsdiagramme dramatischer Ereignisse erwuchsen.«)
Gepflegter Gentleman-Traveller
Von Haus aus mit einer neugierigen Unruhe gesegnet, kann der 1966 in Frankfurt geborene Schriftsteller und Journalist, Weit- und Vielreisende Eckhart Nickel wohl am treffendsten als »flanierender Enthusiast« bezeichnet werden. Im Reisen liegt für ihn nicht nur ein Modus der Fortbewegung – durch familiäre Prägung in einem autolosen Haushalt vorzugsweise per Flugzeug oder Bahn, in besonderen Fällen auch per Fahrrad oder Kanu – sondern vor allem eine Lebenshaltung. Getreu dem Motto »Nichts erwarten und dennoch auf alles gefasst sein« begibt sich Nickel offen und mit allen Sinnen auf entdeckerische Spurensuche. Rund um den Globus gilt es, den Reiz sehenswerter Buchhandlungen, Kaffeehäuser und Hotels zu erkunden – ausgestattet mit dem exquisiten Geschmack eines Gentleman-Travellers. Stets die Contenance wahrend und eine stilvolle Attitüde pflegend, erkennt Nickel lapidar: »Vielleicht gehöre ich zur letzten Generation, die ohne Kaffee in großen Pappbechern für unterwegs aufwuchs.«
Selbstredend widmen sich mehrere Texte des prinzipiell in adretten hellen Hosen reisenden Autors den existenziellen Fragen um Garderobe, Gepäck oder kleinen Annehmlichkeiten für unterwegs – wie einem Brumisateur. Bislang Unwissenden sei der fast schon parodistisch überzogene Lobgesang auf ein Produkt einer amerikanischen Kosmetikmarke ans Herz gelegt. Doch hinter dem eleganten Dandy verbirgt sich vor allem ein gebildeter Schöngeist, der seine Impressionen mit cineastischen Anleihen (gerne bei Wes Anderson) und fundierten literarischen Bezügen unterlegt, geschult an Ikonen der Reiseschriftstellerei wie Ernest Hemingway oder Annemarie Schwarzenbach. So wirken viele seiner feuilletonistischen Arbeiten charmant anachronistisch und ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Herrlich auch der Anhang mit Reisepostkarten, die Eckhart Nickel über Jahre hinweg seinen akademischen Mentor, väterlichen Freund und »Dandy-Experten« Dr. Stefan Buck geschrieben hat.
Zwischen Tristesse und Trieste
Schon früh dürfte Eckhart Nickel eine erlesene Geisteshaltung kultiviert haben, zunächst während seines Studiums von Literatur und Kunstgeschichte in Heidelberg und New York, dann als Gründungsmitglied des legendären popkulturellen Quintetts ›Tristesse Royale‹ (1999), einem Zusammenschluss blasierter junger Herren aus dem Geld- und sonstigen Adel. Mit Christian Kracht, einem Buddy aus jenen Tagen, hing er einige Zeit in Kathmandu ab, um von dort aus die nur wenige Ausgaben umfassende Zeitschrift ›Der Freund‹ herauszugeben. Und, man muss anerkennend konstatieren: Der Sprung vom hippen Youngster zum distinguierten Connaisseur dürfte Nickel fast übergangslos gelungen sein.
Etliche der Reportagen und Reisefeuilletons ›Von Unterwegs‹ sind bereits in der ›Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‹, der ›ZEIT‹ oder im ›Architectural Digest‹ erschienen. Ein Schelm, wer Böses bei der Zweitverwertung denkt. Denn ohne diese exquisite Textsammlung könnte die Leserschaft nicht so komfortabel einer verheißungsvollen Sehnsucht frönen. Ganz bequem auf dem heimischen Sofa und ohne jegliche Risiken. Denn man sollte nicht vergessen: »Reisen ist Unsicherheit, man setzt sich gewaltigen Kräften der Veränderung aus, nicht nur den Fliehkräften eines Fluges, sondern auch der biographischen Wucht eines Ortswechsels.«
Titelangaben
Eckhart Nickel: Von unterwegs
München: Piper, 2021
283 Seiten, 20,- Euro
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