/

Die Liste der listigen Morde

Roman | Peter Swanson: Acht perfekte Morde

Malcolm Kershaw ist der Mitinhaber einer kleinen, auf Krimis spezialisierten Buchhandlung in Boston. Er gilt als Spezialist für raffinierte Morde und deshalb ist es kein Wunder, dass sich das FBI bei ihm meldet und um Rat fragt, als einer belesenen Mitarbeiterin auffällt, dass ein paar Gewaltverbrechen in letzter Zeit berühmte Kriminalromane von Agatha Christie bis Donna Tartt zu kopieren scheinen. Natürlich hilft Kershaw gern, zumal FBI-Agentin Glen Mulvey alles andere als unattraktiv ist. Der Mann, dessen Frau vor fünf Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, weiß allerdings so viel über perfekte Morde, dass er bald selbst zu den Verdächtigen gezählt wird. Von DIETMAR JACOBSEN

Der auf neue und gebrauchte Kriminalromane spezialisierte Old Devils Bookstore in Bostons historischem Stadtteil Beacon Hill samt seinem »Ladenkater« Nero hat nicht nur einen guten Ruf, sondern zieht seine Kunden auch mit einem vielgelesenen Internet-Blog an. Als Mitinhaber Malcolm Kershaw noch als Eventmanager für den alten Eigner arbeitete, war er auch für den Inhalt der regelmäßig erscheinenden Blogbeiträge für die Liebhaber von Kriminalliteratur verantwortlich. Und er nahm diese Aufgabe sehr ernst. Denn im Geheimen liebäugelte er damit, sich mit den publizierten Texten als »eine Art Krimipapst« zu etablieren.

Schon sein allererster Beitrag mit dem Titel »Acht perfekte Morde« war deshalb überaus ambitioniert, wenn auch lange nicht so wirkungsvoll, wie sein Verfasser sich das wünschte. Zehn Jahre nach seinem Erscheinen – Kershaw betreibt den Laden inzwischen gemeinsam mit dem Krimiautor Brian Murray, der sich aber kaum ins Geschäftliche einmischt – erlangt der Text freilich eine Bedeutung, die den Helden und Ich-Erzähler von Peter Swansons sechstem Thriller immer mehr ins Visier des FBI geraten lässt.

Ein Blogbeitrag mit tödlichen Folgen

Swanson, 1968 geboren und heute in Somerville/Massachusetts lebend, hat bereits mit seinem ersten Thriller The girl with a clock for a heart (dt. Die Unbekannte, 2014) die Aufmerksamkeit von Publikum und Kritik erregt. Und auch in den darauffolgenden Büchern erwies er sich immer wieder als ein Autor, der seine Leser gern auf falsche Fährten lockte, routiniert mit ihren Erwartungen spielte und am Ende mit überraschenden Lösungen aufzuwarten verstand. Das wirkte zwar gelegentlich etwas überkonstruiert, war aber immer fesselnd und äußerst unterhaltsam.

Nun also ein Roman über einen Killer, der sich von einer Liste der perfekten Morde inspirieren lässt und sich anschickt, einen nach dem anderen zu kopieren. Da dauert es natürlich nicht lange, bis sich das FBI in Gestalt der smarten Agentin Gwen Mulvey im Old Devils Bookstore sehen lässt und den Verfasser des Katalogs genialer Verbrechen um Mithilfe bei der Mörderhatz bittet.

Mithilfe bei der Mörderhatz

Dass die Agentin den Buchhändler insgeheim verdächtigt, selbst die Finger in dem mörderischen Spiel zu haben, verschweigt sie allerdings. Und auch der Malcolm Kershaw ist ihr gegenüber nicht ganz ehrlich. Denn in seiner Vergangenheit gibt es etwas, das, käme es heraus, ihn augenblicklich in Konflikt mit dem Gesetz brächte. Doch wo zwei am selben Strick ziehen, allerdings jeder in eine andere Richtung, freut sich in der Regel ein Dritter. Und der sorgt in Acht perfekte Morde mit einem perfiden Plan, den er Mord für Mord abarbeitet, dafür, dass Swansons Held immer tiefer in eine Geschichte hineingezogen wird, deren Anstoß er einst mit einem harmlosen Blogbeitrag gegeben hatte, und die nun auf dem besten Wege ist, ihn Kopf und Kragen zu kosten.

Ein Krimi über Krimis

Acht perfekte Morde ist ein Krimi über Krimis. Von Agatha Christie über Patricia Highsmith bis zu Donna Tartt, von A. A. Milne über Anthony Berkeley Cox bis zu James M. Cain und Ira Levin werden sie alle ausführlich erwähnt, jene Autoren und ihre Bücher, in denen raffinierte Morde ersonnen wurden, an denen die Ermittler sich die Zähne ausbeißen sollten. Und auch jener Autor, den Peter Swanson immer wieder als sein literarisches Vorbild bezeichnet hat, John D. MacDonald (1916 – 1986, Erfinder von Travis McGee, dem zynischen Privatdetektiv, den er in 21 Romanen zwischen 1964 und 1985 ermitteln ließ), fehlt nicht in Kershaws Liste. So kann, wer mag, mit Hilfe dieses Buches gleich noch eine kleine Reise in die Geschichte der Kriminalliteratur unternehmen. Er sollte sich allerdings davor hüten, das Gelesene auf der Stelle in die Tat umsetzen zu wollen. Denn zwischen Fiktion und Realität klafft immer eine große Lücke – und wer sie übersieht, wie Swansons Mörder, wird irgendwann den Spaß am Spiel verlieren.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Peter Swanson: Acht perfekte Morde
Deutsch von Fred Kinzel
München: Blanvalet 2022
349 Seiten. 15 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Wiedersehen

Nächster Artikel

Kettenreaktion

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Der Fall der verschwundenen Schriftsteller

Roman | Håkan Nesser: Schach unter dem Vulkan

Weil der bekannte schwedische Schriftsteller Franz J. Lunde im Anschluss an eine Lesung spurlos verschwindet, muss Gunnar Barbarotti, der in Kymlinge für die Ermittlungsarbeit zuständig ist, ran. Es ist der siebte Fall für den Nachfolger des genial-vergrübelten Kommissars Van Veeteren im Werk des 71 Jahre alten Håkan Nesser und ein ganz und gar ungewöhnlicher dazu. Denn Lunde hat ein Erzählfragment hinterlassen, in dem angedeutet wird, dass er zuletzt von einer immer wieder auftauchenden Leserin gestalkt und bedroht wurde. Viel Arbeit für Barbarotti, zumal Lunde nicht der einzige verschwundene Literat bleibt und auch im fiktiven Kymlinge die Corona-Pandemie das Leben und Arbeiten zunehmend erschwert. Von DIETMAR JACOBSEN

St.-Pauli-Nights

Krimi | Simone Buchholz: Blaue Nacht Als trinkfeste Staatsanwältin hat Chastity Riley in Simone Buchholz‘ Krimi Revolverherz (2008) einen brutalen Prostituiertenmörder auf dem Hamburger Kiez zur Strecke gebracht. Weil sie dabei nicht ganz regelkonform vorging und nebenbei auch noch ihren Vorgesetzten der Korruption überführte, hat man die unkonventionelle und beileibe nicht bei allen beliebte Halbamerikanerin danach vorsichtshalber zur Opferschutzbeauftragten gemacht. Als solche treffen wir sie nun wieder In Buchholz‘ aktuellem Buch Blaue Nacht. Doch weil zu jedem Opfer auch ein oder mehrere Täter gehören, stecken Chastity und ihre alten Freunde bald wieder bis zum Hals in Schwierigkeiten. Von DIETMAR JACOBSEN

Häppchen oder am Stück

Film | TV/Mediathek: Greyzone – no way out Eine Räuberpistole, so hätten es unsere Väter genannt, und heutzutage dann selbstverständlich Räuberpistole 4.0, wie aufregend. Zehn Folgen à fünfundvierzig Minuten. Und Szenen nicht für ein schwaches Nervenkostüm. Die bewährte dänisch-deutsche Coproduktion verspricht für ›Greyzone – No Way Out‹ Gänsehaut pur. Von WOLF SENFF

Zwischen Korruption und Konfuzianismus

Roman | Qiu Xiaolong: 99 Särge In seinem siebten Fall 99 Särge verschlägt es Oberinspektor Chen Cao aus Shanghai unter die Netzbürger. An dem dubiosen Selbstmord des Direktors der Wohnungsbaubehörde der Millionenstadt sollen Aktivisten im Internet nicht unschuldig sein. Als dann auch noch ein mit dem Fall befasster Polizist am helllichten Tag überfahren wird, beginnt Chen Nachforschungen anzustellen, ohne dazu legitimiert zu sein. Von DIETMAR JACOBSEN

Weder Sozialkunde noch sonst welche Brille

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Deckname Kidon (ORF), 4. Januar 2015 Herr Dr. Bansari fällt auf einen Mercedes, neunziger Jahre, neunhunderttausend Kilometer gelaufen, und löst massive Verwicklungen aus. Wer steckt dahinter? Ist’s eine Spezialeinheit des Mossad? Wir schätzen den ›TATORT‹ aus Wien, der uns die bedrohlich weite Welt aufblättert. Von WOLF SENFF