//

Vierundachtzig plus vier

Film | Im TV: ›TATORT‹ Schwerelos (WDR), 3. Mai

 

Wie machen sie das, sofort ist man drin und dabei handelt es sich doch lediglich um die üblichen routinemäßigen Anrufe, das Klingelgeräusch langweilt sonst nur, wie kriegen sie das gebacken. Ach und die Suche nach dem Fallschirm in der stillgelegten Grubenanlage, der Blick aus dieser Höhe macht schwindeln, so liebevoll sind sie um uns bemüht. Von WOLF SENFF

Foto: WDR / M.Kost
Foto: WDR / M.Kost
Nur über den Todesfall wissen wir wenig, der lebensgefährlich Verletzte Leo Yannick – Schädelfraktur mit schwerem Trauma, diverse Frakturen der Gliedmaßen – verharrt noch zögerlich auf dem fadendünnen Grat zwischen Hier und dem Jenseits. Base-Jumping war’s, aber Nachtsprünge hätten korrekt angemeldet werden sollen, und Yannick gelangte auf rätselhafte Weise bis zur Notaufnahme, die Freunde, viel weist darauf hin, werden ihn nach dem tödlichen Sprung  dort hingeschafft haben.
 
Einfühlsame Kontraste

Ach ja, »er ist auf dem Zenith seiner Freiheit verblüht«, schwärmt einer aus der Fallschirmspringerclique, und wir sehen mit an, wie Leo Yannick abgeschaltet wird, das sind die eher abgründigen ›Wunder der Technik‹. Es ist dennoch lehrreich, dass uns die Kehrseite unserer Hochleistungstechnologien vor Augen geführt wird, und sei es am Sonntagabend.
 
Den Kontrast zeigt jener Schauplatz, wo Leo Yannick vom hohen Gerüst einer stillgelegten Stahlkocherei in den Tod sprang – einfühlsame Bilder der Vergänglichkeit unserer Hochtechnologien. ›Schwerelos‹ ist ein Film, dem es auch in anderen Situationen gelingt, intime Momente ins Bild zu setzen, ohne dass es aufgesetzt, aufdringlich oder gar peinlich wirkt.
 
Rauschhaftes Erleben

Das hat seinen Grund primär im Auftreten von Peter Faber, einer großartigen Figur, die sich bis zur Unkenntlichkeit zurücknimmt und statt Ecken und Kanten diesmal einen Hauch von patriarchalem Wohlwollen verbreitet, wer hätte ihm das zugetraut.
 
Es lässt sich allerlei herauslesen aus diesem ›TATORT‹, zweifellos geht es um rauschhaftes Erleben und dessen Grenzen. Dieses Thema wird eindrucksvoll auch an Nora Dalay durchgespielt, die    immer noch an ihrer verkorksten Beziehung mit Daniel Kossick leidet.
 
Künstlerisch anspruchsvoll, aber …

Es geht ebenfalls in diversen Facetten um Eltern und Kinder, ein Motiv, das wunderschön begleitend in der Suche Martina Boehnischs nach ihrem Sohn Jan ausgespielt wird, das wieder anders zutage tritt in Peter Fabers Erinnerung an seine Tochter. »Diese Leere – hört das irgendwann auf?« – »Nein, man muss lernen damit zu leben.« Und noch wieder anders ist es präsent in Martin Yannick.
 
Ein künstlerisch anspruchsvoller ›TATORT‹ diesmal, sehr überzeugend komponiert, das Fallschirmspringen als ein originelles gestaltendes Thema, der morbide Schauplatz von Stahlkocherei und Hochofen brillant ins Bild gesetzt, das erinnert uns an den Dortmunder Vorläufer vom Januar.
 
Doch in den letzten Minuten wird leider, leider dieser positive Gesamteindruck durch ein sentimentales, kitschiges Ende komplett vermurkst, auf Großbuchstabenstandard herunter gezerrt, wie schade. Man ahnte es, man wollte das nicht für bare Münze nehmen, ein derartiges Ende verdirbt ungemein, es ist Salz in der Suppe, bis die Augen tränen. Soll man nun etwa empfehlen, bitte nach vierundachtzig von achtundachtzig Minuten abzuschalten? Aber richtig wär’s! Denn dieses Ende enttäuscht.
 
| WOLF SENFF
 
Titelangaben
›TATORT‹ Schwerelos (Westdeutscher Rundfunk)
Ermittler: Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel, Stefan Konarske
Regie: Züli Aladag
Sonntag, 3. Mai, 20:15, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

The Remixes of Andrew Weatherall

Nächster Artikel

Unter die Hufe gekommen

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Kung Fu und der innere Frieden

Film | Im Kino: The Lego®Ninjago®Movie™ Was haben wir denn hier? Kurz nach dem Lego®Batman®Movie™, der Anfang des Jahres erst in den Kinos kam, startet nun der Lego®Ninjago®Movie™ durch. Das selbst ernannte beste Spielzeug der Welt findet Geschmack an der Kinoleinwand! Könnte es sein, dass hinter dem Plastik-Spektakel trotz Grenze zur Albernheit mehr steckt, als man sieht? ANNA NOAH geht dem Lego®-Film-Phänomen auf den Grund.

Ein gutes Buch ist unverzichtbar

Film | Im TV: ›TATORT‹ Blutschuld (mdr), 15. Februar Ein Schrotthändler fährt ein schmuckes BMW-Cabrio, nachtschwarz, doch nach nur fünf Minuten sucht ihn der Sensenmann heim. Außerdem wird recht kompromisslos und zügig eine Familie komplett abgeräumt. All das hat einen behutsam religiös angehauchten Hintergrund, so mit der Vorstellung von Schuld und Sühne, da dürfen wir gespannt sein. Auge um Auge, Zahn um Zahn – das bewährte alttestamentarisches Motto. Von WOLF SENFF

Das Auge leuchtet, das Leben gelingt

Film | Präsentation der Kinderserie »Die Abenteuer des jungen Marco Polo« (Kika von ARD&ZDF/MDR, täglich ab 1.12., 19.00 Uhr) So weit, nein, so weit ist es nicht, dass wir hier Kinderprogramme rezensieren würden. Nun denn, man sollte nichts für alle Zeiten ausschließen. Marco Polo übrigens war eine interessante Figur. Er öffnete, wie man heute formulieren würde, neue Märkte, damals für Venedig, und brach im zarten Alter von siebzehn zu seiner großen Reise auf. Von WOLF SENFF

Da hat man sich viel vorgenommen

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Dicker als Wasser (WDR), 19. April Dieser Fall führt uns tief in die Vergangenheit, auch ein Krimi hat seine Stereotypien, seine Schablonen, die ihm Struktur verleihen, als da wären der Actionfilm, der Psycho-Krimi, das Whodunnit-Muster, die Erpressung, die Beziehungstat usw. usf., die Welt ist bunt. Dieser ›TATORT‹ rückt vor allem die Vergangenheit gerade. Von WOLF SENFF

Das letzte Chamäleon

Film | Interview ›Welcome to Sodom‹ ›Welcome to Sodom‹ ist eine bildgewaltige, apokalyptische Doku über Europas größte Elektromüllhalde – mitten in Ghana. »Ghana steht der ökologische Kollaps bevor«, resümiert der Filmemacher Florian Weigensamer über die dunkle Seite unserer elektronischen Glitzerwelt, recycelte Frankenstein-Computer und Kultur als »last frontier« der Menschlichkeit. Ein Interview von SABINE MATTHES.