//

Auf dem Treppchen

Film | Im TV: ›TATORT‹ Grenzfall (ORF), 8. März, 20:15 Uhr

In der Mitte der Thaya verläuft die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich. Ja, Tschechoslowakei, so hieß das Land damals, der Auslöser des Geschehens liegt lange zurück, 1968! Erinnern wir uns an den ›Prager Frühling‹, und dass die politische Spannung lebensgefährlich wurde nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen, ›Kalter Krieg‹ at its best – und Flüchtlinge drängten nach Österreich. Von WOLF SENFF

grenzfall-106~_v-varxl_23ff1a»Wir wollten nur ein Motorrad haben wie der Martin eins g’habt hat«, klar, und weil es sich so unkompliziert ergab und der Geheimdienst des Nachbarlandes für Information gut zahlte, ließen sich die drei Jugendlichen für gelegentliche Beobachtungsarbeit bezahlen. Der eine von ihnen, weil er aussteigen wollte, kam dabei um, und sein Sohn Ernst Rauter, Journalist, sucht noch nach einer Erklärung.

Vergangenheit gibt keine Ruhe

Das ist der Hintergrund in diesem ›Grenzfall‹, und nein, das Drehbuch verpackt diese Informationen keineswegs behäbig, wir sehen einen spannenden Film auf vertraut anspruchsvollem ›TATORT‹-Niveau. Er führt uns in ein Dorf, wo die Vergangenheit lebendig ist in den Köpfen, und man weiß Bescheid über die dunklen Flecken in den Biographien.

Die Archäologen aus Wien, wissenschaftliches Projekt in Sachen ›Steinzeit‹, buddeln unabsichtlich Knochen neueren Datums aus mitsamt einem rostigen Projektil, als vor ihren Augen jemand aus dem Kanu kippt, ein Geheimdienstler von der tschechischen Seite, ja, er kippt tot aus dem Kanu, genau, es ist viel Oberfläche im ›Grenzfall‹, aber die Ereignisse der Vergangenheit geben keine Ruhe.

Der Fall dreht auf

Erstaunlich, wie’s reibungslos funktioniert. Das Alphamännchen vor Ort, Johann Karger, Abgeordneter zum Nationalrat, stellt Mühlen her mit einem speziellen Mahlverfahren, das ohne besondere Einführung anwendbar ist und mit großer Nachfrage in die agrarischen Regionen Afrikas exportiert wird, was gäb’s daran zu mäkeln, nichts. »Bio boomt. Da warn wir schon ein bissel die Vorreiter, meine Frau und ich.«

Hinzu kommt ein Einbruch in die Prager Wohnung des getöteten Jirzy Radok, und auch sein Zimmer in der hiesigen Pension wurde durchsucht. Amtshilfe aus Prag kommt in Gestalt einer durchsetzungsfähigen, sympathischen Person, der Fall dreht auf, gewinnt Format, und das geschieht ohne jede Effekthascherei, ohne Sensationsgetue, ohne Panikattacken.

Übelste Machenschaften deuten sich an

Stattdessen glänzt er mit unwiderstehlichem österreichischem Charme, wir gewinnen Einblick in den Universitätsbetrieb, Moritz Eisner wird als »Emil« diskreditiert, zwischen den beiden Ermittlern tobt der heftigste Ehekrach seit den Ursprüngen des ›TATORT‹, die Frau Major aus Prag glänzt durch ihre Sprachkenntnis.

Und just bevor wir denken, nun ist aber genug, da gewinnt die Handlung rasante Fahrt, es zeigen sich Zusammenhänge, an die man im Traum nicht gedacht hätte, ein bösartiger Taucher schwimmt in der Thaya, übelste Machenschaften deuten sich an.

Auf der Basis realen Vorbilds

Es bleiben zehn Minuten Film, man fragt sich, was noch alles bevorsteht; es geht immer noch um die drei Jugendlichen, von denen nur zwei lebend zurückkehrten. Zum Schluss erfahren wir, weshalb damals der Vater des Journalisten erschossen wurde. So hat in gewisser Weise alles seine Ordnung, der österreichische ›TATORT‹ steht auf dem Krimi-Treppchen, lorbeerumkränzt.
Foto: ARD/Degeteo/ORF/Allegro Film/Milenko Badzic

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Grenzfall (ORF)
Ermittler: Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser
Buch und Regie: Rupert Henning
Sonntag, 8. März, 20:15 Uhr, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Unter Minderheiten

Nächster Artikel

Konstanten (2)

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Vom Traum, ein Rebell zu sein

Menschen | Zum 85. Geburtstag von Miloš Forman »Ich finde es schrecklich, wenn Regisseure denken, sie würden etwas wahnsinnig Wichtiges kreieren. Hey, Leute, es ist nur ein Film! Macht euch locker«, hatte Miloš Forman 2008 in einem FAZ-Interview erklärt. PETER MOHR zum 85. Geburtstag des oscar-gekrönten Regisseurs.

Nicht auf dem Kasernenhof

Film | Im TV: TATORT – Eine Frage des Gewissens (SWR), 23. November Eine brandheiße Eröffnung. Hysterie, Alarm, Panik, Geiselnahme im Supermarkt. Thorsten Lannert muss sich, erste Schiene der Handlung, für die Tötung des Geiselnehmers verantworten, uns wird korrekt gezeigt, dass in einem solchen Fall die Grenzen polizeilichen Handelns strikt eingefordert werden. Von WOLF SENFF

Randlage

Film | Im Kino: Am Ende der Milchstraße »Wenn du mal Probleme brauchst, ich bin für dich da«, so lautet gewöhnlich das Motto des Dokumentarfilms. Das ist nicht jedermanns Sache. Man kennt keinen der Schauspieler, weil es keine sind, und die Beschreibung ist wenig reißerisch, halt kein Hollywood. Eigentlich sollte der Streifen Randland heißen, jetzt aber trägt er den Titel Am Ende der Milchstraße. Leopold Grün und Dirk Uhlig haben ein kleines mecklenburgisches 50-Seelen-Dorf besucht, ihnen ist ein berührendes und präzises Zeitbild des Ostens gelungen. Von HARTMUTH MALORNY

Das Leben, die Literatur und der Film

Film | Im TV: Marcel Reich Ranicki: Mein Leben Er lässt die entscheidenden Jahre einer außergewöhnlichen Lebens- und Liebesgeschichte anschaulich und lebendig werden und damit verstehen und nachempfinden, unter welchen Umständen eine Karriere ihren Anfang genommen hat, die in ihrer Ausprägung tatsächlich einmalig ist. Von PETRA KAMMANN

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD