Nirgendwo ein Haar in der Suppe

Musik | The Tallest Man On Earth: Dark Bird Is Home

Der skandinavische Folkmusiker The Tallest Man On Earth wird mit jedem Album reifer, poetischer, besser. Morgen erscheint Album Nummer vier. MARTIN SPIESS hat es gehört.

tallest-manNachdem The Tallest Man On Earth zu Anfang seiner Karriere mit Bob Dylan verglichen wurde, hätte er seine Gitarre guten Gewissens an den Nagel hängen, sich in einen Ohrensessel setzen und die Füße hochlegen können. Besser als das, zumindest was die Kritik der eigenen folkmusikalischen Arbeit angeht, geht es schließlich kaum. Kristian Matsson aber schrieb weiter und jedes seiner Alben wurde reifer, poetischer und besser als das zuvor. Das morgen erscheinende vierte Album ›Dark Bird Is Home‹ ist da keine Ausnahme.

Der im Wohnzimmer und in Hotelzimmern auf Tour aufgenommen akustischen Gitarre auf ›Shallow Grave‹ (2008) und ›The Wild Hunt‹ (2010) folgte auf ›There’s No Leaving Now‹ (2012) eine E-Gitarre, ein bisschen geshufflete Snare und Klavier. Die Poesie der gezupften und geschrammelten Gitarre und der sich darauf setzenden mal sägend drückenden, mal bassig grummelnden und mal energisch klagenden Stimme aber blieb – und steigerte sich nur noch. Zeilen wie »Sometimes it’s just roses dying too young«, die man in Übersetzung sonst bei Helene Fischer findet, sang er gänzlich ohne Schmalz.

Keine überproduzierte Megalomanie

Auf ›Dark Bird Is Home‹ kommen zu Gitarren und Klavier ein volles Drumset, Bass, Bläser, Streicher und hallige Chöre hinzu. Was nach überproduzierter Megalomanie klingt, setzt Matsson bewusst und wohldosiert ein. Nie erschlagen einen die zusätzlichen Instrumente, und nie bringt er sie alle in einem Song.

Wie um an seine Wurzeln zu erinnern und seinen Standpunkt zu wiederholen, startet das Album mit ›Fields Of Our Home‹, einem Song, der anfangs nur aus Gitarre und halligen Vocals besteht. Zum Refrain legt sich ein nur angedeutetes Bett aus Streichern darunter, um zur nächsten Strophe zu verschwinden und Vocals ohne jeglichen Hall zurückzulassen: Man ist für einen Moment irritiert, weil Matssons Stimme plötzlich so trocken und nah klingt. Zum Ende des Songs dann hallt alles, den Streichern kommen Bläser hinzu und Matsson singt mit sich selbst im Chor.

Zehn ausnahmslos großartige Songs

Auch in Track zwei zeigt sich die neue Seite an The Tallest Man On Earth: ›Darkness Of A Dream‹ kommt mit der präsenten Snare fast ein wenig poppig daher. ›Singers‹ bricht den Sound wieder nur auf Gitarre, Vocals und ein paar Refrain-Streicher und -Bläser herunter, um in ›Slow Dance‹ wieder heraufgefahren zu werden. Diese Dramaturgie aus alter Zurückgenommenheit und neuem Sound aus zusätzlichen Instrumenten zieht sich durch die zehn ausnahmslos großartigen Songs.

Zugegeben: den einen oder anderen Klavierschlenker (wie im Refrain von ›Beginners‹) hätte er sich vielleicht sparen können, aber das ist am Ende auch nur neurotisches Suchen nach dem Haar in der Suppe.

»In times like these I should never go away«, singt er. Und es ist nicht nur die romantische Pointe des Liebesliedes ›Slow Dance‹. Es klingt außerdem wie eine Ansage, dass er noch lange nicht bereit ist für Ohrensessel und hochgelegte Füße. Dagegen ist rein gar nichts einzuwenden.

| MARTIN SPIESS

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