/

Abfahrt Leben, Gleis 1

Kulturbuch | Juliane Zimmermann: Der Teufel steckt im ICE

Sie tragen schmucke dunkelblaue Uniformen mit roten Farbakzenten, kennen fast jeden Bahnhof in Deutschland (wenngleich eher selten alle Städte dahinter) und sind geschult im Krisenmanagement: die Zugbegleiter der Deutschen Bahn. Juliane Zimmermann ist eine davon. Was sie während ihrer Fahrten alles erlebt hat, hat sie in einem Buch veröffentlicht. INGEBORG JAISER über das Leben auf der Schiene.

iceEinst verzweifelte die ausgebildete Hotelfachfrau und alleinerziehende Mutter an den Arbeitsbedingungen ihres erlernten Berufes und ließ sich aufgrund des Tipps einer Freundin binnen sechs Wochen zur Zugbegleiterin umschulen. In der begeisterten Vorstellung: »Das musste ein aufregender Beruf sein, ein schöner Job zwischen Abfahrt und Ankunft, Wiedersehen und Abschied. Zwischen großen Gefühlen und ganz viel Menschlichem. Immer unterwegs, jeden Tag etwas anderes. Neue Fahrgäste, neue Strecken, neue Abenteuer.«

Doch schnell weichen die romantischen Ideen einem aufreibenden Berufsleben, das nur scheinbar in »geregelten Bahnen« verläuft. In ›Der Teufel steckt im ICE‹ berichtet Juliane Zimmermann vom alltäglichen Wahnsinn auf deutschen Schienen, von ungeahnten Vorkommnissen und ungehaltenen Fahrgästen, von Bombendrohungen, stundenlangen Zugverspätungen und Unfällen mit Personenschaden. Von verlorenen Gegenständen, die ganze Kuriositätenkabinette füllen könnten und verwirrten Fahrgästen, die sich für Jesus halten – oder mindestens für die Queen.

Doch Zimmermann begegnet allen Widrigkeiten mit Humor, Pragmatismus und dem warnenden Hinweis: Zugbegleiter sind nicht die personifizierte Deutsche Bahn, sondern auch nur Menschen. Nach so viel Werben um Verständnis sieht man dem Buch manch kleine Schwächen nach. Die Fülle lebensnaher Anekdoten birgt auf jeden Fall viele amüsante Déjà-vu-Erlebnisse.

| INGEBORG JAISER

Eine erste Fassung der Rezension entstand für Heft 142 (Mai-Juli 2015) von ›derFahrgast‹.

Titelangaben
Juliane Zimmermann: Der Teufel steckt im ICE
Die abgefahrensten Erlebnisse einer Zugbegleiterin
Köln: Bastei-Lübbe 2015
237 Seiten. 8,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Anspielen gegen das Schicksal

Nächster Artikel

Lauter, nicht anders als die anderen

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Für immer geschlossen

Kulturbuch | 169 Jahre Grotemeyer

Ich habe zunächst überlegt, ob das Buch, das ich vorstellen möchte, nicht zu regional ist, aber: Manchmal liegt im Regionalen ja auch die ganze Welt. Das Kaffeehaus Grotemeyer in Münster, das nach 169 Jahren für immer nun geschlossen bleibt, es steht in der Tradition der alten Kaffeehäuser, die man schnell mit den österreichischen Originalen in Verbindung bringt, es gibt sie aber auch hier, oder besser, es gab sie. Da kommt – so meint BARBARA WEGMANN – schon etwas Melancholie auf.

Kampf um Troja

Kulturbuch | Eberhard Zangger: Die Luwier und der Trojanische Krieg Wer nach Tikal oder sagen wir nach Angkor Vat verreist und sich über Land und Leute informiert, dem wird nicht entgehen, dass überall ein starkes Interesse daran besteht, die eigene Kultur und die eigene Geschichte zu sortieren. Von WOLF SENFF

Auf 42,195 Kilometern in die Sackgasse

Kulturbuch | Matthias Politycki: 42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken Wer schon einmal einen Marathon gelaufen ist, weiß, welche Gefühlsachterbahnen über die geschichtsträchtige Streckenlänge von 42,195 Kilometern entstehen und welche Glückshormone im Zielbereich ausgeschüttet werden. Zugleich ist es für das Umfeld von »Marathonis« bisweilen unverständlich, warum ein solch zeitlicher Aufwand, bisweilen monotone Trainingseinheiten und das nicht endend wollende Leiden ab Kilometer 30, wo der in der Läuferszene berüchtigte »Mann mit dem Hammer« wartet, Anreize sein sollen, um einen Marathon zu absolvieren. Matthias Politycki schreibt in ›42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken‹ über

Weltreise in Sachen Schlaf

Sachbuch | Atlas des Schlafens

Jede Wette: Dieses Buch wird sie wachhalten, obgleich es von Schlaf, Schlafgewohnheiten, vom Träumen, dem Einschlafen und dem Aufwachen bei Mensch und Tier erzählt. Dieses Buch wird sie faszinieren, weil es um etwas geht, dass uns alle angeht, und das ist der Schlaf. BARBARA WEGMANN stellt es Ihnen vor.

Venedig ist viel teurer als Berlin

Kulturbuch | Matthias Zschokke: Die strengen Frauen von Rosa Salva Wir alle glauben, die vielbeschriebene Lagunenstadt zu kennen. Sei es aus den Blickwinkeln von Thomas Mann, Ernest Hemingway oder Donna Leon. Doch Matthias Zschokke räumt auf mit falscher Romantik und Postkartenidylle. Trotzdem ist er schlichtweg überwältigt von Venedig, sogar ›Die strengen Frauen von Rosa Salva‹ haben es ihm angetan! Von INGEBORG JAISER