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Digitales | Bert te Wildt: Digital Junkies – Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder

Für die meisten ist das Internet schon lange kein Neuland mehr. Ob Mails checken, mit Freunden chatten, ob Online-Game oder Online-Fame durch Instagram – wir sind im Netz. Und zwar täglich. Psychotherapeut Bert te Wildt schlägt Alarm, denn der Grat zwischen tatsächlicher Notwendigkeit des Nutzens und einem Suchtverhalten ist schmal. DANIEL MEYER über ›Digital Junkies – Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder‹.

image001 (2)Die Entwicklung des Internets hat unser Leben in vielerlei Hinsicht vereinfacht: Wir können unsere Daten durch Filehosting-Dienste permanent speichern und auf diversen Geräten wieder abrufen. E-Mails und soziale Netzwerke ermöglichen uns den Kontakt zu weit entfernten Freunden und Informationen lassen sich mit nur wenigen Klicks abrufen.

Ereignisse der letzten Jahre lassen uns jedoch auch die Kehrseite der digitalen Revolution erahnen. Spätestens seit der NSA-Affäre liegt ein Schatten über dem einstmals hochgelobten Begriff Internet. Der gläserne Mensch ist schon lange keine einfache Metapher mehr, ist zu einem Symbol der heutigen Datenüberwachung geworden. Einen weiteren, bisher jedoch kaum erforschten Negativaspekt der Internetnutzung spricht nun der Arzt und Psychotherapeut Bert te Wildt in seinem Buch ›Digital Junkies – Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder‹ an – die Internetabhängigkeit.

Das Internet – eine Volksdroge?

Aus einer aufwendigen Umfrage der Universität Lübeck ging hervor, dass 2011 bereits jeder Hundertste in Deutschland internetabhängig sei. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 80 Millionen ergibt das rund 800.000 Menschen, die nicht mehr von dem digitalen Medium ablassen können. Privatdozent und Leiter der Bochumer Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Bert te Wildt wendet sich in seiner Publikation deshalb an die Gesellschaft, um über das neue Krankheitsbild zu informieren, jedoch vorrangig um eines – zu warnen.

Fälle von digitaler Abhängigkeit scheinen sich seit den letzten Jahren zu häufen. Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene lassen sich in der Medienambulanz von Bert te Wildt behandeln. In den meisten Begebenheiten sind es Online-Spielesüchtige, die sich in einem bestimmten Spiel verloren und deshalb langsam von ihrem sozialen Umfeld losgelöst haben. Jedoch sind auch andere Aspekte, so wie die Cybersexsucht oder das zwanghafte Suchen von neuen Freunden in Chats oder sozialen Netzwerken, Teil seiner Beobachtung. ›Digital Junkies‹ ist ein Buch, das sich zum Ziel gesetzt hat über das Erscheinungsbild dieser Suchterkrankungen sowie mögliche Behandlungsarten und Gründe zu informieren.

Ein psychologischer Exkurs in die Gedankenwelt von Suchterkrankten

Obgleich die Strukturierung des Buches stark an eine wissenschaftliche Abhandlung erinnert, schafft Bert te Wildt mit seiner allgemeinverständlichen Erzählweise den Leser gekonnt in die psychologische Welt der Internetsucht einzuführen. Angefangen von der Beschreibung der Krankheiten und möglichen Gründen, werden in den folgenden Kapiteln verschiedene Behandlungswege aufgelistet, um sich aus den digitalen Klauen zu befreien; bis schließlich im letzten Kapitel ein persönlicher Aufruf des Arztes folgt. Dabei behilft sich der Autor immer wieder anhand von Schilderungen seines Arbeitslebens, um dem Leser komplexe Abläufe begreiflich zu machen. Gerade die persönlichen Eindrücke sind es, die dem Werk einen besonderen Stellenwert geben. Sie veranlassen dazu, sich mit den beschriebenen Patienten zu identifizieren, sich selbst zu hinterfragen und über die eigene Nutzung der digitalen Medien nachzudenken.

Die Folgen der digitalen Revolution: Was das Internet aus uns gemacht hat

Doch woher kommt Internetsucht eigentlich? – Wohl eine der Stichfragen dieses Werkes. Bert te Wildt spricht dabei offen von einer Verschiebung des sozialen Gefüges. Wie auch bei anderen Suchterkrankungen sind meistens soziale oder emotionale Ereignisse Grund für erste krankhafte Symptome. Menschen fühlen sich unwohl in ihrem sozialen Umfeld, erhalten im realen Leben nicht die von ihnen gewünschte Aufmerksamkeit und gleiten immer weiter in die digitale Welt ab. Anders als bei vielen psychologischen Krankheiten sieht der Arzt den Grund jedoch nicht primär aufseiten des Patienten. Vielmehr sei es eine Folge der digitalen Revolution, die in den letzten Jahren begonnen hat. Jugendliche, die mit dem Internet aufgewachsen sind, sogenannte ›digital natives‹, sind seit jeher daran gewöhnt, über das Netz mit anderen Menschen verbunden zu sein. Aus diesem Grund schwindet der Anreiz auf reale Kontakte, schließlich ist die Verständigung über soziale Netzwerke wie Facebook oder Whatsapp jederzeit gegeben. Der damit einhergehende Verlust des natürlichen Bedürfnisses nach Nähe sei einer der Gründe für die soziale Verwahrlosung und damit für die entstehende Unzufriedenheit, erklärt Bert te Wildt. Gleichermaßen tragen aber auch erhöhte Stresslevel in Schule und Beruf, der ständige Erreichbarkeitszwang und die nicht existenten Präventionsmaßnahmen seitens Politik und Wirtschaft eine entscheidende Mitschuld.

Die Notwendigkeit von Selbstreflexion

Aus persönlicher Sicht sind es zwei Dinge, die Bert te Wildts Werk zu einem relevanten machen. Zum einen ist es die persönliche Note, die der Autor mit einfließen lassen hat. Zum anderen gab vor allem das letzte Kapitel Anlass zur Selbstreflexion. Te Wildt nennt Präventionsmaßnahmen, die seitens der Politik, aber auch der eigenen Erziehung und Lebensgestaltung Abhilfe gegen mediale Sucht schaffen soll. Haben Sie schon einmal geschätzt wie viele Stunden Sie oder ihr Kind jede Woche im Internet verbringen und das in Relation zu Ihrer wirklichen Freizeit gestellt? Versucht eine internetfreie Woche zu gestalten? Viele Ideen dieses Kapitels beinhalten gute Ansätze, die eigene Lebensweise gründlich zu hinterfragen und sich mit dem eigenen Internetkonsum zu beschäftigen. Das allein macht ›Digital Junkies‹ bereits zu einem lesenswerten Buch: Nicht allein für Psychologie-Interessierte, sondern vielmehr für jeden, der sich in dieser digitalen Revolution noch nicht zu Recht finden kann.

| DANIEL MEYER

Titelangaben
Bert te Wildt: Digital Junkies
Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder
Hardcover, Droemer HC
384 Seiten, 19,99 Euro

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