Gesellschaft | Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet
Fakten. Fakten in erfreulicher Klarheit. Wer seine eigenen Fehler nicht wahrnimmt, nicht erkennt, nicht einsieht, kann nicht lernen. Das schreibt Michael Lüders den westlichen Staaten ins Stammbuch. Er beschreibt die über Jahrzehnte bis ins Detail identisch gebliebene, aggressive Invasionspolitik seitens der USA, Großbritanniens und Kontinentaleuropas. Von WOLF SENFF
Die propagandistischen Klischees, mit denen der CIA die Invasionen vorbereite, seien seit dem Putsch gegen Mossadegh im Iran 1953 unverändert: Ein missliebiger Präsident werde herabgesetzt, verächtlich gemacht, mit Hitler verglichen, im nächsten Schritt würden Randgruppen der Bevölkerung aufgehetzt usw. – wir erinnern uns, diese Prozedur spulten sie ab gegen Saddam Hussein im Irak 2003, gegen Khomeini im Iran, gegen Gaddafi in Libyen, gegen Baschir al Assad in Syrien, gegen Putin in Russland, und man kann sich nur wundern, auf welchem Niveau Journalisten agieren, die diese Spielchen willig mitspielen. Ist’s Spaßgesellschaft? Comedy und Dabeisein ist alles?
»Failed states«
US-amerikanische und europäische Politik sei »nicht auf Interessenausgleich mit anderen Groß- oder Regionalmächten ausgerichtet«, und die USA hätten nicht begriffen, dass »die unipolare Welt aus der Zeit nach dem Mauerfall mittlerweile eine multipolare« geworden sei. Michael Lüders zeigt das beispielhaft an der Situation Syriens zwischen Russland, dem Iran, China einerseits und andererseits dem Westen, der Türkei, den Golfstaaten.
Das mehr oder weniger verdeckte militärische Eingreifen der USA habe bislang in sieben Staaten der islamischen Welt den Zerfall staatlicher Strukturen ausgelöst oder gefördert und radikale islamische Bewegungen starkgemacht. Entsprechend, diesen Hinweis erspart uns Lüders nicht, habe sich der Aktienkurs des größten US-Rüstungskonzerns von Mitte 2010 bis Mitte 2014 verdreifacht, der Begriff ›endloser Krieg‹ beschreibe präzise den Zustand US-amerikanischer Außenpolitik.
Das Kalifat
Und man wundert sich wieder über den weichspülenden Journalismus hierzulande, der uns das kaltblütige militaristische Vorgehen der USA tagtäglich in Zuckerwatte verpackt.
Der ›Islamische Staat‹ sei im Irak ein Machtfaktor und auch in den alten Machtstrukturen bestens vernetzt, ihn als terroristische Gruppe einzuschätzen sei fahrlässig, da er längst ein groß angelegtes islamistisches Staatsprojekt sei, das bestehende Grenzen einreiße.
Funktionierende Strukturen
Er sei das Resultat einer westlichen Politik, die – wohlwollend formuliert – wie der Elefant im Porzellanladen auftrete. So hätten hunderttausend irakische Soldaten auf ihrer Flucht hochmoderne US-amerikanische Waffen zurückgelassen, darunter Panzer und Flugzeuge. In Syrien habe er zahlreiche Lieferungen hochmoderner Waffensysteme abgefangen, deren Wert die New York Times im September 2014 auf mehrere Hundert Millionen US-Dollar bezifferte.
Das Kalifat ›Islamischer Staat‹ mit sechs Millionen Menschen erstrecke sich von den Außenbezirken Aleppos bis an die Stadtgrenzen Bagdads und habe, begleitet von brutaler Repression und menschenfeindlicher Weltanschauung, funktionierende staatliche Strukturen etabliert, es sei »die Quittung für den ebenso völkerrechtswidrigen wie sinnlosen US-geführten Einmarsch im Irak 2003 und die nachfolgende Zerstörung irakischer Zentralstaatlichkeit sowie den Krieg in Syrien«. Eine der großen Gefährdungen liege jetzt in der Instabilität dieser Strukturen.
Wie blöd kann man sein?
Das militärische Eingreifen des Westens habe vor allem bestehende staatliche Infrastrukturen zerstört, Michael Lüders zeigt das auch am Beispiel Libyens, von wo die nun beschäftigungslosen Söldner in ihre afrikanische Heimat zurückkehrten, dort Aufstände initiierten und terroristische Übergriffe in Szene setzten, so die dschihadistischen Boko Haram in Nigeria und die Rebellen in Mali, gegen die Frankreich 2013 militärisch vorgehen musste.
Und stets töne qua Medien die ausgelutschte Propaganda-Leier: der Gegner sei von dämonischer Bosheit, irre, fanatisch, gefährlich usw. usf. Wie blöd kann man sein? Was soll man dazu sagen? Dass man das Fell des Bären erst verteilt, wenn er erlegt ist? Dass Hochmut vor dem Fall kommt? Genau. Wissen wir. Der ruhmreiche HSV spielt bekanntlich seit Jahren gefühlt in der Champions League. Und überhaupt. Vielleicht dass ja doch jemand mit den Füßen auf den Boden kommt, und sei es versehentlich.
Vom Schmoren im eigenen Fett
Es ist tatsächlich der verschlafene Zustand der hiesigen Medien, der sich immer wieder aufdrängt, vor allem wenn man Lüders‘ erhellende Ausführungen über die Rolle Israels liest. Doch die Medien hierzulande: ein täglich weichspülender Journalismus, der uns israelische Politik in Zuckerwatte präsentiert, während die Hamas, Gewinner der palästinensischen Wahlen von 2006, von EU und USA auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt wird.
Die Details des Zustands im Gaza-Streifen nach den israelischen Angriffen 2014 waren, so Ban Ki-moon im Oktober 2014, »jenseits jeglicher Beschreibung«. Nein, westliche Politik sagt dazu lieber nichts, und es ist, wie Michael Lüders wiederholt betont, diese einseitige Wahrnehmung seitens des Westens, die überall ›draußen‹ auf Verständnislosigkeit trifft und Hass hervorruft. Wie sagt man dazu? Da schmort jemand im eigenen Fett? Oder nennen wir das schon Wagenburgmentalität?
Mene mene tekel
Michael Lüders sieht Israel durch einen extremen Nationalismus geprägt – säkular wie religiös –, der sich ebenfalls immer weiter einigelt. »Sollten jüdische und muslimische Extremisten gemeinsam die Region in Brand setzen, wird alles denkbar.«
Er beschreibt eine für den einen oder anderen vielleicht spannende, aber generell außerordentlich explosive »neue Weltunordnung«, und »nichts deutet darauf hin, dass die Regierenden und Meinungsmacher in westlichen Staaten die Zeichen der Zeit verstanden hätten.« Was kann man tun.
Titelangaben
Michael Lüders, Wer den Wind sät
Was westliche Politik im Orient anrichtet
München: C. H. Beck 2015
176 Seiten, 14,95 Euro
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