Porträt | Interview mit Jean-Philippe Blondel über seinen Roman ›Direkter Zugang zum Strand‹
Mit ›6 Uhr 41‹ gelang dem französischen Schriftsteller Jean-Philippe Blondel hierzulande ein Bestsellererfolg. Sein zweiter ins Deutsche übersetzte Roman ›Direkter Zugang zum Strand‹ ist wie ein Puzzle, das sich vor dem Hintergrund des Meers entfaltet. BETTINA GUTIÉRREZ hat ihn hierzu befragt.
In Ihrem Roman ›6 Uhr 41‹ erzählen Sie die Geschichte von Cécile und Philippe, die sich seit 27 Jahren nicht mehr gesehen haben und nun im gleichen Zugabteil sitzen. Sie erkennen sich wieder, aber sprechen nicht miteinander.
Blondel: Ich wollte von den Schicksalen zweier Personen erzählen, die sich kennenlernen und aufgrund dessen unterschiedliche Richtungen einschlagen. Cécile hat ihr Leben verändert, weil sie gedemütigt wurde, während Philippe, der sie gedemütigt hat, wiederum eines Besseren belehrt wurde. Ich fand es interessant, wie ein Schicksal so entgleisen kann. Ich glaube, dass wir alle eine unglückliche Liebesgeschichte erlebt haben. Und dass man, wenn man die Person, unter der man gelitten hat 30 Jahre später wiedersieht, wenn also die Zeit vergangen ist und sie sich verändert hat, darüber lachen kann und nicht mehr darunter leidet.
Während der Zugreise lassen beide ihr Leben Revue passieren. Ist das eine Art »middle life crisis«?
Das ist keine richtige Krise; sie ziehen eher Bilanz und werden sich dessen bewusst, dass ihr Leben seit ihrer ersten Begegnung im Alter von 22, 23 Jahren ganz anders als erwartet verlaufen ist. Das bedeutet, dass sie bevor sie sich nach 27 Jahren im Zug wiedergesehen haben, gar nicht wussten, wie wichtig dies für sie war.
Ihr Roman ›Direkter Zugang zum Strand‹ ist ganz anders und spielt sich im Sommer und an der französischen Atlantikküste ab. Hier schildern Sie die Begegnungen, Verfehlungen und Abenteuer Ihrer Protagonisten. Was ist das Leitmotiv?
Ich würde sagen, das Leitmotiv ist, dass man darauf vertrauen soll, dass das Leben voller Überraschungen ist. Meine Protagonisten gehen verschiedene Wege, treffen aufeinander, begegnen sich wieder, lieben und hassen sich. Doch für jeden von ihnen ist der Weg, den sie gehen ungewöhnlich, und fällt in gewisser Weise aus dem Rahmen.
Warum haben Sie den Strand als Handlungsschauplatz gewählt?
Der Strand gehört noch zu den seltenen Orten, an dem alle gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen Seite an Seite liegen. Und im Angesicht des unentwegten Meeres wird deutlich, wie zerbrechlich unser Leben eigentlich ist. Der Strand ist auch der einzige Ort, an dem sich die Menschen entblößen, so wie meine Romanhelden, die sich körperlich und geistig entblößen.
Obwohl sie sich meist unerwartet zusammenfinden, hat man als Leser den Eindruck, dass dies wiederum nicht dem Zufall geschuldet ist.
Das hängt mit meiner Rolle als Autor zusammen. Sie haben zwar den Eindruck, dass sie sich zufällig treffen, doch ich als Autor habe schon alles geplant. So werden aus den Hauptpersonen der 70er Jahre die Nebenpersonen der 80er und 90er Jahre. Letztendlich kreuzen sich die Wege aller meiner Protagonisten.
Die Handlung erstreckt sich über die 70er, 80er, 90er und 2000er Jahre.
Ich habe dieses Buch im Jahr 2002 geschrieben. Ich wollte eine persönliche und historische Bilanz aus all dem, was sich in den letzten dreißig Jahren ereignet hat, ziehen.
Hannah und Otto Gromer kommen aus der DDR und sind nach Frankreich ausgewandert. Hat diese Personenwahl einen besonderen Grund?
Meine Frau stammt aus dem Elsass und mein Schwiegervater war Deutscher. Er konnte seine Familie, die in der DDR lebte, vor dem Mauerfall nicht sehen. Das hat die Familie meiner Frau sehr geprägt.
Am Ende der Lektüre von ›Direkter Zugang zum Strand‹ bleibt der Leser mit dem Gefühl, dass das Leben manchmal sehr fragil und flüchtig sein kann.
Ja, das stimmt. Wenn dieser Roman eine Botschaft enthält dann lautet sie, dass man auf seine Mitmenschen achten soll, auf die Freunde und auf diejenigen, die einem vertraut sind. Das ist uns zwar bewusst, aber wir vergessen es oft. In seiner ›Japanischen Chronik‹ schreibt Nicolas Bouvier: «Wir gehören alle zusammen, doch wir erinnern uns nicht mehr daran.« Ich wollte, dass mein Roman dieses schöne Zitat veranschaulicht.
Welche Bedeutung hat das Schreiben für Sie?
Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Das Schreiben ist Teil meines Lebens. Ich schreibe jeden Tag eine Stunde; ich unterrichte auch Englisch an einem Gymnasium, bin verheiratet und habe zwei Töchter. Ich kann nicht leben, ohne zu schreiben. Das Schreiben ist sozusagen der Mittelpunkt meines Lebens.
Schreiben Sie an einem neuen Roman?
Ja, im Januar 2016 erscheint in Frankreich bei Buchet-Chastel mein Roman ›Mariages de Saison‹.
Titelangaben
Jean-Philippe Blondel: Direkter Zugang zum Strand
München: Piper Verlag 2015
160 Seiten. 16,99 Euro
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