Maskuline Maskeraden

Roman | Siri Hustvedt: Die gleißende Welt

Ist die Wahrnehmung und Wertung künstlerischen Schaffens von Gender, Rasse, Berühmtheit abhängig? Blockiert versteckter Sexismus im Kulturbetrieb systematisch den Erfolg und Aufstieg von Frauen? Siri Hustvedts neuer Roman ›Die gleißende Welt‹ verquickt diskursverliebt wissenschaftliche Thesen mit einer mehrfach schillernden Handlung. Von INGEBORG JAISER

Buchcover - Siri Hustvedt Die gleißende WeltLange Zeit geht das Schaffenswerk der talentierten und zuweilen exaltierten New Yorker Künstlerin Harriet Burden an der Seite ihres Ehemanns Felix Lord, einem renommierten Kunsthändler, unter. Nach seinem Tod erleidet sie einen Zusammenbruch und begibt sich in psychiatrische Behandlung. Doch dann nutzt sie die ihr verbleibenden Jahre für ein eigenwilliges Projekt, ein bestechliches Spiel mit Identitäten und Masken. Ihr künstlerisches Werk soll von drei Strohmännern als das eigene ausgegeben und auf Ausstellungen präsentiert werden. Denn: „Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien, schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein Paar Eier ausmachen kann.“ Das Projekt der Maskierungen soll frauenfeindliche Tendenzen enttarnen und die prinzipiellen Mechanismen der Wahrnehmung – nicht nur in der Kunstwelt – offenlegen.

Protegierte Strohmänner

Drei Künstler spannt Harriet als Zugpferde ein, indem sie ihnen Ruhm, Erfolg, Ehre in Aussicht stellt. Doch längst nicht alles verläuft nach Plan. Dem jugendlichen Anton Tish wächst der Hype über sein angedichtetes Wunderknaben-Dasein über den Kopf und er macht sich rasch aus dem Staub. Der homosexuelle Schwarze Phineas Q. Eldridge verfängt sich wiederum selbstverliebt in der eigenen Identität. Und mit dem dritten Kompagnon, der lediglich das Pseudonym »Rune« trägt, begegnet Harriet einem unerwartet starken Gegner, der den Spieß umdreht, seine eigenen Experimente inszeniert, jedoch tragischerweise selbst dabei umkommt. Zurück bleiben Mysterien, ungeklärte Fragen, Dissonanzen.

Aufgerollt wird die ganze Geschichte durch die geplante Anthologie einer Kunsthistorikerin. Als wortgewaltiges Puzzle vereint ›Die gleißende Welt‹ fiktive Interviews und Tagebuchauszüge, Zeugenaussagen und Zeitungsberichte – ein polymorphes Gebilde aus sich widerstreitenden Aussagen, ein hoch komplexes, mehrfach verschachteltes Mosaik aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wir vernehmen die aufgebrachte, wütende Stimme einer unterschätzten Installationskünstlerin, die als aufgedunsene Matrone und verwirrte Schreckschraube wahrgenommen wird. Taumeln durch pseudointellektuelle Erklärungsversuche aus journalistischer und wissenschaftlicher Sicht. Schlittern durch die ausufernde Gedankenwelt von Kierkegaard, Nietzsche, Husserl.

Disparates Stimmengewirr

Keine leichte Kost ist diese fast 500 Seiten umfassende Textmontage, in die Siri Hustvedt geballtes Wissen und seitenlange Ausführungen zu verschiedensten Disziplinen untergebracht hat: Kunst und Literatur, Philosophie und Psychologie, Linguistik und Neurowissenschaften, Gender-Diskussionen und Familienaufstellungen. Gespickt mit Fußnoten, Referenzen, Querverweisen, die – exemplarisch überprüft – nicht am Wahrheitsgehalt zweifeln lassen. Es ist, als ob die vielbelesene, hochintelligente, diskursverliebte Autorin ausrufen würde: »Seht her, was ich alles weiß!« Als ob sie sich selbst aus dem Dilemma der möglicherweise unterschätzten Urheberin herauskämpfen würde. Natürlich hat der Leser längst erkannt, dass Siri Hustvedt als Autorin, Essayistin und Grenzgängerin zwischen den Disziplinen erheblich mehr darstellt, als die Ehefrau von Paul Auster oder die Tochter eines Skandinavistik-Professors oder ›Die zitternde Frau‹ zu sein.

Brillantes Feuerwerk

›Die gleißende Welt‹ hat die Struktur einer russischen Puppe: Mit jeder Schicht, jedem Textschnipsel tritt ein neues Gebilde zutage – geschickt arrangiert, schlau inszeniert. Wer gewohnt ist, wissenschaftliche Texte zu lesen, wird diesen elaborierten Mix aus Fiction und Non-Fiction lieben. Wer jedoch einen linearen Plot und klare Erzählstränge sucht, verzweifelt am verkopften Arrangement und den seitenlangen zähen Abhandlungen dieses Romans. Dass die englische Sprache hier deutlich mehr Geschmeidigkeit aufweist, zeigen die Lesungen Siri Hustvedts, die auf ihrer kleinen Deutschlandtournee ausgewählte Textpassagen wohltuend rhythmisch und melodisch vorträgt. Dann erstrahlt ›Die gleißende Welt‹ zu einem funkelnd brillanten Feuerwerk!

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Siri Hustvedt: Die gleißende Welt
Übersetzt von Uli Aumüller
Reinbek: Rowohlt 2015
496 Seiten, 22,95 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwei rechts, zwei links…

Nächster Artikel

Romantik mit Huhn

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die unbekannteste Band eines untergegangenen Staates

Roman | Thomas Brussig: Beste Absichten Wenn Thomas Brussig erzählt, wird es nie langweilig. Nur aufpassen muss man. Denn leicht verleitet den Berliner Autor sein Temperament, den schmalen Grat zwischen Verbürgtem und Hinzufantasiertem zu überschreiten. Von DIETMAR JACOBSEN

Der ewig suchende Erinnerungskünstler

Roman | Patrick Modiano: Damit du dich im Viertel nicht verirrst Ein neuer Roman des Nobelpreisträgers Patrick Modiano ist erschienen – ›Damit du dich im Viertel nicht verirrst‹. Eine Rezension von PETER MOHR

Im Auftrag der »Abteilung«

Roman | Andreas Pflüger: Endgültig Andreas Pflüger kennt man vor allem als Drehbuchautor. Mehr als zwanzig ARD-Tatorten haben seine Ideen zur Bildschirmpräsenz verholfen. Auch Theaterstücke und Hörspiele stammen aus der Feder des 58-Jährigen. Romane freilich gibt es von ihm bisher nur zwei: Operation Rubikon von 2004 und nun, in diesem Jahr, Endgültig. Das soll sich freilich ändern. Denn die Geschichte um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron sei noch lange nicht zu Ende erzählt, bekundet ihr Erfinder im Nachwort zu seinem Roman. Von DIETMAR JACOBSEN

Fremd in der Heimat

Roman | Thomas Hürlimann: Heimkehr »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus«, heißt es in Schuberts Winterreise. Ums Fremdsein, um die schmerzhafte Suche nach eigenen familiären Wurzeln und um die Suche nach einem Wohlfühl-Ort geht es auch in Thomas Hürlimanns neuem opulenten Roman Heimkehr. Von PETER MOHR

Hochzeiten und Todesfälle

Roman | Thommie Bayer: Die kurzen und die langen Jahre Als Rock-Poet, Journalist, Drehbuchschreiber und Maler ist der Autor Thommie Bayer ein wahrer Tausendsassa. Sein neuester Roman Die kurzen und die langen Jahre kreist erneut um die ganz großen Themen: Liebe und Musik. Eine melancholische Zeitgeistreise ist er ohnehin. Von INGEBORG JAISER