Ein schöner Raum für Hoffnung

Comic | Tommi Musturi: Das Handbuch Der Hoffnung

Vor ein paar Jahren war Tommi Musturi noch ›Unterwegs Mit Samuel‹. Nun liegt hierzulande ein weiterer Comic von ihm vor: ›Das Handbuch der Hoffnung‹, ein schmuckes Kleinod, das seinen unaufgeregten Existenzialismus ernst nimmt und vor eine wunderschöne Kulisse stellt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Hoffnung»Kalsarikännit« – das ist das finnische Wort für »sich alleine zu Hause betrinken«. Alkohol scheint zwar nicht die Sache von der alternden Hauptfigur in Tommi Musturis neuem Comic zu sein. Aber die Unterhose ist schon eines der Kleidungsstücke seiner Wahl, wenn er zu Hause übers Leben nachsinnt. Irgendetwas hat er verloren in den letzten Jahren, vielleicht hat er es auch nie gefunden. Gründlich studiert er die Todesanzeigen, »Mann, fühl ich mich leer«, fällt ihm dazu ein. »Bring den Müll raus«, sagt seine Frau. Man bekommt sie selten zu sehen im ›Handbuch der Hoffnung‹, aber sie ist für ihn da. Dank ihr fällt warmes Licht aus den Fenstern ihres gemeinsamen Hauses. Auch dann, wenn ihm das Gefühl beschleicht, die Welt wird ihm fremd und er sich selbst noch fremder. Schließlich kann sie ihn mit der simplen Erkenntnis beruhigen, dass das manchmal so ist. Außerdem hat sie einen Platz gefunden, wo es gute Preiselbeeren gibt.

Die unerträgliche Leichtigkeit des …

Es gibt viele Momente, in denen er seinen Arsch nicht hoch kriegt. Dann weiß er nicht wohin, träumt sich nicht mal mehr in seine Vergangenheit oder in wildere westlichere Gefilde hinein. Nicht mehr dahin, wo Männer vor klar formulierte Aufgaben gestellt werden, die sie zu Helden machen. Öfter noch aber streift er durch Wald und Flur, sich selbst mit existenzialistischen Fragen löchernd. Trotz der Schwere der Gedanken ist der Comic eher meditativ als reflexiv. Da kann ein Spielzeugboot kentern, sich ein atomarer Supergau ereignen, der Tod einem gegenüber am Pokertisch sitzen oder schlicht und ergreifend die Welt untergehen: ›Das Handbuch der Hoffnung‹ ist eine kontemplative Erfahrung.

Abb: Avant
Abb: Avant
Einsichten offenbaren sich zwar auch in den streng mit vier mal zwei Panels gelayouteten querformatigen Seiten eher unspektakulär und wie im nebenher. Die Zeichnungen und ihre kräftige Kolorierung sind allerdings schon kleine Spektakel. Den reduzierten, klar umrissenen Figuren – oder besser: Der Figur, in den allermeisten Fällen sieht man nur den alten Mann – und den bei aller Vereinfachung sehr nuanciert gestalteten Hintergründen begegnet Musturi mit einer reichen Farbpalette. Der finnische Künstler macht allein schon durch seine Bilder deutlich, dass das, was seinem Helden trist und grau erscheint, voller bunter Details steckt – und dass es sich lohnt, sich in diesen zu verlieren, bevor man sich selbst verliert.

… Sein, Sollens, Wollens und Könnens

»Was sollen wir tun (…) mit diesem Leben«, fragt der alte Grübler sich, als er doch einmal alleine am Küchentisch in Unterhosen trinkt. »Was der Mensch so tut«, weiß seine Frau als Antwort, woraufhin er die Flasche wieder schließt – wohl wissend, dass das leichter gesagt ist als getan. Wer aber weiß, was er will, der weiß auch, was man tun kann. Comics zum Beispiel. Tommi Musturi macht das sehr gut. ›Das Handbuch der Hoffnung‹ belegt dies eindrucksvoll und in betörender Optik.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Tommi Musturi: Das Handbuch Der Hoffnung
Aus dem Finnischen von Lauri Peltonen und Elena Kritzokat
Berlin: Avant-Verlag 2015
224 Seiten, 29,95 Euro

Reinschauen
| Leseprobe
| Homepage des Künstlers

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Anfang und Ende

Nächster Artikel

Berardi und »Poetische Quellen«

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die Fabel der neurotischen Katze

Comic | Alexander Braun (Hrsg.): George Herrimans ›Krazy Kat‹ George Herrimans Comic-Strips der Serie ›Krazy Kat‹ gelten als Pionierwerke der Comickunst, noch lange bevor Comic-Hefte oder Graphic Novels gesellschaftsfähig wurden. Über zehn Jahre, von 1935 bis 1944, zeichnete Herriman einseitige Strips in der Sonntagsausgabe der US-amerikanischen Zeitung ›Evening Journal‹. Die Handlungsstränge zwischen einer Katze, einer Maus und einem Hund legen damit das Fundament für viele Zeichner und gelten die Inspiration für viele weitere Geschichten – von »Tom & Jerry« bis zu Charles M. Schulz‘ ikonischem »Charlie Brown«. So war es längst überfällig, dass der Comic-Experte Alexander Braun nun sämtliche Sonntagsseiten

Pin-Up-Krimi

Comic | Mirka Andolfo, Gianluca Papi: Contronatura Der erste Band von Mirka Andolfos Comicreihe ›Contronatura‹ entwirft das Szenario eines von anthropomorphen Tieren bevölkerten Überwachungsstaats, der die Reproduktion seiner Spezies forciert – und anhand seiner schweinisch-niedlichen Heldin einen Verschwörungskrimi zwischen Superhelden-, Manga- und Pin-Up-Optik lostritt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Spaziergang über den Salon

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014   Niemand kann auf dem Comic Salon alle Leute treffen, mit denen er sich gern mal wieder unterhalten würde, niemand innerhalb von vier Tagen alle Veranstaltungsorte besuchen oder an allen Programmpunkten teilnehmen, die ihn interessieren. Trotzdem könnte man ohne Mühe ein gutes Dutzend Artikel schreiben über das, was man an Bemerkenswertem und Kuriosem erlebt hat. Abseits der zentralen Pflichttermine wie der Elefantenrunde der Verlage und der Verleihung der Max-und-Moritz- und der ICOM-Preise hat ANDREAS ALT Seitenblicke auf das Festival geworfen, die etwas von seiner Vielfalt einfangen.

Der Nöb fragt … LEVIN KURIO

Comic | Inteview Levin Kurio ist der Verleger von und Künstler bei der Heftschmiede Weissblech Comics. Geht’s um jene von uns heiß geliebten Bildergeschichten, sind die Sorgen und Nöte angehender junger Geisteswissenschaftler eher nicht sein Steckenpferd. Die Held*innen seinen Verlags heißen Captain Berlin, Bella Star oder Kala – Menschen, die sich als Hauptstadt-Superheld, Nackte im Weltall oder Urwaldamazone behaupten. Stark! Findet CHRISTIAN NEUBERT

Portrait des Widerstands

Comic | Marc Ley (Texte)/ Alain Grand (Texte und Zeichnungen): Kinder der Hoffnung Für gewöhnlich sinkt die Qualität eines literarischen Werkes, wenn es in die Form des Films oder des Comics übertragen wird – das gilt aber wohl auch vice versa. Doch bei Marc Levys Roman ›Kinder der Hoffnung‹ trifft dies nicht zu. Die Graphic Novel dazu ist (beinahe) genauso gut wie das ursprüngliche Buch über die französische Résistance in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Das liegt wohl auch daran, dass Levy selbst sein literarisches Werk zum Comic gemacht hat – gemeinsam mit dem Zeichner und Texter Alain Grand. PHILIP