Gesellschaft | Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine
Der Beginn der Abweichung, des Irrwegs, findet sich verschieden datiert bei so unterschiedlichen Koryphäen wie Martin Heidegger, Lewis Mumford, Hanspeter Padrutt, die Reihe ließe sich fortsetzen. Doch wichtiger wäre zurzeit eine Antwort auf die Frage, weshalb niemand auf sie gehört und ihre Überlegungen in politische Praxis umgesetzt hätte. Von WOLF SENFF
Nun sind wir bass erstaunt, wer hätte das ahnen können, die Sackgasse ist erreicht, das Tempo indessen nimmt rasant zu, die einzige Frage ist lediglich noch, ob wir den Fuß vom Gaspedal und auf die Bremse bekommen, bevor es uns alle miteinander gegen die Wand knallt. Und nein, Paris, es reicht keineswegs aus, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das Problem ist von grundsätzlicher Beschaffenheit.
Entzauberte, dekonstruierte Geschichte
Achtzig Prozent der Deutschen, so die ZEIT im August 2012, wünschen ein anderes Wirtschaftssystem. Was, fragt man sich, ist eigentlich Aufgabe der Politik und wer ist hierzulande Wirtschaftsminister? Da läuft etwas, wie lange schon, reichlich aus dem Ruder. Unübersehbar. Wo bleiben unsere Großbuchstabengazetten, um Ärger und Empörung in Schlagzeilen zu übersetzen?
Das hat seine Gründe, nachvollziehbar, ist jedoch keineswegs tröstlich, es hat mit der Sackgasse zu tun. Fabian Scheidler erklärt uns die »Geschichte einer scheiternden Zivilisation«, er liefert das Kleingedruckte zum Thema ›Umdenken‹, indem er die herkömmliche Geschichte entzaubert, entmythologisert, dekonstruiert. Es ist von Vorteil, den Tatsachen ins Gesicht zu blicken.
Jahrtausendelang in die Irre geführt
Die Ursprünge für den Geld-Krieg- bzw. den »Militärisch-industriellen Komplex« (Dwight Eisenhower, 1961) datiert Scheidler auf den Beginn der militärischen Nutzung von Metall, die in Mesopotamien zum ersten organisierten Krieg der Geschichte führte. Assyrien produzierte und nutzte seit etwa 1000 v. Chr Stahl für die Ausrüstung seiner Armeen.
Auch für seine Suche nach den Ursprüngen von Herrschaft bzw. des Entstehens von hierarchischem Denken schlägt Scheidler einen zeitlich imposanten Bogen. Der maßgebliche Schritt sei die Herausbildung einer Schicht privilegierter Experten in Sumer zu Beginn des dritten Jahrtausends gewesen, zeitgleich und ursächlich verknüpft mit der Verwendung von schriftlichen Zeichen, und mit Claude Lévi-Strauss nennt er als primäre Funktion von Schrift, »die Versklavung anderer Menschen zu erleichtern«.
›Geld-Krieg-Komplex‹
Unser Mainstream wird Scheidler als einen Verschwörungstheoretiker denunzieren oder ihn bestenfalls ignorieren, zumal er den biblischen Jesus als einen Aufständischen charakterisiert und dessen ›Himmelreich‹ als ein antiimperiales Symbol gegen die Herrschaft Roms. Scheidlers Version locker abzutun, wäre jedoch falsch, nicht zuletzt deshalb, weil uns Tag für Tag klarer wird, dass die westliche Zivilisation den Planeten schnurstracks ins Desaster führt, sofern sich nichts Grundlegendes ändert.
Triebkraft dieser Geschichte sei von Anfang an der erwähnte ›Geld-Krieg-Komplex‹ gewesen, maßgeblich für die spanische Inbesitznahme von Teilen Amerikas, für die Inquisition, für die Abschaffung der gemeinschaftlichen Allmende-Kultur nebst Niederschlagung der bäuerlichen Aufstände – die Herausbildung einer europäischen ›Zivilisation‹ sei untrennbar verknüpft mit der kompromisslosen Beseitigung aller sozialen Widerstände.
Zählen und Messen
Im Calvinismus habe sich die christliche Tradition mit dem kapitalistischen Projekt verbunden, die Verdammten und Auserwählten der Johannes-Offenbarung seien mittels der neuen ökonomischen Brille zu von Gott verdammten Armen und den auserwählten Reichen geworden, und die neue Logik des Marktes wurde von den in England marginalisierten Puritanern in die nordamerikanischen Kolonien getragen, all das von Anfang an begleitet von unvorstellbar grausamer Ausrottung der dort lebenden Ureinwohner, beispielhaft im Massaker am Mystic River im Jahr 1637.
Entsprechend setzte sich mit den entstehenden Naturwissenschaften das Zählen und Messen als Prinzip der Wahrnehmung von Welt durch, eine mechanistische, reduzierte Betrachtung des Lebens. Tiere waren für Descartes »Automaten, so mechanisch wie eine Uhr«, und im Grunde entsteht ein wiederkehrendes Narrativ, das der Machtausübung dient, sei es die Erfassung – Zählen und Messen – der Wälder, sei es die der Menschen als Steuerzahler und als Soldaten für den Krieg. Als Mittel der Machtausübung etabliert sich der Staat.
Die Megamaschine
Die Disziplinierung des Menschen von ca. 1600 bis 1800 habe in den Armeen, in der Arbeitswelt, in den Schulen der Etablierung von Herrschaftsstrukturen gedient – Scheidler entwirft eine Schwarze Geschichte ähnlich der Schwarzen Pädagogik und der Schwarzen Theologie und sieht, indem sich die »Logik der exponentiellen Geldvermehrung mit der schier unerschöpflichen Brennkraft der Kohle« verbindet, im frühen neunzehnten Jahrhundert die Strukturen einer gigantischen Megamaschine, die den Menschen und die Natur ihren Bedürfnissen unterwirft und uns heute nur noch vor die Frage stellt, ob und wie wir aus diesen Strukturen aussteigen können, bevor der größte Teil des Planeten endgültig verwüstet ist.
Er weist auf die Automobilindustrie als eine im Vergleich zur Eisenbahn ausgesprochen irrationale Erfindung, die jedoch im »Golden Age of Capitalism«, den drei Dekaden nach 1945, bedenkenlos umgesetzt und vorangetrieben wurde, sie wurde strategisch vermarktet als ein Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit; in den USA wurde der über das ganze Land etablierte öffentliche Nahverkehr systematisch zerstört.
Bremse und Rückwärtsgang
Heute sind die Folgen neoliberaler Politik unübersehbar, Scheidler erinnert an die Schuldenkrisen der achtziger und neunziger Jahre sowie an die verheerende globale Finanzkrise 2008 und konstatiert einen generellen Verfall staatlicher Macht sowie den dramatischen Verfall von Infrastruktur speziell in den USA.
Ein Charakteristikum unserer Gegenwart liege in der generellen Unvorhersagbarkeit krisenhafter Einbrüche. Die Megamaschine stoße an Grenzen, und trotz aller propagandistischen Bestrebungen sogenannter Think Tanks geraten die Dinge außer Kontrolle, die einzig sinnvollen Maßnahmen, Bremse und Rückwärtsgang, seien im System der Megamaschine nicht vorgesehen, ein Chaos zeichne sich ab.
Perspektiven für einen Übergang
Scheidler sieht uns in einem Übergang, der sich dem aufmerksamen Beobachter auf vielfältige Weise offenbare, jedoch an traditionellen theoretischen Leitlinien nicht einzubinden sei, es existiere kein Masterplan. Jedoch werde an Tausenden von Kämpfen gegen Bergbauprojekte, Ölbohrungen, Fracking, Pipelines etc. p.p., an genossenschaftlichen Organisationsformen, Netzwerken, bäuerlicher Selbstorganisation u.a. deutlich, dass bereits Alternativen erfolgreich arbeiten.
Es gehe vor allem darum, dass wir uns von den Zwängen der Kapitalakkumulation befreien und das Areal des Gemeinsamen wiederentdecken, es gehe um die Entmilitarisierung der Gesellschaft sowie generell um einen Abschied von dem selbstherrlichen Projekt, dass der Mensch die Natur beherrsche; Fabian Scheidler präsentiert eine realistische Sicht der Dinge, und wir sehen, die Dimension des Übergangs ist gewaltig.
| WOLF SENFF
Titelangaben
Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation
Wien: Promedia 2015
272 Seiten, 19,90 Euro
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