Die Banalität der Familie

Lotta Sjöberg (Texte und Zeichungen): Family Living. Die ungeschönte Wahrheit

In sogenannten Frauen- und Lifestyle-Zeitschriften wird gerne behauptet, wie einfach und ordentlich das Leben als Elternteil sein könne, wie gut sich Beruf, Familie und »gesunde« Ernährung kombinieren ließen. Gegen diesen propagandistischen Nonsens – den partiell auch manche liberale Feministin rezipiert – hat die schwedische Cartoonistin Lotta Sjöberg eine kleine Graphic Novel geschaffen, mit dem Titel ›Family Living. Die ungeschönte Wahrheit‹. Das Buch möchte gerne ein Pamphlet gegen solche überzogenen unrealistischen Ansprüche und gleichzeitig eine Hymne auf ein chaotisches, aber liebevolles Familienleben sein, ist jedoch vor allem eines: langweilig. PHILIP J. DINGELDEY hat sich das Buch ständig gähnend angesehen.

Family LivingDer Comic ist eine Reihe mal isolierter, mal sich aufeinander beziehender One-Pager-Cartoons, unterteilt in fünf, mal systematisch, mal chronologisch gegliederte Parts, wobei normalerweise ein Bild eine Seite ausmacht. Die Handlung ist denkbar simpel und alltäglich: Einem namenlosen Ehepaar mit drei Kindern wird es in einer Zweizimmerwohnung zu klein. Die Familie zieht um, bekommt daraufhin Finanzprobleme. Die Renovierung sowie die Versorgung und die Erziehung von drei Kindern wächst dem Paar ständig über den Kopf. Eine Karriere ist für die beruflich abgehängte Frau nicht mehr möglich, die Eltern haben, bei aller Liebe für die Kinder, alltägliche Gewissensbisse, müssen ständig Notlösungen finden und den Überblick im Chaos behalten und pfeifen en passant auch noch auf alle möglichen Trends. Darunter leidet auch das Sexleben des Paares. Trotz vieler solcher Negativpunkte will der Graphic Novel jedoch immer das unorthodoxe Familienleben preisen.

Inspiration nahm Sjöberg dafür von einer Facebook-Gruppe, in der Fotos von unordentlichen Familienhaushalten publiziert wurden, aus denen dann dieser Comic wurde. Leider hat sie aus diesem ohnehin schon durchschnittlichen und nicht besonders spannenden Material nicht besonders viel gemacht.

Die Zeichnungen beispielsweise wirken auf den ersten Blick durchaus noch witzig, wenn grob gezeichnete Schwarz-Weiß-Figuren mit übergroßen runden Köpfen interagieren, aber schon nach ein paar Seiten ist auch dieser Charme verflogen. Die in den Zeichnungen verwendeten Metaphern und Analogien sind auch nicht gerade innovativ. Etwa die, dass die fünfköpfige Familie in einer Konservendose lebe, um zu veranschaulichen, wie eng es in der Wohnung geworden sei (wie hätte so etwas das Paar auch vor der Reproduktion ahnen sollen?), oder dass die Mutter als Tiger ihre Kinder schütze, aber für sich selbst nicht einmal wie eine Kuschelkatze einstehen könne. Ansonsten wirken die Zeichnungen auch recht lieblos hingeschmiert, ohne Liebe zum Detail.

Darauf hat also die Welt gewartet?

Text und Handlung sind aber auch nicht besser. Möchte ein Künstler einen Comic zum Familienalltag kreieren, so muss er die Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit des Plots mit besonderen Ereignissen oder einem aufregenden Stil kompensieren, wie es auch schon einige Cartoonisten vor Sjöberg adäquat getan haben. In diese Reihe kann sie sich aber nicht einordnen, denn der von ihr geschilderte Familienalltag wirkt langweilig und lahm. Der Leser fragt sich die ganze Zeit: Auf ein solches Kunstwerk soll die Welt gewartet haben?

Denn alles an diesem Comic ist eine banale Mediokrität. Vielen Lesern werden die hier geschilderten Szenen nur allzu bekannt sein, kaum neue Erkenntnisse oder Gedanken generieren. Etwa brauchen viele keinen Comic zu lesen, um zu wissen und zu kritisieren, dass es nur schwer, wenn überhaupt möglich ist, Beruf und Familie zu vereinen. Darüber hinaus ist das Werk nicht einmal ein origineller Witz über das Wohlbekannte.

So erklärt es sich auch, warum die Protagonisten namenlos bleiben. Sie sind nämlich ein pars pro toto für das allgemein chaotische Familienleben, ohne dass sie ein eigenes Profil oder einen eigenen Charakter bilden würden, nein, sie bleiben meist eindimensional. Reißen sie doch mal aus dieser Eindimensionalität aus, die alles in diesem Comic vorhersehbar macht und fast schon ein deterministisches Bild vom Familienleben skizziert, so tun die Protagonisten dies nur, um noch naiver zu wirken, als man ohnehin schon befürchtet hatte.

Damit wird ›Family Living‹ zu einem Stereotyp, das wiederum ein anderes Stereotyp bekämpft. Eben das der perfekten Familie sowie das der Haus- und Karrierefrau, denn die verallgemeinerten Handlungen und Protagonisten bleiben stets auf einer flachen Ebene und hinterlassen einen laschen Geschmack beim Leser, der sich höchstens daran erfreuen wird, dass man diesen Comic sehr schnell und ohne sich viele Gedanken machen zu müssen, durchblättern kann.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Lotta Sjöberg (Texte und Zeichungen): Family Living. Die ungeschönte Wahrheit
Aus dem Schwedischen von Ulrike Samuelsson
Zürich, Edition Moderne 2015
176 Seiten, 19,80 Euro
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