Eine Space-Soap-Opera

Brian K. Vaughan (Autor), Fiona Staples (Zeichnungen): Saga eins (Saga Volume 1)

Marko und Alana haben die üblichen Sorgen frischgebackener Eltern: Stinkende Windeln, wenig Schlaf, Probleme mit der Namensfindung, Beziehungsstress wegen seiner Ex und die Frage, ob die junge Liebe dieser ersten großen Belastungsprobe standhalten wird. Darüber hinaus sind die beiden fahnenflüchtige Soldaten in einem intergalaktischen Krieg. BORIS KUNZ über den ersten Band von Saga, einer vielversprechenden, preisgekrönten, erfrischenden Comicreihe aus dem Hause Image.

staple
Warum genau es jetzt gefunkt hat zwischen der Wärterin Alana und dem Gefangenen Marko erfahren wir zunächst nicht. Brian K. Vaughan (Y- The Last Man, Ex Machina) wirft uns mitten hinein in die Geschichte und beginnt mit einem Ereignis, das selbst in diesem bizarren Universum beinahe eine Unmöglichkeit zu sein scheint: Die geflügelte Alana, geboren auf dem Planeten Landfall, und der gehörnte Marko von dem Landfall umkreisenden Mond Ranke, bringen gerade auf der Werkbank in einer schäbigen Garage auf dem Drecksplaneten Kluft, auf dem sich eigentlich nur noch Gefangene und Strafversetzte befinden, heimlich ihr gemeinsames Kind auf die Welt. Das Mädchen, das bald auf den Namen Hazel hören wird, ist das erste Mischlingskind zweier Rassen, die bereits so lange miteinander im Krieg liegen, dass sie diesen Krieg auf andere Planeten outsourcen mussten, um ihre Heimatwelten nicht komplett zu zerstören.

»Guck mal, sie kriegt deine Hörner« – »Und deine Flügel«

Ein Skandal dieser Tragweite ist für die Obrigkeiten beider kriegstreibender Völker nicht hinzunehmen, und so werden gleich mehrere Profikiller verschiedenster Couleur auf das junge Liebespaar angesetzt. Dieses kämpft sich, vollkommen auf sich gestellt und mit einem Neugeborenen an der Backe, durch den unwirtlichen Planeten Kluft, auf der verzweifelten Suche nach einem Transportmittel, mit dem sie sich und ihre Tochter in Sicherheit bringen können, ehe sie von ihren zahlreichen Verfolgern eingeholt werden.

Der erste Band von Saga beschäftigt sich mit der Flucht von Kluft und konzentriert sich dabei voll und ganz auf sein Ensemble abgefahrener Figuren. Es dauert nicht lange, und man hat als Leser die Verfolger von Alana und Marko ebenso ins Herz geschlossen wie das junge Paar selbst. Schließlich wird man auch in deren Liebesleben involviert: Der zynische Freilanzer namens »Der Wille«, der einen mehr an Han Solo erinnert, als dass er einen das Fürchten lehrt, will nicht wahrhaben, dass er noch immer in seine Konkurrentin, die vielgliedrige und bizarr-erotische Spinnenfrau »Die Prisch« verliebt ist. Seine Majestät Prinz Robot IV, der statt eines Gesichts einen Monitor über seinen Schultern trägt, wäre auch lieber zu Hause bei seiner Geliebten, die ein Kind von ihm erwartet. Und dann ist da noch Izabel, der Geist eines vorlauten Teenagers mit abgetrenntem Unterleib, die sich anbietet, den Flüchtlingen den Weg zum Raketenwald zu zeigen, wenn sie sich dafür an Hazels Körper anheften darf.

Zwischen allen Stühlen – und am richtigen Platz!

Auch wenn hin und wieder ein paar wohldosierte Portionen Action dazukommen, lebt Saga in erster Linie vom gesprochenen Wort. Die Dialoge sind sehr lebendig und modern gestaltet, und auch auf das Pathos großer Space-Fantasy wird weitgehend verzichtet. Dafür wagen sie sich hin und wieder sehr nah an die Grenze zum Vulgären heran. So wird gleich auf den ersten Seiten die Geburt des handlungsbestimmenden Kindes mit den mütterlichen Worten eingeleitet: »Kacke ich? Es fühlt sich an, wie Kacken.«

Es ist ohnehin erstaunlich, wie selten Saga einem albern oder peinlich vorkommt, obwohl Vaughan sich in diesem Comic überhaupt nicht damit zurückhält, allen Arten von versponnenen Einfällen Raum zu geben. Jede auftretende Figur hat einen unerwarteten Spleen oder eine durchgeknallte Physiognomie. So etwas hat man in einer so bunten, beinahe kindlichen Fabulierfreude das letzte Mal in den neuen Star Wars Filmen zu Gesicht bekommen.

Wie der Autor konzentriert sich auch die junge Zeichnerin Fiona Staples in erster Linie auf die Figuren. Ihre in der Hauptsache am Computer entstanden Zeichnungen bestechen durch äußerst lebendige Gestik und Mimik, die noch den absurdesten Kreaturen Leben einhaucht, und die Charaktere werden mit kräftigem Strich in den Vordergrund gerückt. Die Hintergründe und Landschaften dagegen sind meistens auf recht karge, verschwommene Farbflächen reduziert. Zu detaillierte Settings oder monumentale Schlachtengemälde sind Staples Sache eindeutig nicht, und die wenigen Momente, in denen die Geschichte ihr einen weiten und epischen anstatt eines stimmungsvoll auf die Handelnden konzentrierten Blick abverlangt, gehören zu den grafisch schwächeren Momenten des Comics.

So hat Saga tatsächlich etwas von einer Soap-Opera: Es mag um intergalaktische Kriege in fernen Welten gehen. Erzählt wird das alles in erster Linie jedoch über ein Ensemble an schrulligen Figuren, die sich streiten und lieben, miteinander weinen und lachen, und auf unverwechselbare, charmante Art ihr persönliches Bündel durch ein Universum tragen, dessen Weite wir zwar nicht wirklich zu sehen bekommen, dessen schräge Absurdität aber in jedem Kapitel mit neuen Überraschungen aufwartet. Saga ist ein Science-Fiction-Fantasy-Epos in Nahaufnahmen. Und würde Brian K. Vaughan nicht so lebendige und witzige Dialoge schreiben, wäre dieses Experiment vermutlich zum Scheitern verurteilt. So aber hat man die ersten sechs Kapitel ziemlich schnell durch und freut sich auf die Fortsetzung.

Sicherlich ist Saga ein Comic, auf den man sich einlassen muss. Wenn man das aber tut, dann dankt man Autor und Zeichner für ihren Mut, ihre albernen Figuren mit ihren Sorgen und Nöten so ernst zu nehmen, dass wir Leser das bei all dem Spaß auch tun können. Es lebe die Fantasie!

Titelangaben
Brian K. Vaughan (Autor), Fiona Staples (Zeichnungen): Saga eins (Saga Volume 1)
Aus dem Amerikanischen von Marc-Oliver Frisch
Ludwigsburg: Cross Cult 2013, 160 Seiten, 22 €

Reinschauen
Saga bei Cross Cult
Interview mit Brian K. Vaughan
Bilder von Fiona Staples

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Götterdämmerung der Untoten

Nächster Artikel

»US-Behörden lügen seit Jahren« Kriegsverbrechen durch CIA und US-Militär auf deutschem Boden?

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Ein schweres Erbe

Comic | Marc Lizano, Ulf K.: Neue Geschichten von Vater und Sohn Mit dem Band ›Neue Geschichten von Vater und Sohn‹ versuchen die Comickünstler Marc Lizano und Ulf K. fast 80 Jahre nach dem Ende der legendären Bildergeschichten ›Vater und Sohn‹ von Erich Ohser einen Klassiker der deutschen Comicgeschichte wieder aufleben zu lassen. Damit haben sie ein schweres Erbe angetreten, findet BORIS KUNZ.

Private Krise, politisches Drama

Comic | James Sturm: Ausnahmezustand

James Sturm, 1965 in New York geboren, hat mit ›Ausnahmezustand‹ (im Original: ›Off Season‹) eine Graphic Novel über die persönliche Seite des Wahljahres 2016 in den USA vorgelegt. Der Comic verfolgt das Schicksal des Protagonisten Mark, der gerade eine heftige private Krise durchlebt - analog zu der Krise des Landes, welches dabei ist, Donald Trump zu seinem Präsidenten zu machen. Von FLORIAN BIRNMEYER

Im Sog der Angst

Comic | Junji Ito: Uzumaki 1 + 2 Subtile Mittel mit großer Wirkung: In Junji Itos Horror-Reihe »Uzumaki« speist sich das Grauen aus dem Sog, der von Spiralen ausgeht und in deren unheilvolles Zentrum führt. CHRISTIAN NEUBERT hat sich in den bodenlosen Abgrund ziehen lassen.

Man lese und staune

Comic | Néjib: Stupor Mundi – Das Staunen der Welt Néjibs Comic ›Stupor Mundi – Das Staunen der Welt‹ ist in luftigen, monochrom kolorierten Tuschestrichen zwischen Joann Sfar und Walter Moers festgehalten. Er inszeniert sich schnell als Historienthriller zwischen Umberto Eco und Dan Brown. Und ist ein großer Wurf. Ein ganz großer! Von CHRISTIAN NEUBERT

Sodom und Bavaria

Comic | Frank Schmolke: Nachts im Paradies Abfahrt: Comic-Künstler Frank Schmolke bittet in ›Nachts im Paradies‹ auf den Beifahrersitz durch Münchens Nächte zur Oktoberfestzeit. Der Band zeigt die Schattenseiten der Riesengaudi mit expressiver Wucht – als Bavarian Noir Comic, der einen glatt aus den Socken haut. Von CHRISTIAN NEUBERT