Interview | Medea Benjamin im Gespräch mit Wolf Senff
Sie ist Mitbegründerin der Friedensorganisation Codepink und hat im November die internationale »Drone Summit«-Konferenz in Washington sowie eine Anhörung im US-Kongress mit Drohnenopfern aus dem Jemen organisiert: MEDEA BENJAMIN zählt in den USA zu den prominentesten Aktivisten. Für TITEL-Kulturmagazin führte WOLF SENFF ein Interview mit ihr.
Medea Benjamin gehört zu den Initiatoren der Gaza-Solidaritätsflotte und wurde 2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Ihr unlängst bei Laika erschienenes Sachbuch Drohnenkrieg. Tod aus heiterem Himmel, Morden per Fernbedienung zeigt das naive, durch wenig Realitätssinn getrübte Vertrauen, das seitens der US-Politik in die Drohnen-Kriegstechnologie gesetzt wird, schildert das Elend der Opfer und belegt den weltweit wachsenden Widerstand gegen die Politik gezielter Tötung durch Drohnen.
Medea Benjamin arbeitete zehn Jahre lang als Wirtschafts- und Gesundheitswissenschaftlerin für die Weltgesundheitsorganisation und die UNO. Ihre Unterbrechung der Rede Präsident Obamas über den Einsatz von Drohnen im »Krieg gegen den Terror« im Mai 2013 erhielt weltweite Medienaufmerksamkeit, und selbst Obama sagte über sie: »The voice of that woman is worth paying attention to … these tough issues, and the suggestion that we can gloss over them is wrong.«
Der derzeitige Deutschlandaufenthalt Medea Benjamins soll eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit zur Ächtung von Kampfdrohnen und Killer-Robotern und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Europa, insbesondere in Deutschland, für dieses Thema befördern. Neben Zusammentreffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft wird Medea Benjamin sich mit Vertretern der Bundesregierung und aller Bundestagsfraktionen austauschen, um die Rolle Deutschlands im US-Drohnenkrieg zu erörtern und gleichzeitig die umstrittenen Pläne einer Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen wie auch die schon angekündigte deutsche Unterstützung der Entwicklung der Drohnentechnologie auf EU-Ebene thematisieren.
Frau Benjamin, wie erklären Sie die Tatsache, dass die Bevölkerung den Einsatz von Drohnen als Mittel der Kriegführung in wachsendem Umfang missbilligt?
Medea Benjamin: Uns wurde das falsche Image verkauft, nach dem Drohnen präzise, human und effektiv seien. Je mehr die Menschen aber die Realität kennenlernten, desto entschiedener lehnten sie den militärischen Einsatz der Drohne ab. Drohnen im Einsatz töten viele Unschuldige, sie sind das beste Werkzeug, um Nachschub für Extremisten zu rekrutieren, sie beflügeln die anti-westliche Stimmung und sie sind eine Garantie für dauerhaften Krieg anstelle von Verhandlungslösungen.
Die Information, dass Drohnen keine zivilen Opfer verursachen, ist eine Lüge, oder?
Die US-Behörden lügen seit Jahren. Zuerst hieß es im Jahr 2011, es gäbe keinerlei zivile Opfer, dann wurde zugegeben, es handele sich um geringfügige Zahlen. Die Wirklichkeit ist, dass Hunderte unschuldige Menschen getötet wurden und Tausende vermutlich unbedeutende Mitglieder von Gruppen wie al-Qaeda und den Taliban, meistens Jugendliche und meistens Leute, die keine Absicht und keine Mittel zur Verfügung hatten, um die USA zu schädigen. Wenn es Ziel der Drohnen sein soll, hochrangige al-Qaeda-Zielpersonen zu beseitigen, gilt das für lediglich zwei Prozent aller Getöteten.
Man wundert sich sehr, wenn man die offizielle Propaganda liest und plötzlich mit der Realität konfrontiert wird. Wie stark ist der Widerstand gegen Drohnen in den USA selbst?
Anfang 2011 unterstützten mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung den militärischen Einsatz von Drohnen. Heute liegt diese Zahl bei eher sechzig Prozent. Das beweist, dass die Amerikaner die Realität dieses Einsatzes mehr und mehr verstehen, was den Aktionen seitens Codepink und anderer Friedensgruppen zu verdanken ist.
Progressive Demokraten halten sich zurück
Widerstand und Aufklärung der Öffentlichkeit sind außerordentlich wichtig. Aber erfahrungsgemäß lassen sich die großen Linien der Politik dadurch kaum beeinflussen.
Der Wandel der öffentlichen Meinung hat sich bereits ausgewirkt. Die Regierung hat die Anzahl der Drohneneinsätze reduziert, und man ist intensiver bemüht, zivile Opfer zu vermeiden. Aber das genügt uns nicht. Es ist aufschlussreich zu sehen, dass die gewählten Vertreter weit hinter ihrer Wählerschaft zurück bleiben, wenn es um die Ablehnung von Drohnen geht, und leider wird der militärische Einsatz von Drohnen durch beide etablierte Parteien, Republikaner wie Demokraten, unterstützt. Aber im Alltag, an der Basis, lehnen die Menschen übereinstimmend und über ideologische und politische Grenzen hinweg diese Politik ab.
Es ist sehr bedauerlich, dass es seitens der Demokraten nicht mehr Widerstand gibt.
Da diese Politik durch die Demokraten mit der Regierung Präsident Obamas verantwortet wird, halten sich die progressiven Demokraten im Kongress zurück, die unter einer republikanisch geführten Administration energisch dagegen eintreten würden. Die Republikaner ihrerseits sehen sich gern als Hardliner in Fragen nationaler Sicherheit und unterstützen sowohl das Militär als auch die CIA.
Ohne Ramstein wären Drohnenangriffe in Afrika nicht möglich
In welchem Umfang ist eigentlich Ramstein, der deutsche Stützpunkt der US-Army, in diese Kriegsführung eingebunden?
Die U.S. Air Force verfügt nirgendwo außerhalb der USA über einen Flughafen, der größer wäre als Ramstein. Dieser riesige Stützpunkt dient ebenfalls als eine Einrichtung der NATO, wo über fünfzigtausend US-Bürger und Armeebedienstete gemeinsam mit Personal aus diversen Nationen Europas beschäftigt sind. Ramstein war immer schon eine bedeutende Drehscheibe im Transport von Soldaten, Fracht und Waffen während der Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und Irak.
Es ist höchst merkwürdig, in welchem Ausmaß das öffentlich doch stets so friedfertig auftretende Deutschland sich in diese Aktivitäten verwickeln lässt.
Im Mai klärten Süddeutsche Zeitung und Panorama darüber auf, dass das Air Operations Center in Ramstein eine zentrale Rolle in den US-Drohneneinsätzen spielt, die sich gegen Verdächtige in Afrika richten. Piloten in den USA kommunizieren über eine Relaisstation in Ramstein und kontaktieren Drohnen auf Stützpunkten in Afrika. Ohne Ramstein wäre es nicht möglich, die Angriffe mit Drohnen in Afrika und vermutlich auch im Jemen und anderen Ländern durchzuführen.
Dann ist Ramstein offenbar nicht wirklich tiefste Provinz.
In Ramstein arbeiten bis zu 650 Soldaten und CIA-Agenten an anderthalbtausend Computern und observieren den europäischen und afrikanischen Luftraum mittels Aufklärungsdrohnen und Satellitenbildern; sie planen neue Aktionen einschließlich der Entscheidungen über Ziele, für die tödlich Einsätze vorgesehen sind.
UNO und EU wollen mehr Transparenz
Die deutsche Seite wäre in der Pflicht, etwas zu tun.
Diese Art, Menschen zu jagen, impliziert Hinrichtungen ohne Festnahme, ohne Gerichtsverfahren, ohne Anhörung, ohne Schuldspruch – was nach deutschem Gesetz als Mord gilt. Und es ist noch nicht einmal im Einzelnen bekannt, welche Bereiche des Krieges von Ramstein und anderen deutschen Stützpunkten aus geführt werden, und zwar ohne Wissen oder Zustimmung der deutschen Bevölkerung.
Man kennt das leider. Es ist Heimlichtuerei, und man ahnt die Hintergründe oft nur.
In den USA erwarten wir mehr Transparenz seitens der Regierung und wollen wissen, wie viele Zivilisten sie mit dem Einsatz von Drohnen töten. Auch die UNO erwartet mehr Transparenz und die EU unterstützt diese Forderung. Deshalb hoffen wir sehr, dass die deutsche Bevölkerung von ihrer Regierung erwartet, dass diese das Recht hat, zu inspizieren, was in den US-Stützpunkten auf deutschem Boden abläuft. Und wir hoffen ebenso, dass die deutsche Regierung sich für Aufklärung und gerichtliche Verfolgung einsetzen wird, falls es zutrifft, dass auf deutschem Boden Kriegsverbrechen und Verletzung internationalen Rechts durch CIA und US-Militär begangen werden.
| Interview und Übersetzung: WOLF SENFF
Reinschauen
Pannen, Fehleinschätzungen – Wolf Senff zu Medea Benjamin: Drohnen-Krieg
Ausgebuffte Kampagnen – Wolf Senff zu Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung
Wovon de Maizière wirklich spricht – Wolf Senff zu Heathcote Williams: Der Herr der Drohnen
Nicht einmal mehr Bienen sind noch das, was sie waren – Wolf Senff zu Hans Arthur Marsiske: Kriegsmaschinen
Veranstaltungskalender mit Medea Benjamin in Deutschland
Berlin
Freitag, 13. Dezember, 12 Uhr
Übergabe einer Erklärung von Medea Benjamin an Kanzlerin Merkel
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1
Leipzig
Freitag, 13. Dezember, 18 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Liebknechthaus, Braustraße 15
Eintritt frei
Berlin
Samstag, 14. Dezember, 9.30 Uhr
Podiumsgespräch mit Medea Benjamin
»Why drones? The function of drone warfare in the US war on terror«
Im Rahmen der Außenpolitischen Jahreskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung: »Deutsche Außenpolitik. Alternativen«
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1
Eintritt frei
Stuttgart
Samstag, 14. Dezember, 19.30 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
ver.di tHeo.1, Theodor-Heuss-Str. 2
Eintritt frei
Stuttgart
Sonntag, 15. Dezember, 11 Uhr
Demonstration vor dem AFRICOM
Zusammen mit MdB Heike Hänsel
Plieninger Straße
Frankfurt am Main
Sonntag, 15. Dezember, 16 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Benjamin: »Drohnenkrieg – Tod aus heiterem Himmel«
Bildungsraum, Schönstr. 28
Eintritt frei
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