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Übermenschen zum Anfassen

Comic | Gesellschaft | Superhelden

Sie sind stark, sie sind laut, sie haben Superkräfte, sie retten täglich die Menschheit, sie sind bei handgreiflichen Auseinandersetzungen nicht gerade zimperlich, und sie erfreuen sich einer zunehmenden Popularität – die Rede ist natürlich von Comic-Superhelden. Während sich noch vor einem Jahrzehnt kaum jemand außer Kindern, Jugendlichen und sogenannten Nerds für sie interessierte, scheinen sie in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance zu erleben – die uns bis in den Alltag hinein folgt. Und diesen zunehmend okkupiert. PHILIP J. DINGELDEY geht der Frage nach der neuen Verbindung von Superhelden und unserem Alltag nach.
Titelfoto: Christopher Stadler

Wer möchte nicht gerne ein Superman sein? Foto: Christopher Stadler
Wer möchte nicht gerne ein Superman sein?
Foto: Christopher Stadler
Lizenz: CC BY 2.0
Angefangen hat der Hype mit den abermaligen und zahlreichen Blockbusterverfilmungen von Superheldencomics. In den letzten zehn Jahren lockten wieder Helden mit ihren Filmen und Filmreihen die Zuschauer in die Kinos. Dabei waren etwa die Filmreihen von ›Superman‹, die ›Batman‹-Trilogie, ›Spiderman‹ (gleich mit zwei Filmreihen), sieben Filme zu den ›X-Men‹, zwei Filme zu ›Hulk‹ und gleich die ganze Gruppe der ›Avengers‹.
Gelungen ist der Erfolg den Regisseuren und Drehbuchautoren, indem sie den alten Helden neues Leben eingehaucht haben und damit zeitgenössische Blockbuster schufen. Den Comicfiguren ist zwar die grelle Lebensgeschichte eines Helden inhärent, der qua Geburt oder Laborunfall Superkräfte bekommt und dann Schurken mit ähnlichen Kräften bekämpft und jedes Mal die Welt rettet. Daneben schaffen es aber manche Autoren und Regisseure, dieses künstliche, übermenschliche Motiv mit dem Lebensechten, Realistischen, Authentischen und Alltäglichen zu einer Symbiose zu verbinden. Ein Drahtseilakt!

Das gelingt den Filmemachern in unterschiedlicher Manier: Etwa werden bei der ›Dark-Knight-Trilogie‹ von Christopher Nolan reale politische und soziale Fragen aufgeworfen. Da wäre etwa die dominante Frage, ob man Schurken, die ganze Städte bedrohen – wie etwa den Erzfeind Joker (grandios gespielt von Heath Ledger) – töten soll, respektive, ob man Mörder prinzipiell töten darf, wie Batmans Lehrer und Ökoterrorist Rhas al Ghul (Liam Neeson) fordert; oder die Frage, ob es erlaubt sei, Kriminelle zu foltern, wie Batman (Christian Bale) es skrupellos tut, und ob man ganze Städte digital überwachen darf; oder ob die zivilisierte westliche Gesellschaft in Wirklichkeit nur dekadent und scheinheilig sei, und deswegen Gegner diese vernichten oder zumindest pures anarchisches Chaos stiften sollen; oder auch die Frage, ob die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich unser soziales System destabilisiert. Außerdem wird Batman noch dadurch menschlicher, dass er gar keine übermenschlichen Superkräfte hat und auch einmal von seinem Gegner Bane (Tom Hardy) gebrochen wird – wie übrigens auch in der Comic-Saga ›Knightfall‹.

Die ›X-Men‹ gewinnen auch durch politisch-soziale Faktoren neues Leben: Sie als Mutanten mit Superkräften werden von der Spezies Homo Sapiens lebensecht diskriminiert – etwa werden im neuesten Film ganze Konzentrationslager für Mutanten und deren Sympathisanten etabliert. Natürlich reagieren die Mutanten unterschiedlich – vom misanthropischen Terrorismus eines Magneto (Ian McKellen und Michael Fassbender), bis hin zu den geheimen Weltrettungsmissionen der X-Men um Charles Xavier (Patrick Stewart und James McAvoy).
Der neue ›Amazing Spiderman‹ will authentisch werden, indem er den Zwiespalt zwischen dem verliebten Durchschnittsteenager Peter Parker (Andrew Garfield) und dem Superhelden mit wenigen und relativ banalen, alltäglichen Details verschmelzen lässt: Spiderman kann im zweiten Teil auch mal einen Schnupfen bekommen und muss im Kostüm eine Apotheke aufsuchen. Das verschmilzt dann mit den Blitzkämpfen gegen Electro (Jamie Foxx) und der Liebesgeschichte zu Gwen Stacy (Emma Stone).

Heroismen des Alltags

All diese Filme waren sehr erfolgreich durch die neue Mischung aus Comic und Realität. Es gab aber auch noch andere Superheldenverfilmungen, die die Mehrheit der Zuschauer nicht überzeugen konnten. Dazu gehören etwa ›Catwoman‹, ›Green Lantern‹ und ›Dare Devil‹. Ein Grund: Ihnen misslang diese Mischung; sie konzentrierten sich fast ausschließlich auf knallige Fantasiegeschichten, ohne authentische Hintergründe oder Details einzubauen. Der Zuschauer kann so keinen Bezug zum grellbunten Protagonisten aufbauen, denn eine schnöde Liebesgeschichte als Realitätszeugnis reicht dazu alleine nicht mehr aus.

Auf die nötige Realitätsnähe der Superhelden haben auch die Comic-Verlage reagiert: Marvel Comics hat etwa eine Heldin mit realen Problemen geschaffen: Denn seit Februar gibt es die erste muslimische Superheldin, ›Ms. Marvel‹. Es gab früher schon eine Ms. Marvel: Sie war blond, trat immer in engen Kostümen auf und war unglaublich amerikanisch sowie patriotisch. Diese reanimierte Superheldin ist aber nun gänzlich anders, um nicht zu sagen, das komplette Gegenteil. Sie ist ein 16-jähriges, pakistanisches Mädchen mit Namen Kamala Khan und lebt in Jersey. Hier werden gleich drei Identitäten einander gegenübergestellt: Mit der Existenz der künstlichen Superheldin konkurrieren hier noch die konservativ-muslimische Familie und ihr modern-amerikanisches Umfeld. Der reale Zwiespalt zwischen Islam und westlicher Moderne sowie die Diskriminierung von ethnischen und religiösen Minderheiten – vor allem in Zeiten des von der US-Regierung postulierten ›Global War on Terror‹‹ – werden lediglich noch um die Heldenkomponente erweitert. So werden die realen Kontexte der Geschichte auch den Lesern von Superheldencomics künstlerisch vermittelt.

Doch nicht nur die Comic-Helden nähern sich der Realität an, auch der Alltag wird superheldenhafter – und das ist kein rein positives Phänomen. Dabei handelt es sich ergo um eine reziproke Annäherung und Verwischung statt eines rein erhöhten Realitätsgehalts der Superheldenstorys. So gibt es in den USA die ›Real Life Super Heroes‹. Das sind rund 20 Gruppen mit über 90 meist unter 30-jährigen Männern, die sich als Superhelden verkleiden und Obdachlosen Essen geben oder auch Müll aus den Parks räumen: Das ist ein alltäglicher Heroismus in extravaganten Kostümen. Sie geben sich sogar klassische Superheldennamen wie ›Crusader Prime‹ oder ›Patch Work‹.

Ein Grund, warum solche Superhelden des Alltags sich verkleiden, ist natürlich, wie sie selbst zugeben, die erhöhte Aufmerksamkeit, die ihre Handlungen dadurch erhalten. »Mir ist es lieber, die Kinder sehen einen verrückten Typen in einem bescheuerten Kostüm, der im Park Müll aufsammelt, als einen mit hängender Hose und schiefer Kappe, der Drogen verkauft«, behauptet etwa ›Patch‹. Dabei realisieren die meisten, dass sie keine echten Superhelden mit äquivalenten Superkräften sind, auch wenn sie schon manchmal in Prügeleien verwickelt werden. Meist rufen sie dann aber auch die Polizei, da sie keine Vigilanten sein wollen. »Was wir tun, ist ganz einfach ein Dienst an der Gemeinschaft. Aber es macht eben mehr Spaß, das auf diese Weise zu tun, als zu Hause zu sitzen und einen Scheck für eine Hilfsorganisation auszustellen«, erklärt etwa der Real Life Superhero ›The Wraith‹ seine Motivation.

Batman  Eva Rinaldi CC BY-SA 2.0
Der dunkle Ritter. Werbeplakat zum Film ›The Dark Knight Rises‹
Foto: Eva Rinaldi
Lizenz: CC BY-SA 2.0
Das führt aber zu einem weiteren, viel wichtigeren Fragen: Kann man im Alltag leichter etwas zum Wohle der Gemeinschaft tun, wenn man nicht persönlich, sondern in solchen (teils lächerlichen) Verkleidungen auftritt? Im Film ›Batman Begins‹ sagt Rhas al Ghul dem künftigen Batman, man müsse zu einem Symbol und einer Legende werden, um die Welt zu retten. So sehen sich manche Idealisten unter den Superhelden-Comic-Lesern scheinbar genötigt, nur mit der Verschleierung – oder auch Negierung – der eignen Identität und der Rezeption der Helden als Vorbilder etwas zu ändern. Historische, reale Vorbilder, wie diverse Freiheitskämpfer oder Menschenrechtler scheinen ihnen und vielen Menschen im Vergleich dazu nicht mehr zu genügen. Die Bildeffekte und die krassen Handlungen scheinen in ihrer wachsenden Alltagstauglichkeit die eigentliche Realität zu überschatten.

Selbstverleugnung und Vorbild

Der Einzug der Superhelden in die Sphäre des Alltäglichen führt dazu, dass der Alltag auf die Comics reagiert und die Helden als Idole deutlich wahrnimmt. Da scheint es manchen reizvoll, aus den neuen Idolen Kraft zu schöpfen, sie zu kopieren. Denn die fiktiven Superhelden fungieren in ihrer neuen Mischung aus Normalo und Superkraftprotz – als eine Art Übermensch zum Anfassen: Sie sind stärker, schneller und manchmal auch schlauer als der Durchschnitt und haben dazu noch übernatürliche Kräfte – Kräfte, die sogar ausreichen können, einen ganzen Planeten zu zerstören, wie etwa Jean Grey als Mitglied der ›X-Men‹. So können sie (fast) jede Herausforderung bestehen und auch immer wieder in letzter Minute die Welt retten. Wer möchte das nicht auch?

Der Nimbus des Superhelden kann auch für eigene Probleme genutzt werden, wenn man sich diesen Figuren annähern kann. Im Onlinespiel ›Superbetter‹, kreiert von der amerikanischen Spieldesignerin Jane McGonigal, kann der Nutzer sich selbst einen eignen Superhelden kreieren und mit ihm Probleme angehen, an denen er im wahren Leben bisher scheitert. Hat man etwa im Alltag Depressionen, Liebeskummer oder Gewichtsprobleme, soll die Annahme einer digitalen Superheldenidentität helfen, im Alltag über sich selbst hinaus zu wachsen und die scheinbar unlösbaren Probleme zu beseitigen. In ihrem Bestseller ›Reality is Broken – Why Games Make Us Better and How They Can Change The World‹ erklärt McGonigal, dass Spieler bereit seien, sich durch Belohnungen und den Zusammenhalt in Gruppen in einer Weise zu engagieren, die wir uns für die gegenwärtigen sozialen Herausforderungen nur wünschen könnten. Unsere Wirklichkeit hingegen sei korrekturbedürftig – eben ›broken‹. Superhelden und das Online-Gruppendenken könnten das, im Zuge der Gamifizierung, korrigieren.

Während man hier neben der eigenen Identität noch eine weitere, bessere erschaffen will, kann das Idol des Superhelden, der in die Realität springt, auch extrem krankhafte und selbstverleugnende Züge annehmen. Der 36-jährige philippinische Superman-Fan Herbert Chavez hat sich beispielsweise 16 Jahre lang so operieren lassen, bis er 2013 endlich so aussah wie sein Vorbild.

Superhelden sind unsere neuen Idole. Sie haben den Sprung in die Realität geschafft, werden dadurch zu Übermenschen zum Anfassen, zu fiktiven Idolen in der realen Welt und werden zur Beseitigung echter Probleme in unterschiedlichster Weise zurate gezogen. Doch was zunächst wie ein neuer, durch die Comic- und Filmkunst forcierter Schub an Idealismus und Solidarität mit der Gesellschaft wirkt, schadet den Individuen selbst, die etwas verbessern wollen. Indem man dem Superhelden als neuem Idol nacheifert und ihn imitiert, anstatt sich als realer Mensch mit eigener Identität den realen Problemen des Soziallebens entgegenzustellen, negiert man damit nach und nach seine eigene Existenz. Irgendwann hat man dann auch den Konflikt der Koexistenz von Superheldendasein und wahrem ›ich‹ zu lösen – ein Konflikt, der höchstens in Comics gemeistert werden kann.

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