Comic | Rodolphe Daniel Jacquette, Louis Alloing : Der Fall E.P. Jacobs – Ein Leben für den Comic
Recht spät in seiner Entwicklung entdeckt das Medium Comic seine eigene Entstehungsgeschichte als Sujet. Nach ›Die Abenteuer von Hergé‹ oder ›Gringos Locos‹ mit Franquin und Morris ist nun auch E.P. Jacobs zum Gegenstand eines Comicalbums geworden. BORIS KUNZ über die gezeichnete Biographie des Schöpfers von ›Blake & Mortimer‹.
Am 30. März 1904 wird in Brüssel der kleine Edgar Felix Pierre Jacobs als Sohn eines Polizisten geboren. Er wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen in einem strengen aber liebevollen Elternhaus auf und beginnt schon früh, eine Leidenschaft für Kunst und Gestaltung zu entwickeln. Malerei und bildende Künste auf der einen aber auch die Oper auf der anderen Seite haben es ihm besonders angetan. Während er sein Zeichentalent lange Jahre für Jobs wie Katalogzeichnungen für Kaufhäuser zum reinen Broterwerb einsetzt, steigt er an der Oper vom Statisten zum Heldentenor auf. Und hätten die politischen Umwälzungen der 40er Jahre ihm diese Karriere nicht verhagelt, vielleicht wäre die Comicwelt heute um eine prägende Säule des frankobelgischen Abenteuercomics ärmer.
›Der Fall E.P. Jacobs‹ ist das Portrait eines vielseitigen Künstlers, in dessen Karriere jedoch erstaunlich oft eher der Pragmatismus als die Leidenschaft eine Rolle spielt. Es findet sich kaum ein innerer roter Faden, der ›Blake & Mortimer‹ als konsequenten Ausdruck von Jacobs Jugenderfahrungen begreiflich macht. Das Album erzählt eher von den äußeren Umständen (wesentlich natürlich die Begegnung mit Hergé und die Mitarbeit an ›Tim und Struppi‹), die am Ende zur Entstehung einer legendären Comicreihe geführt haben.
Die 3 Formeln des Professor Rodolphe
So ist ›Der Fall E.P. Jacobs‹ auch ein gutes Beispiel dafür, warum die Biographie eines Comicschöpfers seltener zum Gegenstand einer Erzählung wird, als die eines Regisseurs oder Schauspielers: Zum einen sind die Lebensläufe von Comiczeichnern vergleichsweise lückenhaft dokumentiert, zum anderen ist die Darstellung des Berufes selbst (ein Mann sitzt an einem Zeichentisch) eher unspektakulär. Auf der anderen Seite aber hat auch die Entstehung einer Comicserie wie ›Blake & Mortimer‹ sehr viel mit Zeitgeschichte zu tun: mit den politischen Umständen ebenso wie mit dem gesellschaftlichen Zeitgeist, auf den der Comic gerade in seiner Anfangszeit, als er noch als Beilage für Zeitungen bzw. in populären Magazinen publiziert wurde, auch recht zeitnah reagieren konnte.
Eine weitere Rolle spielt natürlich bei einer so stark Sci-Fi-dominierten Reihe wie ›Blake & Mortimer‹ der wissenschaftliche Kenntnistand der Epoche. Doch hier geht Autor Rodolphe (›Cliff Burton‹ u.v.a.) leider nicht besonders in die Tiefe und interessiert sich großteils mehr für die Umstände und weniger für die Einflüsse, die für Jacobs Werk verantwortlich waren. So macht er noch einmal deutlich, dass ›Blake & Mortimer‹ ohne die deutsche Besatzung Belgiens vielleicht gar nicht entstanden wäre. Denn hätten Nachschub- und Zensurprobleme nicht dafür gesorgt, dass ein schneller Ersatz für den amerikanischen Comic ›Flash Gordon‹ gefunden werden musste, wäre Jacobs vielleicht niemals zum Autoren und Zeichner einer eigenen Serie geworden.
Auch wenn Rodolphe eine sehr flächendeckende und chronologische Aufzeichnung von Jacobs Leben vornimmt, kommt einem vieles doch sehr gerafft vor; nicht zuletzt auch deswegen, weil Rodolphe sich um eine höflich distanzierte Haltung bemüht, die allzu Privates dezent außen vor lässt. Natürlich geht uns die Ehekrise zwischen Jacobs und seiner ersten Frau nicht wirklich etwas an – zumal sie nichts mit der Entstehung seiner Comics zu tun hat – aber wenn Jacobs nun schon die Hautfigur von 100 Comicseiten ist, dann möchte man ihm doch gerne menschlich näher kommen. Man ist ja schließlich neugierig.
So streut Rodolphe auch immer wieder pflichtschuldig gewisse Anekdoten ein; etwa wie der kleine Edgar im Alter von drei Jahren beim Spielen in einen Brunnenschacht stürzt. Dass sich Blake und Mortimer in den eindrucksvollsten Passagen ihrer Abenteuer immer wieder durch unterirdische Labyrinthe kämpfen müssen (von der Großen Pyramide zum dystopischen Untergrund in ›Eine teuflische Falle‹, von den Katakomben unter Paris bis zum Pfad nach Atlantis) lässt Rodolphe allerdings völlig unerwähnt, als wäre es schon ein zu großer Einbruch in Jacobs Privatsphäre, hier einen Zusammenhang zu sehen. Hier bleibt der Comic leider auf Banalitäten beschränkt, wenn Jacobs etwa in strömendem Regen Auto fährt und sagt: »Irgendwann werde ich eine Geschichte schreiben müssen, in der der Wetterbericht verrückt spielt.«
Alloing gegen Alloing
Zeichner Louis Alloing trifft die mutige Entscheidung, das Album im Stil von Jacobs anzulegen, was natürlich einen direkten Vergleich mit den Arbeiten des Meisters geradezu provoziert. Hier kommt Alloing allerdings eindeutig schlechter weg als beispielsweise die Kollegen, die die Arbeit an den ›Blake & Mortimer‹ Alben fortgeführt haben. Denn Alloing hat sich für ein wesentlich größeres Bildformat entschieden – so, als würde er ein Album von Jacobs durch eine Lupe betrachten. Doch in diesem Großformat verlieren die Bilder viel von ihrer Wirkung, zumal das Maß an Präzision und Detailfülle, für das Jacobs` Version der Ligne Claire so berühmt ist, hier nicht immer erreicht wird. So wirkt der Anfang des Albums leider etwas hölzern, und es dauert, bis Alloing wirklich zur angestrebten Souveränität findet und der Zeitgeist wirklich lebendig wird.
Obwohl die Aufmachung des Albums und der Stil von Rodolphe und Alloing zunächst eine Imitation von Jacobs` Stil nahelegen, so als wäre ihr Blick auf sein Leben deckungsgleich mit seinem Blick auf die Welt, finden die beiden schließlich doch zu einer eigenen Handschrift und einem eigenen Tempo. Die großformatigen Panels und die lockerere Textdichte sorgen für einen schnellen Lesefluss, in dem man die 100 Seiten wesentlich schneller bewältigt hat, als man für 70 Seiten ›Blake & Mortimer‹ bräuchte – und enthalten mehr Humor und mehr weibliches Personal, als das gesamte Werk ihres Protagonisten. Entscheidend aber ist, dass sie eine Figur ins Rampenlicht treten lassen, die ansonsten in der heutigen Wahrnehmung des Lesers bis zur Unsichtbarkeit hinter ihrem Werk verschwunden ist.
Auch wenn einem besonders tief greifende oder vollkommen neue Erkenntnisse über das Schaffen von E.P. Jacobs erspart geblieben sind, hat man daher nach der Lektüre doch das seltsame Gefühl, dass der Schöpfer von ›Blake & Mortimer‹ nicht länger ein Phantom ist.
Titelangaben
Rodolphe Daniel Jacquette (Szenario), Louis Alloing (Zeichnungen): Der Fall E.P. Jacobs – Ein Leben für den Comic
(La Marque Jacobs)
Aus dem Französischen von Harald Sachse
Hamburg: Carlsen Verlag 2014
112 Seiten, 19,90 €
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