Comic | Typex: Andy. A Factul Fairytale
Andy Warhol war der Mitbegründer der Pop Art – und seine prägendste Gestalt. Sein Oeuvre ist immens, sein Einfluss kaum zu überschätzen. Der niederländische Comic-Künstler Typex hat ihm mit ›Andy. A Factual Fairytale‹ ein Comic gewordenes Denkmal gesetzt, das auch in Warhols Abgründe blickt. CHRISTIAN NEUBERT hat sich den 562 Seiten starken Klotz vorgenommen.
Andy Warhol – ein Name, bei dem es wohl bei jedem klingelt. Er ist untrennbar an den Begriff der Pop Art geknüpft, an die berühmt-berüchtigten ›Campbell‹ – Suppendosen als omnipräsentes Synonym der Auflösung von Kommerz und Kunst.
Zudem prangt er als Präsentator und Produzent auf Filmplakaten, Buchtiteln und den Covers von Musikalben. Warhols Werk ist immens, sein Einfluss auf den Kunstbetrieb seiner Zeit – und dem heutigen – kaum zu überschätzen.
Sein legendäres New Yorker Atelier, mit dem er im Laufe seines Schaffens zweimal umgezogen ist, wurde nicht umsonst auf ›The Factory‹ getauft. Er war dort der Motor, die treibende Kraft, das ruhelose Kraftwerk. Die Rädchen der Factory, die unermüdlich Kunst ausspuckte, die unter seinem Namen gehandelt wurde, waren jedoch all die Menschen, die ihm hörig waren, die ihm verfallen sind, die oft kostenlos für ihn arbeiteten, um ein bisschen in seinem gleißendem Licht strahlen zu können – und die er schon mal eiskalt fallen ließ, wenn sie ihm abtrünnig wurden oder eigene künstlerische Ambitionen hegten. Wenn er sie nicht zuvor schon verschlissen hat.
Der niederländische Illustrator und Comic-Künstler Typex hat mit ›Andy‹ dem Künstler Warhol nun ein Comic gewordenes Denkmal gesetzt. Eines, das sich traut, seine ausgestellte Ikone immer wieder vom Sockel zu holen, um auch dessen Schattenseiten auszuleuchten. Wofür Warhol, der sich einerseits aus dem gesellschaftlichen Leben sehr zurücknahm, sich gleichzeitig aber stark in der Öffentlichkeit inszenierte bzw. inszeniert wurde, sicher ein dankbarer Gegenstand ist – und was auch anderen vor Typex schon naheliegend erschien. Regisseur George Hickenlooper etwa, der mit dem Film ›Factory Girl‹ von Warhols Muse Edie Sedgwick erzählt.
Ein Vampir der Kunst?
Bob Dylan bezeichnet da Warhol als Blutsauger, nachdem er Zeuge von Warhols Umgang mit seinen Handlangern wurde. Ob das so jemals stattgefunden hat, ist ungewiss. Es deckt sich allerdings gut mit dem überlieferten Spitznamen, den Warhol von seinem Mitarbeiter Robert Olivo alias Ondine verpasst bekam: Drella, eine Kombination aus Dracula und Cinderella. Und mit dem, was Typex Warhol in dem Comic über Sedgwick sagen lässt, als sie die Factory – und ihn – verlässt: »Ob Edie uns Bescheid sagt, wenn sie sich umbringt? Damit wir es filmen können.«
In dem Comic, der episodenhaft das Leben und die Schaffensperioden Warhols nachzeichnet, bleibt der Künstler widerspenstig, zwielichtig und schwer zu greifen – als ein Meister von Schnittstellen und Gegensätzen. Jene zwischen Scheu und Hemmungslosigkeit, zwischen Fragilität und Egomanie, zwischen Kunst und Kommerz, zwischen entrückter Traumwelt und nüchterner Realität, als ewiges Kind und kalkulierender Geschäftsmann, was auch auf den Rezipienten abfärbt: Mal möchte man ihn bemitleiden, mal seinen kaltblütigen Zynismus anklagen, mal mit ihm die Nächte durcharbeiten, mal an die Wand klatschen.
Bestimmt ist man Warhol als dem innerlich stark zerrissenen Menschen, der er unbestritten war, damit sehr nahe – und bestimmt hätte die garantierte Verunsicherung, die ›Andy‹ als Untertitel trägt, auch Warhol sehr gut gefallen: ›A Factual Fairytale‹.
Warhol im Wunderland
Wie in jedem Märchen spielt der Einfluss anderer Personen auf die Hauptfigur auch in „Andy“ eine große Rolle. Der Comic schleust Persönlichkeiten wie Truman Capote, Lou Reed, David Bowie, Grace Jones, Basquiat, SCUM-Autorin Valerie Jean Solanas, die 1968 einen Mordanschlag auf Warhol verübte, und eben Bob Dylan mit der Betriebsamkeit der Factory durch. Allesamt spielen sie kleinere und größere Rollen in Warhols Leben. Typex Würdigung ihrer Gastspiele erfolgt als Kabinettstückchen in Post-Pop-Art, bei dem sich Design, Kunst und Kommerz die Hände reichen – als Sammelkarten, von denen er jeweils zwölf seinen Kapiteln vorausstellt. Die mittels verknappter biographischer Angaben und vorgegebener Limitierung den Glorienschein von Menschen nähren, die wir als Stars und Celebritys bezeichnen. Und die wir uns, so schließt sich der Kreis zwischen Pop und Pop-Business, auf diese Weise aneignen.
Natürlich, wir wissen, leugnen, verspotten und lieben es, ist es immer nur ein geisterhaft gebildetes Geisterkonstrukt, das wir auf diese Weise einfangen können, die geliehene Vorstellung einer überlieferten Idee. Warhol, der aufgrund einer Pigmentstörung, seiner Perücke und seiner in sich gekehrten Haltung auch äußerlich eine gespensterhafte Erscheinung war, wird auf diese Weise in Sphären gerückt, die schockieren und anziehen, die verstören und berühren, die wir absorbieren wollen und abstoßend finden.
Nach zehn Kapiteln, die ganz im Sinne ihres sie umflatternden Zeitgeists mal in Siebdruck-Optik, mal als Bilderbögen, mal in Superhelden-, Will Eisner- oder Tom-of-Finland-Manier daherkommen, entlässt Typex Warhol schließlich in die Factory-Version eines Disney-Wunderlands. Sein biographischer Eifer macht Warhol damit endgültig zur Comicfigur – und sein Kunststück ist geglückt.
Unser Warhol-Bild hat eine geistige Tiefe aus Fakt, Fiktion, Märchen und blinden Flecken erlangt, das viele vermeintlich wahre, »authentische« Künstlerbiografien deutlich übersteigt, indem es ihren Anspruch an buchstäblicher Wahrhaftigkeit hintergeht. Typex geht es eher um die Wahrheit der Bilder und Zeichen, Vorbilder und Vorzeichen, Abbilder und Abzeichen. Und kommt Warhol, der ganz und gar Produkt seiner Zeit war und der seine Zeit ganz und gar zu Produkten machte, verdammt nah auf die Schliche.
Titelangaben
Typex: Andy. A Factul Fairytale
Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder von der Tann
Hamburg: Carlsen 2018
562 Seiten, 48 Euro
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