Pin-Up-Krimi

Comic | Mirka Andolfo, Gianluca Papi: Contronatura

Der erste Band von Mirka Andolfos Comicreihe ›Contronatura‹ entwirft das Szenario eines von anthropomorphen Tieren bevölkerten Überwachungsstaats, der die Reproduktion seiner Spezies forciert – und anhand seiner schweinisch-niedlichen Heldin einen Verschwörungskrimi zwischen Superhelden-, Manga- und Pin-Up-Optik lostritt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Contronatura Mirka AndolfoEin paar Kilo zu viel und eine merkwürdige Haarfarbe, aber davon abgesehen eine makellose Patientenakte: So fällt das Urteil über die kecke junge Schweinedame Leslie bei der Routinekontrolle anlässlich ihres 25. Geburtstags aus. Gut so! Weil sie nun für das Reproduktions-Programm der Regierung infrage kommt. Ein Service, der die Partnerwahl sozusagen stellvertretend übernimmt – für den Fall, dass man nicht selbst schon einen fortpflanzungskompatiblen Geschlechtspartner gefunden hat. Einen der gleichen Spezies, natürlich. Denn Beziehungen zwischen Vertretern gleichen Geschlechts oder unterschiedlicher Spezies sind »Contronatura« – wider die Natur. So will es das Gesetz. Alle Tiere sind vor ihm gleich. Solange keiner das Gesetz bricht.

Dumm nur, dass Leslie einer erotischen Fantasie nachhängt, die nicht gerade gesetzestreu ist: Im Traum lebt sie immer wieder amouröse Abenteuer mit einem stattlichen Wolfskerl aus. Den soll sie sich endlich mal aus dem Kopf schlagen, rät ihre Freundin und Mitbewohnern Trish. Und sich endlich einen passenden Eber sucht. Alleine schon wegen der Single-Steuer, die eben erst drastisch erhöht wurde. Und damit sie keine Kandidatin fürs Umerziehungszentrum wird. Oder, schlimmer noch, die Todesstrafe zu befürchten hat. Maßnahmen wie diese erwarten nämlich die Tiere, die nicht die Gesetze befolgen.

Gleich und gleich muss sich gern gesellen

Ihr Kumpel Derek, ein schwuler Ziegenbock, hat diesbezüglich schon fortschrittlichere Pläne: Er will Leslie zu ihrer beider Vorteil zur Scheinehe mit seinem Schweineschwarm überreden. Hach, wenn sie doch selbst entscheiden könnte, was gegen die Natur ist und was nicht! Ein Gedanke, dem nachzuhängen sie allerdings kaum Zeit findet, den schnurstracks bekommt sie vom Reproduktionsprogramm einen möglichen Partner empfohlen. Und den zu treffen ist Pflicht.

Das arrangierte Rendezvous mit dem zugewiesenen Schweinekerl verläuft jedoch anders als geplant – und überhaupt entwickelt sich in der von anthropomorphen Tieren bevölkerten Welt von ›Contronatura‹ bald vieles anders, als es anfangs scheint. Den die vermeintlich auf Jugendliche zugeschnittene, sich mit tierisch-ferkeligen Reizen nicht zurückhaltende Orwell-meets-Teen-Girl-Fantasy-Comicreihe räumt schon im ersten Band gründlich mit seinem Setting und seinen Personen auf. Denn kaum sind die Charaktere ins Spiel gebracht und in der Erzählwelt verortet, bestimmen Komplotte, Intrigen und gewisse Schatten der Vergangenheit die Story, weswegen sich alsbald blutrote Spritzer über die hochglänzenden, niedlich-exploitativen Bilder ziehen.

Mit Spannung voran

Contronatura Mirka AndolfoMan sieht es den Zeichnungen von ›Contronatura‹ an, das ihre Urheberin, die italienische Zeichnerin, Koloristin und Autorin Mirka Andolfo, sich u.a. bei DC für ›Bombshells‹ und Marvel für ›Miss Marvel‹ verdingte. Sie setzt durchaus auf vordergründige Reize, wenn ihr zwischen Superheld, Manga und Pin-Up geschulter Strich den Band vorantreibt.

Indem sie dabei im Hintenrum zunehmend die Pfade für eine Art Verschwörungskrimi anlegt, verleiht sie ihrem ersten ›Contronatura‹-Band eine Dynamik, die den Nachfolgeband durchaus mit Spannung erwarten lässt.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Mirka Andolfo (Story, Zeichnungen u. Farben) / Gianluca Papi (Farbassistenz): Contronatura Bd. 1
Aus dem Italienischen von Michael Georg Bregel
Stuttgart: Panini Comics 2017
100 Seiten. 19,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Auch erhältlich als limitierte Variant-Ausgabe mit Cover von Milo Manara

Reinschauen
| Leseprobe
| Mirka Andolfo bei Instagram

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Bloß keine H-Milch!

Nächster Artikel

Free Jazz, Free Space & Impro: ›What If‹ von Hauschka

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die Novelle des Grafikers

Comic | Hans Hillmann: Fliegenpapier Der Grafiker Hans Hillmann hat sich 1975 an eine ambitionierte Umsetzung einer Kurzgeschichte von Dashiell Hammett gewagt. Seine Illustrationen beeindrucken auf jeder einzelnen Seite – und regen auch nach über 30 Jahren zum Nachdenken über die Stärken und Schwächen rein visuellen Erzählens an. BORIS KUNZ über den Prototypen einer Graphic Novel.

Hell of a Beach

Comic | Marcello Quintanilha: Tungstênio Der Krimi-Comic ›Tungstênio‹ des brasilianischen Zeichners Marcello Quintanilha beginnt scheinbar harmlos, entfesselt aber schnell eine überkochende Hetzjagd. Er hält sein Tempo über all seine 182 Seiten. Und lässt CHRISTIAN NEUBERT atemlos zurück.

Unheimlich schaurig

Comic | ›Die Unheimlichen‹ im Carlsen Verlag Mit ›Die Unheimlichen‹ erscheint bei Carlsen eine von Isabel Kreitz herausgegebene Reihe klassischer und moderner Schauergeschichten, die von verschiedenen deutschsprachigen Comic-Künstlern interpretiert werden. BIRTE FÖRSTER hat sie sich angesehen.

Gezeichnete Soldatendenkmäler

Comic | Spezial: Krieg im Comic Mit Werken wie Palästina und Gaza hat Joe Sacco die Comicreportage salonfähig gemacht. Während der Meister mit einem sieben Meter langen Ausklappbild der gigantischen Schlacht an der Somme im Ersten Weltkrieg neue Wege beschreitet, beschäftigen sich andere Comicreportagen auf immer vielfältigere Weise mit kriegerischen Konflikten und beleuchten ihre Wurzeln ebenso wie die individuellen Auswirkungen auf den einzelnen Soldaten. BORIS KUNZ hat ein paar besondere Kriegsreportagen aus dem aktuellen Angebot herausgepickt.

Straßenkinderkram

Comic | Max de Radiguès: Bastard Max de Radiguès erzählt in seinem Comic ›Bastard‹ von einem ungewöhnlichen Gangster-Pärchen: Eugene ist ein acht Jahre alter Bub, die junge May ist seine Mutter. Den Kofferraum voller Geld, sind sie auf der Flucht durch die US-Provinz, vor Cops und Komplizen. CHRISTIAN NEUBERT hat auf ihrem Beifahrersitz Platz genommen.