/

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Gesellschaft | Fuchs / Goetz: Geheimer Krieg

Die Autoren machten sich auf den Weg, um herauszufinden, ob es ein top secret Germany gibt, das nicht in öffentliche Strukturen eingebunden ist und sich demokratischer Kontrolle entzieht. Wie sehr sind deutsche Behörden in die militärischen Strategien der USA eingebunden? Machen sich deutsche Behörden zum willfährigen Handlanger amerikanischer Kriegsführung? Christian Fuchs und John Goetz gingen auf Reise »in ein unbekanntes Deutschland«, in »eine geheime Welt«. Von WOLF SENFF

Christian Fuchs, John Goetz: Geheimer Krieg

Alles, was geschieht, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das ist die eiserne Grundregel. So wurde die US-Zentrale in Stuttgart, von der aus die Drohnen-Angriffe in Afrika gesteuert werden, im Jahr 2007 in einem diskreten Gespräch mit Außenminister Steinmeier genehmigt und, wie schnell es manchmal gehen kann, wenige Tage später eingerichtet. Ein diesbezüglicher Vertrag mit völkerrechtlicher Geltung, der nach öffentlicher Debatte vom Parlament beschlossen worden wäre, existiert nicht – über diese Dinge soll der Deckel gehalten werden, diese Angelegenheiten werden an der deutschen Bevölkerung vorbei implementiert.

Genau wie damals in der DDR
Die Autoren zeigen an vielen Beispielen, wie tief reale operative militärische Strukturen der USA in Deutschland verankert sind. Die jeweiligen Bundesregierungen stellen sich seit Jahrzehnten öffentlich taub und sind den militärischen Interessen des kriegführenden Amerika devot und anstandslos zu Diensten. Wenn man solche Sätze aufschreibt, muss man tatsächlich einen Augenblick innehalten, um sich zu besinnen.

Verhältnisse wie seinerzeit in der DDR in ihrer Beziehung zur großen sozialistischen Brudernation, der UdSSR, nicht wahr? Exakt. Amüsiert schmunzelnd lesen wir darüber in den Geschichtsbüchern. Und? In welchem Jahr leben wir? 2014? Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen? Nein, das geht nicht in einen Kopf.

Nein, Deutschland hat sich nie beteiligt, nie
Von Stuttgart und Ramstein aus wird der geheime Drohnenkrieg der USA mitgeplant und gesteuert, die CIA etablierte weltweit die jedem Völkerrecht hohnsprechenden Geheimgefängnisse mithilfe der Frankfurter Logistikzentrale, beflissene deutsche Beamte verhören Immigranten aus Somalia und leiten die Information routinemäßig an die amerikanischen Behörden weiter. All das vor dem Hintergrund, dass US-Geheimdienste ungeniert deutsche Glasfaserkabel anzapfen und Millionen Bundesbürger abhören.

Im Übrigen gibt es denkwürdige Episoden wie diejenige von den zwei deutschen Agenten in der französischen Botschaft in Bagdad, 2006, die in ihrer geheimen Aufklärung »hilfreicher für uns waren als fünftausend Soldaten«, wie Spider Marks erklärte, seinerzeit Leiter der US-Aufklärung im Irak. Man staunt, wie professionell derartige Aktivitäten vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen werden. Nein, Deutschland hat sich nie am Irakkrieg beteiligt. Davon kann keine Rede sein. Ehrenwort.

Geheimer Krieg ist ein breit angelegtes investigatives journalistisches Projekt. Das Buch erscheint in zweiter Auflage, es ist eine groß angelegte Gemeinschaftsproduktion innerhalb des NDR und der Redaktion Panorama. Auch die Süddeutsche Zeitung schloss sich diesem Projekt an. Man darf hoffen, dass der journalistische Mainstream sich nach und nach deutlicher für kritische journalistische Arbeit öffnet.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Christian Fuchs, John Goetz: Geheimer Krieg. Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird
Reinbek: Rowohlt 2013
254 Seiten. 19,95 Euro

Reinschauen
Facebookseite zum Buch
Internetseite »Geheimer Krieg«
»US-Behörden lügen seit Jahren« – Wolf Senff interviewt Medea Benjamin
Pannen, Fehleinschätzungen – Wolf Senff zu Medea Benjamin: Drohnen-Krieg
Ausgebuffte Kampagnen – Wolf Senff zu Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Slut auf Tour

Nächster Artikel

Lesen lindert Leiden

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Realityshow Russland

Gesellschaft | Peter Pomerantsev: Nichts ist wahr und alles ist möglich. Wer als TV-Journalist von London nach Moskau kommt, den erwartet ein Medienzirkus, der wenig mit westlichen Werten wie der Pressefreiheit gemein hat. Unterhaltsam und positiv müssen die Geschichten sein, das ist die Hauptsache. Peter Pomerantsev, der Mann, den es in die Hauptstadt Russlands zog, hat neun Jahre lang nach ihnen gesucht, dabei viel gesehen und erlebt – von besonders schönen Erlebnissen berichtet er allerdings selten. Von STEFFEN FRIESE

Heimatschutz?

Gesellschaft | James Risen: Krieg um jeden Preis. Gier, Machtmissbrauch und das Milliardengeschäft mit dem Kampf gegen den Terror James Risen gibt uns erstaunliche Einblicke in die sich seit dem 9. September 2001 ausbreitenden Aktivitäten des Heimatschutzministeriums der USA. Er zeigt Untiefen des Krieges gegen den Irak und beschreibt die neuen politischen Strukturen, die sich seitdem in den USA herausbildeten. Von WOLF SENFF

Zur rechten Zeit

Gesellschaft | Thilo Bode: TTIP. Die Freihandelslüge Zum ›Transatlantic Trade and Investment Partnership‹ TTIP gibt es zuallererst anzumerken, dass es auf einer bislang nicht da gewesenen Verflechtung von Wirtschaft und Politik beruht. Das Wort »Filz« ist aus der Mode gekommen, doch an den Realitäten hat sich nichts geändert, wir befinden uns mitten in einem Staatsstreich der Konzerne, der durch die Regelungen des TTIP auf ein unverrückbares Fundament gestellt werden soll. Von WOLF SENFF

Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil III

Thema | Germany’s Next Topmodel JAN FISCHER hat die erste Folge der neuen Staffel Germany’s Next Topmodel mal gründlich auseinandergenommen. In seinem großen, dreiteiligen Essay findet er unter der bunten Candy-Verpackung der Sendung eine saubere Erzählung von der Dunkelheit am Rande der Stadt.

Hartz IV – eine veränderte Gesellschaft

Gesellschaft | Christoph Butterwegge: Hartz IV und die Folgen Diese Untersuchung verleiht ein beträchtlich Maß Bodenhaftung. Christoph Butterwegge beschreibt zunächst die ausgangs des Ersten Weltkriegs etablierten Sozialreformen und das Ende jener Sozialstaatsperiode, das zu Beginn der 30er Jahre durch den Austeritätskurs der Regierung Brüning und die Demontage der Arbeitslosenversicherung eingeleitet wurde. Ähnlichkeiten mit der Entwicklung der Bundesrepublik, dem »keynesianischen Wohlfahrtsstaat« und der folgenden »sozialen Demontage« sind auch im Detail unverkennbar. Von WOLF SENFF