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Feinde im Datastream

Gesellschaft | Roberto Simanowski: Data Love

2013 stellte der amerikanische Whistleblower und Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden unter Mitwirkung des Journalisten und Anwalts Glenn Greenwald, der US-amerikanischen Dokumentarfilmerin Laura Poitrasi (›Citizenfour‹ jetzt in den deutschen Kinos!) und kritischer Medien der Weltöffentlichkeit klar, dass britische und US-Geheimdienste Mails, SMS, Skype- und Handygespräche im Megastil sammeln, dass technophile Gesellschaften enthemmt ausgespäht werden. Obgleich sich diese ausufernde Schnüffelpraxis als Außenpolitik-, Industrie- und Bankenspionage und angeblicher Kampf gegen den Terrorismus »getarnt« vollzieht, wird everyone everywhere zu everywhat bespäht. Von GISLIND NABAKOWSKI

DataloveSeit dreißig Jahren versenden Menschen E-Mails. Wurde zunächst nicht genug bedacht, dass sie – wie Postkarten – von außen lesbar sind, so zirkulieren sie bis heute noch in hohem Prozentsatz völlig unverschlüsselt. Bewegungsmuster, Aussagen und Stichwörter werden ermittelt, gespeichert und gesammelt, weil das technisch möglich ist. Hier steht das Internet erst am Anfang dieser Revolution, kybernetische Überwachungstechnologien werden weitere Probleme erzeugen. Zudem werden mit horrenden Kapitalströmen gestützte Rechnerprozesse ständig zu höheren Kapazitäten verschaltet, um übergeordnete Metadaten und Muster für neue Verfügbarkeiten daraus zu gewinnen. Ohne gefragt zu werden, sind wir alle dauernd Versuchskaninchen solcher Operationen.

»Data Love ist ein Phänomen der Kontroll- wie der Konsumgesellschaft im Zeitalter ihrer digitalen Verfasstheit«

Datenkraken, Monopolisten wie Google, Facebook, Yahoo, Twitter, Amazon, auch Apps, Chats, Clouds, sammeln Wissen zur Kapitalisierung und Steuerbarkeit. Nur: Der Umgang damit ist im Datenkapitalismus der Willkür des »freien Markts« auf heikelste Weise ausgesetzt. Staaten, die sich demokratisch dünken, ebenso Versicherungen, Behörden, Banken, die Polizei, diverse »soziale« Dienste, alle sind darauf aus, die Verhaltensdaten ihrer Schäfchen zur besseren Verwaltbarkeit anzuzapfen. Die Möglichkeit zur Erosion und Beschneidung politischer Rechte, die totalitäre Zugriffe auf die somit verschwindende »Privatheit« verursacht, ist durch den auf Algorithmen basierenden Technologiefortschritt gegeben. In Algorithmen sieht der Autor immaterielle Probleme. Ein Sachverhalt, der sich hegemonial, totalitär und neokolonial missbrauchen lässt. Solche tumben Überwachungsszenarien finden statt, wegen des Fehlens demokratischer Kontrollen.

Roberto Simanowskis Buch ›Data Love‹ ist Teil der theoretischen Debatten zu dieser globalen Entwicklung. Es versucht auszuloten, warum dem Big Data-Business nicht genug Widerstände entgegengesetzt werden. Mit Bezug auf Evgeny Morozov schreibt er, dass Algorithmen effektiver und funktionaler als Geheimdienstoffiziere arbeiten, denen alles menschlich Abweichende fremd ist. Ebenso vergleicht er sie mit Wächtern, die über uns mehr wissen, als wir selbst.

Digitalisierung – ein Jahrhundertthema, das alle Politikbereiche durchdringt

Was man in diesem aus vier Essays bestehenden Buch findet, sind differenzierte Diskurse über weitere Folgen des von cleveren Venture-Kapitalisten betriebenen »Data Mining«. Entstanden ist das Buch im universitären Bereich: Geschrieben wurde es, um ahnungslose ZweiflerInnen der leichtsinnigen Generation »Ich poste, also bin ich« zur Vorsicht gegenüber den stets als »Fürsorge« getarnten Gratis-Kundendiensten zu überzeugen. Nicht zu vergessen dabei: Algorithmen bilden wie gesagt auf abstrakte Weise »Identitäten« ab. Doch: Solche »Statistik steht im Zeichen des Spektakels«, weil es beim auf Algorithmen basierten Ranking immer SiegerInnen gibt. Auch spieltypische Aspekte würden gerne von den kommerziellen StrategInnen verbissen »ins restliche Leben« übertragen. Darum liegt auch das Verhängnis des »Big Data Mining«-Business nicht allein in seiner stofflich nicht fassbaren, seiner nahezu unsichtbaren Kasuistik, sondern allerdings auch im stillen Einverständnis, im Komplizentum und Versöhnungspotenzial der UserInnen. Denn der Umgang mit Überwachungs-Technologien – zumal diese ausnahmslos smarte Gadgets (Spielzeug) sind – bringt ihnen Erleichterung und Spaß. Woher aber kommen die Datengier und die häufig unvorsichtige Freigabe von (Selfie)-Fotos und Informationen?

Das Buch versucht nun, die Seite der Komplizenschaft nicht tiefenpsychologisch, sondern kulturindustriell aufzurollen: »Die Disziplinierung der Geheimdienste ist der einzige gemeinsame Nenner, auf den sich die Gesellschaft noch halbwegs einigen kann. Und nicht einmal hier sind alle einer Meinung. Denn es stellt sich die Frage, warum Menschen als Staatsbürger auf eine Privatsphäre pochen, die sie als Konsument leichthin preisgeben.«

Kein Mehr an Demokratie

Weil das Internet als »gemütliches Heim« der »Autopropaganda« (Eli Pariser) erlebbar ist, »die das Subjekt permanent bestätigt, und das, was es (noch) nicht ist, unablässig ausblendet«, folgen breite Gruppen Leidenschaften wie Bequemlichkeit, Geiz, Ignoranz, Narzissmus, dem fatalen Hang zur Selbstausstellung, der sorglosen »I Like-Mentalität«, die wiederum verstärkt zur Herausbildung von »Data Love« führen. Durch »Data Love« werden (unkritische) Massen zu Produkten von Datenkraken und Monopolisten.

Vor allem der real grassierende Massennarzissmus lässt sich heute – gibt der Autor dazu weiter zu bedenken – als »heikelste Liebesbeziehung des 21. Jahrhunderts« – nämlich sehr einfach mit »Hedonometern« messen, wenn zum Beispiel die Absender von Tweets analysiert werden. Dabei sind Dauerwettkämpfe um Selbstoptimierung in den diversen Netzwerken – auch wenn sie sich »social« nennen – nichts anderes als »freiwilliger« Kundendienst. Doch hier herrschen »Vermessungszwänge«. Wie aber schon das ›Harvard Business Manager-Magazin‹ in seinem November-Heft 2012 mit dem Klassischen Leitsatz bestätigte: »Was man nicht messen kann, kann man nicht managen.«

Auch Facebook verfügt über einen »happiness score«: Kundenfreundliche views, likes und shares (der nach oben gerichtete Daumen) werden nach null/eins, ja/nein errechnet, komplexe Sachverhalte ihrer Differenzierung und der darin schlummernden, potenziell demokratischen Kontroversen beraubt oder – wie Roberto Simanowski argumentiert – »infantilisiert« –, sprich in erbarmungslose Neutralität oder in die Gut/Böse-Schemata von Märchen aufgelöst. »Data Love« als Habitus und Verhaltensweise kann ebenso auch zur Auflösung von berechtigter Vorsicht vor Cyber-Überwachung führen. Dem Business mit Daten sei im »full take« faktisch eine aberwitzige Fülle an »Quantifikationen« erlaubt.

Durch die neuen elektronischen Tools, die immer mehr Bereiche erobern, wird die Welt sich weiter fundamental verändern. Neue Tools sind Teil der revolutionären Infrastruktur. Big Data-Mining verändert das Verhältnis ganzer Gesellschaften und jedes Einzelnen zur Welt. Wer nicht gestaltend eingreift, bleibt hinter notwendigen Möglichkeiten der Einflussnahme zurück. Darum wird die zentrale These des Buchs gleich am Anfang problematisiert: »Data Love ist das euphemistische Begleitwort zum Leitbegriff der digitalen Informationsgesellschaft: Big Data Mining – die computergesteuerte Analyse großer Datensammlungen auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten und unbekannte Zusammenhänge hin.«

»Personalisierungsalgorithmen unterdrücken den Zufall, die Begegnung mit dem Anderen und generieren so eine informationsspezifische Fremdenfeindlichkeit, die einem zum Großteil nicht einmal bewusst wird«.

Der Autor, der 1996 über »Unterhaltungsliteratur um 1800« promoviert wurde, seit 1999 Gründer und Herausgeber des interdisziplinären, deutsch-englischen Online-Journals ›Dichtung Digital‹, der als Medien- und Literaturwissenschaftler an der Universität Basel (2010-2013) und seit 2014 Digital Humanities (Digitale Geisteswissenschaften) in der School of Creative Media der City University of Hong Kong (China) lehrt, erklärt im Text, dass, eingespannt ins neoliberale Joch, auch in den Geisteswissenschaften Übergänge von intellektueller, theorie- und hypothesengestützter zu numerischer, datengeleiteter Forschung, gepaart mit einer »gutgelaunten Theorieabstinenz« heraufzögen:

»Jüngere Wissenschaftler sprechen bereits ganz neutral von einem »post-theoretical age«, in dem das Sammeln und Ordnen von Daten die Thesenbildung in den Hintergrund stellt; andere verkünden enthusiastisch: »forget meaning«, »follow the datastream«.

Er diskutiert, welche Folgen es haben könnte, wenn beispielsweise Narrationen, Literatur, Bildwelten, Film oder die anderen Künste fortan von bloßen Durchschnittswerten – quasi Schnittmengen aus Datenbanken – unterspült würden. Wenn Affirmation dann fälschlich mit Subversion verwechselt würde; oder wenn Kunst quasi zuletzt als numerische Auswertung von ermittelten Datenspuren nicht mehr im Zeichen der Emanzipation stünde – nicht mehr, um sich daran kulturell, politisch, argumentativ oder ästhetisch zu reiben –, sondern sie zum bloßen Effektebrei von ZahlenjongleurInnen degradiert würde, wenn Monopolisten damit die seichten Resultate ihrer digitalen Überwachung für den Verkauf ihrer Produkte maß schneidern könnten.

»Die Annahme, dass die Kunden weniger das erhalten, was sie eigentlich haben wollen (sollten), als das, was ein Unternehmen ihnen verkaufen will, ist die Grundidee auch in Hans Weingartners Film ›Free Rainer – Dein Fernseher lügt‹ (2007). Hier ist ein erfolgreicher, zynischer TV-Produzent nach einem Erweckungserlebnis überzeugt: »Kein Zuschauer ist so blöd wie die Shows, die wir produzieren.«

Im letzten Kapitel des 190-seitigen Buchs (dem der Autor im Januar 2015 bei Matthes & Seitz ein weiteres über Facebook folgen lässt), wird zu lauten, zu breiten, zu politischen und moralischen Diskussionen ermuntert. Das heißt genauer gesagt auch: Zu mehr Aufklärung über IT-Sicherheit oder zur Dezentralisierung. Dazu gehören des weiteren alternative Softwareangebote, unabhängige Mailserver, Auf- und Ausbau sicherer Datennetze, Verschlüsselungssysteme (Kryptografiesysteme), Programmierwissen auf breiter Ebene, ebenso Kommunikationslöcher, technologische Kompetenzen, um Kompromisse im Datenschutz oder solche im Datenbetrug offen zu legen, ferner ebenso data-kritische Projekte, um Metadaten-Lobbyismus erkennen zu lernen, digitale Radiergummis u.v.m.

| GISLIND NABAKOWSKI

Titelangaben
Roberto Simanowski: Data Love
Berlin: Matthes & Seitz 2014
190 Seiten. 14,80 Euro

Reinschauen
Laura Poitras Film ›Citizenfour‹ wurde als Deutschlandpremiere zur Eröffnung des 57. DOK-Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm (Leipzig) 2014 gezeigt (Edward Snowdens Videobotschaft zum Auftakt des DOK-Festivals). ›Citizenfour‹, wegen der medialen Brisanz der Snowden-Enthüllungen als »Doku-Thriller« eingestuft, erhielt den Preis »Leipziger Ring« der Stiftung Friedliche Revolution, vergeben Ende Oktober in der Nikolai-Kirche – dotiert mit 5000 Euro. Der deutsche Kinostart ist am 6. November.

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