Gesellschaft | Varoufakis / Holland / Galbraith: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise
Emotionen sind flüchtige Gebilde, sie erhitzen sich im Handumdrehen und kühlen flugs ab. Als ›Bashing‹, auch ›Kampagnenjournalismus‹, bezeichnen wir das gegen eine Person gerichtete Mobilisieren negativer Emotionen, und ›Aufhetzen‹ wäre da das unmissverständliche, seitens der Verursacher als unhöflich empfundene muttersprachliche Äquivalent. Von WOLF SENFF
Neulich noch stand Putin-Bashing hoch im Kurs, und niemand erklärt uns, auf welche Weise es so plötzlich diffundierte. Niemand redete mehr davon, und erst seit Neuestem bahnt sich ein Putin-Bashing 2.0 an, allerdings von geringerer Intensität. Ist das nicht lustig? Werden wir doch nüchtern? So geht’s zu mit den medial herausgekitzelten Emotionen.
Ein Ungetüm namens ›Bashing‹
Vermutlich gibt’s winzige bunte Emotionsfresser oder, besser noch, bislang unentdeckte schwarze Löcher, die ratzfatz sämtliche emotionalen Energien absaugen, sobald diese sich besinnungslos erhitzt haben. Die trunkene, heißgelaufene Seele findet keine Nahrung und kühlt ab. Ja, gewiss, wir müssen wir uns diese ach so rätselhafte Welt doch erklären.
Nun sucht sich das vielgestaltige Ungeheuer namens ›Bashing‹ ein neues Opfer, und wer die großbuchstabigen Schlagzeilen in diesem Land verfolgt, weiß, dass von Giannis Varoufakis die Rede sein wird, dem griechischen Finanzminister.
Vier Wege aus der Krise
Auch hierzulande war, wie jeder weiß, einst ein Finanzminister im Amt, der – wie man nachträglich einsehen musste – kluge Vorstellungen zur hiesigen Wiedervereinigung hatte und zur Reorganisation der Finanzmärkte, doch dann kroch ›Bashing‹ aus dem Schlamm der Mediensümpfe – und Pustekuchen.
Varoufakis/Holland/Galbraith beschreiben in dem vorliegenden schmalen Bändchen den gegenwärtigen Zustand der Krise der Eurozone. Sie entwerfen vier Strategien, die aus dieser Lage herausführen sollen, es ist eine kurze, komprimierte Schrift zur unmittelbaren Handhabung für Politik, zur kurzfristigen unmittelbaren Umsetzung geeignet.
Ad hoc praktizierbar
»Seit Beginn der Krise haben die politisch Verantwortlichen in Europa noch keine echten Lösungen präsentiert, sondern nur versucht, Zeit zu kaufen, und damit haben sie die Krise unendlich verlängert, ihre sozialen Kosten in die Höhe getrieben, die demokratische Legitimität der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission unterhöhlt und natürlich all die Kräfte im Untergrund gestärkt, die auf die Auflösung der Eurozone und in der Folge der EU selbst hinwirken.«
So gesehen drängt sich der wenig erfreuliche Eindruck auf, als handele es sich bei den politischen Eliten Europas um eine unverbesserliche Altherrenriege, sterbenslangweilig, ein ›Club Europa‹, beratungsresistent und unzugänglich. Die politischen Initiativen von Varoufakis/Holland/Galbraith setzen keine Veränderung der Rahmenbedingungen voraus, kein umständliches Prozedere, die vorgeschlagenen Maßnahmen sind Verwaltungsakte, sie wären ad hoc praktizierbar.
Notprogramm für soziale Solidarität
Sie schlagen vor, die Beziehung zwischen EZB und nationalen Banken graduell anders zu gewichten. Sie präsentieren einen Mechanismus für jeweils strikt nationenbezogene Entschuldungen und zeigen außerdem eine am ›New Deal‹ orientierte Logik, um die über die Europäische Investitionsbank und den Europäischen Investitionsfonds bereits praktizierte Investitionsförderung auszuweiten.
Viertens entwerfen sie ein »Notprogramm für soziale Solidarität«, und man kann nur hoffen, dass die satten und zufriedenen Repräsentanten der hiesigen ›Leitmedien‹ oder, wem das besser gefällt, des Mainstream so viel Einsicht aufbringen, die Dringlichkeit eines solchen Programms zu akzeptieren und dessen Inhalte in ihren Blättern aufzugreifen.
Grundbedürfnisse der Bürger erfüllen
Auch hierzulande, ich wiederhol’s für den Fall, dass diese Erkenntnis unsere saturierten Eliten in ihren Wellness-Etagen noch immer nicht erreicht hat, sind Armut und Not verbreitet.
Varoufakis/Holland/Galbraith sehen eine »moralische und politische Pflicht der EU, so schnell wie möglich zu handeln, um die Grundbedürfnisse der europäischen Bürger zu befriedigen«. Es geht ihnen um ein Lebensmittelhilfe-Programm sowie um die Grundbedürfnisse bezüglich Strom, Heizung und öffentlichem Personenverkehr, ein Finanzierungsprogramm ist enthalten.
Wir sind neugierig
Realistischerweise ist selbstverständlich nicht zu erwarten, dass die etablierten EU-Granden den griechischen Newcomer freundlich umarmen, sich gar bedanken und die Vorschläge überhaupt diskutieren werden. Die mediale Stimmungsmache, das Bashing, das Mobbing, hat bereits eingesetzt, die Großbuchstaben sind gefechtsbereit zurechtgelegt.
Aber man wird dennoch abwarten dürfen. Denn zum ersten Mal sind gewichtige politische Konzepte öffentlich als Handlungsalternativen präsent, und es dürfte jedenfalls auch für die Medien hierzulande schwieriger werden als bisher, dass sie sich weiterhin in ihrer Wagenburg-Mentalität verschanzen bzw. – wie man gelegentlich tatsächlich annehmen muss – ihren Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterschlaf bis in alle Ewigkeit fortsetzen.
Titelangaben
Yanis Varoufakis, Stuart Holland, James K. Galbraith: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise
München: Antje Kunstmann 2015
63 Seiten. 4,99 Euro
Reinschauen
| »In Auflösung befindlich« – WOLF SENFF zu Varoufakis: Der globale Minotaurus.