Schaurig schön

Comic | Erik Kriek: In The Pines. 5 Murder Ballads

Erik Kriek versteht es hervorragend, düsteren Stoffe ein Comic-Gewand zu verpassen. Nach seinen Lovecraft-Adaptionen ›Vom Jenseits und andrere Erzählungen‹ erschien im Avant-Verlag nun ›In The Pines. 5 Murder Ballads‹. Mordsmäßig, findet CHRISTIAN NEUBERT

In the PinesDer australische Musiker Nick Cave trägt seine Strophen vor und wäscht sich das Blut von den Händen. Kylie Minogue treibt derweil tot im See: Cave hat seine Duett-Partnerin mit einem Stein erschlagen. Es sind starke Bilder aus einem starken Musikvideo zu einem starken Song. Die Rede ist von ›Where The Wild Roses Grow‹, die erste Singleauskopplung der LP ›Murder Ballads‹. Das Album ist sehr bekannt, es ist eines der erfolgreichsten von Nick Cave und seiner Band. Weniger bekannt ist: Die Murder Ballads bezeichnen einen Gattungsbegriff. Sie sind ein Subgenre nordamerikanischer Folk Music und als solches ein fester Bestandteil des ›Great Amercian Songbook‹ – dem Katalog klassischen US-amerikanischen Liedguts.

Es ist leicht zu erraten, was den Inhalt der ›Murder Ballads‹ ausmacht. Sie nehmen das Abgründige, Düstere und Morbide ins Visier. Mord und Totschlag, Gewalt und Blutvergießen, der Stoff, aus dem die Albträume sind. Der niederländische Comic-Künstler Erik Kriek hat fünf dieser Moritate als kurze Comic-Erzählungen adaptiert und sie zu dem Band ›In The Pines‹ kompiliert. Eine deutschsprachige Ausgabe erschien vor Kurzem beim Berliner Avant-Verlag. Mit dem Band unterstreicht er sowohl seinen Hang als auch sein Händchen für schaurige, dunkle Stoffe: Das Vorgängerwerk ›Vom Jenseits Und Andere Erzählungen‹, ebenfalls bei Avant verlegt, kompiliert einige Adaptionen von Storys des Horror-Altmeisters H.P. Lovecraft. Stilistisch sind sich beide Werke recht ähnlich. Thematisch auch. Wobei man im Vergleich von Lovecrafts Gothic Horror und den ›Murder Ballads‹ dann doch einen großen Unterschied ausmachen kann: Bei Lovecraft kommt das Grauen von außen. Die Murder Ballads finden es stattdessen im Inneren des Menschen. Sie entdecken es in den Seelen ihrer Protagonisten.

Liebe, Tod und Teufel

Da gibt es den Liebhaber, der seine Angebetete aus Eifersucht um die Ecke bringt. Einen Ehemann, der sich seiner schwangeren Frau gewaltsam entledigt und hinterher auf ein Schiff flüchtet – nur um dann festzustellen, dass er auch auf hoher See keine Ruhe von ihr hat. Oder einen jungen Afroamerikaner, der seinen Fuß in ein Städtchen setzt, in dem er aufgrund seiner Hautfarbe nicht willkommen ist. Er entgeht zwar dem Lynchmord, zuungunsten allerdings eines anderen Schwarzen, der schlicht und ergreifend zur falschen Zeit am falschen Ort ist – und der ihm fortan keine Ruhe lässt.

 

 

Krieks inszeniert seine Adaptionen in schwarz-weiß kontrastierten, holzschnittartigen Bildern. Jede einzelne Geschichte erhält von ihm eine zusätzliche Schmuckfarbe. Großen Wert auf originalgetreue Umsetzungen legt er nicht. Die einzelnen Storys bewegen sich manchmal sehr weit weg von ihren zugrunde liegenden Songtexten. Um das zu erkennen, muss man kein Experte US-amerikanischer Folk-Traditionen sein. Es genügt, sich Nick Caves populäre Version von ›Where The Wild Roses‹ vorzuknöpfen und sie Krieks Comic-Fassung gegenüberzustellen. Die besungene »Wilde Rose« Eliza Day ist ein Mädchen, das ihrem Mörder initiativlos ausgeliefert ist. Kriek macht aus ihr eine Powerfrau des Wilden Westens, an dem sich ihr mörderischer Kontrahent – hier: ein entlaufener Kettensträfling – die Zähne ausbeißt. Das mit dem »All Beauty Must Die«, in dem der Song mündet, hat dem Holländer wohl nicht so recht gefallen …

Erik Kriek: Autorenzeichnersänger

Der fesselnden Comic-Anthologie liegt übrigens eine CD bei, auf denen sich die fünf Murder Ballads im musikalischen Bluegrass-Outfit befinden. Dadurch erhält man nicht nur einen unmittelbaren Zugang zur Kultur der Mords-Balladen: Man erlebt auch Erik Kriek als Sänger. Seine Freunde von den ›Bluegrass Boogiemen‹ haben ihn für einige der Songs ans Mikrofon gebeten. Er macht dort eine gute Figur. Umso mehr allerdings als Zeichner und Autor schaurig-schöner, mörderisch-morbider Comics.

| CHRISTIAN NEUBERT

Erik Kriek: In the Pines
Berlin: avant Verlag 2016
136 Seiten, 24,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| In the Pines – Leseprobe
| Homepage des Künstlers

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Bilder, in denen Blut und Gehirn spritzen, interessieren mich nicht«

Nächster Artikel

»Ich bin ein Geschichtenerzähler«

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

The Abstraction Game

Comic | Robert Deutsch: Turing Der Leipziger Robert Deutsch erzählt in der Graphic Novel ›Turing‹ vom Leben und Leiden des berühmten britischen Mathematikers und Computerpioniers Alan Turing, der 2014 durch den Spielfilm ›The Imitation Game‹ späten Ruhm erlangte. Deutsch allerdings betreibt keinen Versuch der Imitation von Turings Leben, sondern nähert sich diesem Menschen auf einer höheren Abstraktionsebene – und hebt sich damit für BORIS KUNZ angenehm von jeder Hollywood-Interpretation ab.

Ein Hoffnungsschimmer

Jugendbuch | Stéphane Marchetti: 9.603 Kilometer

9.603 Kilometer sind knapp ein Viertel des Äquators. So lange ist die Strecke, die zwei Jungs unterwegs: von Afghanistan nach England. Schlecht ausgerüstet, ständig neuen Gefahren ausgesetzt und unter Einsatz ihres Lebens fliehen sie. Eine Geschichte, die unter die Haut geht, meint ANDREA WANNER.

Das Mädchen und die Seeräuber

Comic | Vehlmann/Jason: Die Insel der 100.000 Toten Es wird viel gefoltert und noch mehr gestorben auf der Insel der 100.000 Toten, soviel kann man sagen. Und tatsächlich ist eine Schatzkarte der Anlass dafür. Ansonsten hat dieses Album mit anderen Piratencomics relativ wenig zu tun. Stattdessen entpuppt es sich als Kleinod des verqueren, schwarzen Humors. BORIS KUNZ hat mit knapper Not überlebt.

Unter Sündern

Comic | J.Muñoz/C.Sampayo: Alack Sinner

Die im Avant-Verlag erschienene Gesamtausgabe der vielfach prämierten Crime Noir-Comicreihe ›Alack Sinner‹ kompiliert erstmals alle 20 Storys um den New Yorker Privatdetektiv in deutscher Übersetzung. Die Straßen New Yorks werden da zur Echokammer der jeweiligen Fälle – und plätten die Leser*innen mit wimmelnder Wucht. Von CHRISTIAN NEUBERT

Karikaturen und Comic-Paraden

Comic | ICSE 2016 Spezial: Rückblick auf den 17. Internationalen Comic Salon Erlangen 2016 Während 2014 der Internationale Comic Salon in Erlangen noch das Thema »Erster Weltkrieg« wählte, ging es dieses Jahr sowohl thematisch als auch stilistisch wesentlich vielfältiger und bunter zu, mit Kunst aus der ganzen Welt. 25 000 Comicinteressierte besuchten vom Donnerstag, den 26. Mai, bis Sonntag, den 29. Mai den Comic Salon. 500 Künstler und 150 Aussteller waren mit dabei. Es ist der 17. Comic Salon, der alle zwei Jahre Farbe und Leben in die sonst so beschauliche und ruhige fränkische Stadt Erlangen bringt. PHILIP J. DINGELDEY