Teflon®-Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Kultur | Pieke Biermann: Teflon®-Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Seit 70 Jahren ist es auf dem Markt: Polytetrafluorethylen, kurz PTFE, Markenname Teflon®. In gut zwei Generationen ist uns der Wunder-Kunststoff offenbar so alltäglich geworden, dass er zur Metapher taugt: als Etikett vor allem für Politiker. Von PIEKE BIERMANN Inzwischen leistet er auch linguistisch gute Dienste: Als Teflon-Wörter bezeichnet die Sprachwissenschaft Begriffe, die so schlagend verführerisch wirken, dass sie gegen instinktives Überprüfen immun sind und Kritik an ihnen abperlt. Subsemantische Trigger, könnte man sagen. Teflon ist selbst so einer.

Lust auf ein Quiz? Wem werden die folgenden Eigenschaften zugeschrieben: beständig gegen ätzendste Angriffe, größte Hitze und beißendste Kälte, verlässlich fest, nicht brennbar; verströmt erst bei Zersetzung Giftgas, gleitet, falls überhaupt, ruckfrei vom Stillstand in eine Bewegung, ist extrem reaktionsträge und oberflächenentspannt, nichts bleibt haften, nicht mal die Saugfüßchen von Geckos.

Abb: Madagascan Giant Day Gecko Phelsuma madagascarensis at Louisville Zoo / Ltshears / CC BY-SA 3.0)
Gecko – Abb: Trisha Shears

Wenn Sie größere Teile Ihres Lebens mit Heim & Herd verbringen, fallen Ihnen vermutlich spontan Pfannen & Töpfe ein. Teflon! Ihre präfaktisch gepolten Lebensgefährten ergänzen prompt, das sei ja so was wie Nasenspray – eigentlich ein Abfallprodukt der Weltraumforschung. Und wer dem Verein »Wohlfeile-Wut-Bürger« angehört, denkt inzwischen automatisch an »die da oben«, vulgo: Politiker, gern auch weiblicher Bauart.

Früher, sagen wir zu Frank Zappas Zeiten, wurden Promis aller Art als plastic people geschmäht. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der populärste, Milliarden scheffelnde Kunststoff zur Steigerungsform von »Plastik« mutiert – damals war O. J. Simpson, eben freigesprochen von einem Doppelmord, »ein Mann wie Teflon«. Und spätestens seit der Jahrtausendwende schießt die Teflon-Metaphorik aus den Keyboards wie Pilze aus schimmeligen Wänden.

In Cool Britannia avancierte Premierminister Blair rasch zum Teflon-Tony; derzeit geht der österreichische FPÖ-Rechtsaußen Heinz-Christian Strache als HC Teflon durch, der SPÖ-Kanzler hieß dort schon ab 2008 Teflon-Faymann; an Italiens Berlusconi schien lange Zeit kein Unflat kleben zu bleiben; durch die 2006 geleakten Depeschen von Berliner US-Diplomaten geisterte die deutsche Bundeskanzlerin als Angela Teflon Merkel; die Zeit‹ würdigt 2016 Frank Walter Steinmeier, den Ex-Kanzleramtschef, Noch-Außenminister und mutmaßlich nächsten Bundespräsidenten, als »Der Teflon-Zeuge«.

Selbst spirituell-inspirierte Antipoden zur modernen Ex-und-hopp-Plastikwelt kommen an der Metapher nicht vorbei: Resilienz-Coaches etwa wenden sie kurzerhand ins Positive, empfehlen die Bildung eines »Teflon-Ichs« zur Stärkung der individuellen Widerstandskraft und bieten Trainings zum »achtsamen Weg des Teflon-Prinzips« feil.

Eine noch hübschere idiomatische Volte gelingt nur der ›FAZ‹. Sie titelt im Februar 2016: »Teflon-Trump lässt nichts anbrennen«. Oh assoziationssatte deutsche Sprache! Okay, was in der Pfanne nicht haften bleibt, brennt auch nicht an. Wer nichts anbrennen lässt dagegen – sagen wir mal so: Der ist reaktionsschnell und agiert gern am Rand des Erlaubten. Das wiederum taugt als Haftgrund. In unserer schönen neuen Gesellschaft mit immer beschränkterer Haftung, in der das »Gefühlte« mehr wiegt als Fakten, allerdings immer seltener. Stattdessen scheinen Politiker heutzutage um die Medaille »Der Teflonste von allen« zu wetteifern. Den Spitzenplatz hält einstweilen der künftige US-Präsident, den hat’s schon in Gotti-gleiche Höhen katapultiert: als Teflon-Don.

Bleiben wir trotzdem kurz bei ein paar Fakten. Teflon wurde keineswegs in Raumschiffen getestet – die gab’s erst später –, sondern im Manhattan Project, dem Atombomben-Forschungsprogramm: als reaktionsdämpfendes Polster für das hoch-reaktive Uran. Und genau, nämlich naturwissenschaftlich besehen ist die Teflon-Metapher so kontrafaktisch-schief wie der viel zitierte Quantensprung: An Angela Merkel zum Beispiel, die auch einen Spitzenplatz unter den verbal Beschichteten hält, klebt erstens seit je der Vorwurf wie Pattex: Die macht ja gar keine Politik, die reagiert doch andauernd bloß! Aber reagieren ist nun mal, zweitens, just das, was PTFE nicht tut.

Geschenkt. Sprache ist eben ein Terrain mit schwieriger Bodenhaftung, und wer will schon die Erbsen zählen, auf denen andere ausrutschen. Immerhin sorgt Teflon zum Glück doch für Geschlechtergerechtigkeit: Es haftet an Politikern und Politikerinnen gleichermaßen – nicht. Oder?

| PIEKE BIERMANN
| Titelbild: SKITTERPHOTO
| Abb: »Madagascan Giant Day Gecko at Louisville Zoo« / Trisha Shears / (CC BY-SA 3.0)

| Eine weitere Fassung erschien am 16.12.2016 im Deutschlandradio Kultur

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein urteilsfähiges Publikum

Nächster Artikel

Wunder an Weihnachten

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Aufmerksam studieren!

Sachbuch | Gabriel Zucman: Steueroasen Hoeneß, JVA Landsberg, ist eine Mücke, vergleicht man ihn mit denjenigen, die real die Beträge verschieben. Gut, eine Mücke sticht, sie überträgt leidige Krankheiten. Aber der grandios inszenierte Bouhaha, der um die Steuer-CDs veranstaltet wurde, hat bei den tatsächlich Vermögenden, wenn überhaupt, ein gelangweiltes Schmunzeln verursacht. Von WOLF SENFF

Nachdenken über Gerechtigkeit

Gesellschaft | Michael J. Sandel: Gerechtigkeit Schaut man sich die Forderungen der Volksbewegungen der letzten Jahre an, gewinnt man den Eindruck, dass den Gesellschaften Europas vor allem eines abhanden gekommen ist, Gerechtigkeit. So sehr Gerechtigkeit heute zum aktuellen Anliegen geworden ist, für Philosophen aller Kulturen gehört sie seit Jahrhunderten zum Kernbestand ihrer Arbeit. Auch der derzeit bekannteste Philosoph der USA, Michael Sandel, widmet sich seit Jahren der Frage der Gerechtigkeit. Sein gleichnamiges Buch ist soeben auf Deutsch erschienen. Von PETER BLASTENBREI

Ausmisten

Gesellschaft | H.Flassbeck, P.Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung Nach einer Einleitung, die kluge Fragen stellt und den Problemhorizont ausrollt, wird unmissverständlich Stellung bezogen, und das ist äußerst wohltuend. Bei der Gemengelage, die ökonomisch unters Volk gebracht wird, ist es erleichternd, wenn reiner Tisch gemacht wird. Von WOLF SENFF

Die Deutungshoheit über »Verschwörungen«

Gesellschaft | Luc Boltanski: Rätsel und Komplotte. Kriminalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft Der französischer Soziologe Luc Boltanski veröffentlichte im Jahr 2003 mit Eve Chiapello Der neue Geist des Kapitalismus. Sein neues Werk spielt eine andere Melodie, er knüpft an Methoden der Literatursoziologie an, an Lucien Goldmann und Pierre Bourdieu, die auf der Grundlage der Abbildtheorie von Literatur und Gesellschaft sich der Ästhetik literarischer Werke zuwandten. Luc Boltanski widmet sich dem Genre Kriminalroman/Spionageroman – ein vielversprechender Ansatz. Von WOLF SENFF

Die lange Nacht der Palästinenser

Gesellschaft | Marlène Schnieper: Nakba – Die offene Wunde Die gewaltsame Vertreibung der Palästinenser 1947/49, Kern und Ausgangspunkt des heutigen Palästinakonflikts, ist in Deutschland nur in Umrissen bekannt. Die Schweizer Publizistin Marlène Schnieper, 2006-2008 Korrespondentin des Züricher Tages-Anzeiger in Israel und Palästina, bietet mit ihrem Buch Nakba – die offene Wunde eine knappe, aber umfassende Darstellung dieser ersten großen ethnischen Säuberung im Nahen Osten. Von PETER BLASTENBREI