Kultur | Pieke Biermann: Teflon®-Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Seit 70 Jahren ist es auf dem Markt: Polytetrafluorethylen, kurz PTFE, Markenname Teflon®. In gut zwei Generationen ist uns der Wunder-Kunststoff offenbar so alltäglich geworden, dass er zur Metapher taugt: als Etikett vor allem für Politiker. Von PIEKE BIERMANN Inzwischen leistet er auch linguistisch gute Dienste: Als Teflon-Wörter bezeichnet die Sprachwissenschaft Begriffe, die so schlagend verführerisch wirken, dass sie gegen instinktives Überprüfen immun sind und Kritik an ihnen abperlt. Subsemantische Trigger, könnte man sagen. Teflon ist selbst so einer.
Lust auf ein Quiz? Wem werden die folgenden Eigenschaften zugeschrieben: beständig gegen ätzendste Angriffe, größte Hitze und beißendste Kälte, verlässlich fest, nicht brennbar; verströmt erst bei Zersetzung Giftgas, gleitet, falls überhaupt, ruckfrei vom Stillstand in eine Bewegung, ist extrem reaktionsträge und oberflächenentspannt, nichts bleibt haften, nicht mal die Saugfüßchen von Geckos.
Wenn Sie größere Teile Ihres Lebens mit Heim & Herd verbringen, fallen Ihnen vermutlich spontan Pfannen & Töpfe ein. Teflon! Ihre präfaktisch gepolten Lebensgefährten ergänzen prompt, das sei ja so was wie Nasenspray – eigentlich ein Abfallprodukt der Weltraumforschung. Und wer dem Verein »Wohlfeile-Wut-Bürger« angehört, denkt inzwischen automatisch an »die da oben«, vulgo: Politiker, gern auch weiblicher Bauart.
Früher, sagen wir zu Frank Zappas Zeiten, wurden Promis aller Art als plastic people geschmäht. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der populärste, Milliarden scheffelnde Kunststoff zur Steigerungsform von »Plastik« mutiert – damals war O. J. Simpson, eben freigesprochen von einem Doppelmord, »ein Mann wie Teflon«. Und spätestens seit der Jahrtausendwende schießt die Teflon-Metaphorik aus den Keyboards wie Pilze aus schimmeligen Wänden.
In Cool Britannia avancierte Premierminister Blair rasch zum Teflon-Tony; derzeit geht der österreichische FPÖ-Rechtsaußen Heinz-Christian Strache als HC Teflon durch, der SPÖ-Kanzler hieß dort schon ab 2008 Teflon-Faymann; an Italiens Berlusconi schien lange Zeit kein Unflat kleben zu bleiben; durch die 2006 geleakten Depeschen von Berliner US-Diplomaten geisterte die deutsche Bundeskanzlerin als Angela Teflon Merkel; die Zeit‹ würdigt 2016 Frank Walter Steinmeier, den Ex-Kanzleramtschef, Noch-Außenminister und mutmaßlich nächsten Bundespräsidenten, als »Der Teflon-Zeuge«.
Selbst spirituell-inspirierte Antipoden zur modernen Ex-und-hopp-Plastikwelt kommen an der Metapher nicht vorbei: Resilienz-Coaches etwa wenden sie kurzerhand ins Positive, empfehlen die Bildung eines »Teflon-Ichs« zur Stärkung der individuellen Widerstandskraft und bieten Trainings zum »achtsamen Weg des Teflon-Prinzips« feil.
Eine noch hübschere idiomatische Volte gelingt nur der ›FAZ‹. Sie titelt im Februar 2016: »Teflon-Trump lässt nichts anbrennen«. Oh assoziationssatte deutsche Sprache! Okay, was in der Pfanne nicht haften bleibt, brennt auch nicht an. Wer nichts anbrennen lässt dagegen – sagen wir mal so: Der ist reaktionsschnell und agiert gern am Rand des Erlaubten. Das wiederum taugt als Haftgrund. In unserer schönen neuen Gesellschaft mit immer beschränkterer Haftung, in der das »Gefühlte« mehr wiegt als Fakten, allerdings immer seltener. Stattdessen scheinen Politiker heutzutage um die Medaille »Der Teflonste von allen« zu wetteifern. Den Spitzenplatz hält einstweilen der künftige US-Präsident, den hat’s schon in Gotti-gleiche Höhen katapultiert: als Teflon-Don.
Bleiben wir trotzdem kurz bei ein paar Fakten. Teflon wurde keineswegs in Raumschiffen getestet – die gab’s erst später –, sondern im Manhattan Project, dem Atombomben-Forschungsprogramm: als reaktionsdämpfendes Polster für das hoch-reaktive Uran. Und genau, nämlich naturwissenschaftlich besehen ist die Teflon-Metapher so kontrafaktisch-schief wie der viel zitierte Quantensprung: An Angela Merkel zum Beispiel, die auch einen Spitzenplatz unter den verbal Beschichteten hält, klebt erstens seit je der Vorwurf wie Pattex: Die macht ja gar keine Politik, die reagiert doch andauernd bloß! Aber reagieren ist nun mal, zweitens, just das, was PTFE nicht tut.
Geschenkt. Sprache ist eben ein Terrain mit schwieriger Bodenhaftung, und wer will schon die Erbsen zählen, auf denen andere ausrutschen. Immerhin sorgt Teflon zum Glück doch für Geschlechtergerechtigkeit: Es haftet an Politikern und Politikerinnen gleichermaßen – nicht. Oder?
| PIEKE BIERMANN
| Titelbild: SKITTERPHOTO
| Abb: »Madagascan Giant Day Gecko at Louisville Zoo« / Trisha Shears / (CC BY-SA 3.0)
| Eine weitere Fassung erschien am 16.12.2016 im Deutschlandradio Kultur