Die Wanderungsbewegungen über Grenzen hinweg sind ein aktuelles und höchst umstrittenes Thema, das eine Renaissance nationalistischen Denkens hervorruft und rechtskonservativen Kräften zu Resonanz verhilft. In Deutschland, in Europa, in außereuropäischen Ländern, nicht zuletzt in den USA. Von WOLF SENFF
»Kritik der Migration« ist deshalb eine überfällige Publikation, sie liefert eine nüchterne Bestandsaufnahme von Migrationsbewegungen, ihren diversen Ursachen und den erwarteten und nicht erwarteten Folgen. Hannes Hofbauer stellt ein Aufreger-Thema gewissermaßen auf die Füße.
Ökonomische Beweggründe
Argwohn gegenüber Zahlen und Statistiken? Gewiss. Nur lässt sich nicht widerlegen, dass jährliche grenzüberschreitende Migration lediglich von einem Prozent der Weltbevölkerung stattfindet. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen und an den grandiosen Bohei denken, der seitens der Medien um das Migrationsthema inszeniert wird. So wird das Thema auf individuelle Vorfälle verengt und einer notwendigen Debatte um die Ursachen und ihre Bewältigung entzogen.
Hofbauer hält Angela Merkels Parole ›Wir schaffen das‹ von 2015 für eine falsche Reaktion auf den unerwarteten Ansturm, denn die Flüchtlinge seien auf diese Weise geradezu aufgefordert worden, sich auf den Weg nach Kerneuropa zu begeben, und Merkel habe vor allem Ungarn und Österreich in eine politisch schwierige Situation manövriert.
Menschenverachtendes Kalkül
Gleichzeitig habe aber Merkels Verhalten offengelegt, um was es in der Migrationsdebatte eigentlich geht – die zugrunde liegenden Motive der Zielländer seien ökonomischer Natur, es gehe ihnen um die Anwerbung von Billigarbeitskräften und um die Stabilisierung ihres Niedriglohnsektors.
Hannes Hofbauer vertritt hier eine unmissverständliche Position und hält auch die Willkommenskultur der migrationsfreundlichen Linken jener Tage für politisch kontraproduktiv. Das macht Sinn, weil er die Probleme, die in den Herkunftsländern durch Emigration entstehen, nicht ignoriert, und man kann nicht umhin, das Gutmenschentum der Willkommenskultur für das zu halten, was es ist: wohltätig, aber politisch naiv.
Zwischen Herkunfts- und Zielland
Denn es gehe den Zielländern um kaltblütiges und menschenverachtendes ökonomisches Kalkül, und zwar sogar innereuropäisch: Qualifizierte Migranten, z. B. Ärzte aus Rumänien, würden in Großbritannien und Schweden willkommen geheißen, Pflegekräfte aus Polen in Deutschland und Österreich, etc., und ebenso international: Die USA seien ein Paradebeispiel einer Nation, die in den Eliten anderer Nationen wilderten und qualifizierte Arbeitskräfte abzögen.
Hofbauer belässt es nicht bei diesen eher abstrakten Aussagen und lehnt die in den Institutionen der EU politisch vorherrschende Meinung ab, dass Migration positive Effekte auf Herkunfts- wie Zielland habe. Von einer Win-win-Situation könne keine Rede sein.
Konkret
Richtig sei vielmehr, dass das Zielland in Kerneuropa durch die Zuwanderung einem massiven und politisch gewollten Lohndumping ausgesetzt werde, es vernachlässige darüber hinaus die eigenen Bildungswege und setze stattdessen auf die ausgebildeten Zuwanderer. Dem Herkunftsland hingegen laufe eine qualifizierte Elite davon, und deren Rücküberweisungen würden die heimische Ökonomie nicht fördern.
Er argumentiert so konkret, wie man es selten findet, verweist zum Beispiel auf in Deutschland und Österreich tätige Altenpflegekräfte, eine Pendelmigration von Pflegerinnen von ihren Heimatorten weit im Osten, die sich zumeist jedes zweite Wochenende in ihren heimischen Haushalten aufhalten und dort weder alternde eigene Eltern noch eigene Kinder hinreichend betreuen können. Auf diese Weise werde eine ursprünglich stabile Sozialstruktur zerrüttet. Das sind Realitäten, die dem deutschen Leser höchst selten zu Ohren gebracht werden.
Mainstream
Weshalb bleibt dieser Konflikt um die innereuropäische Migration in den hiesigen Medien weitgehend unerwähnt? Interessiert er niemanden? Fürchtet man Kratzer auf dem in Deutschland vorwiegend harmonischen Bild von Europa?
›Kritik der Migration‹ beschränkt sich nicht auf dieses wichtige aktuelle Thema. Hofbauer zeigt detailliert und überzeugend, dass Migration ein Resultat globaler Ungleichheit ist, deren Ursache in Kolonialismus, Kriegen und Umweltzerstörung liegt. Er beschreibt Wellen der Arbeitsmigration seit der ›Besiedelung‹ Amerikas bis zum deutschen Gastarbeiterimport der sechziger Jahre.
Titelangaben
Hannes Hofbauer: Kritik der Migration
Wer profitiert und wer verliert
Wien: promedia 2018
272 Seiten, 19,90 Euro
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„Auf diese Weise werde eine ursprünglich stabile Sozialstruktur zerrüttet“
Sollte man die Probleme nicht auch in den Herkunftslänmdern suchen?
Deutschland kann niemanden zwingen hier zu arbeiten.
Wenn die Situation in dem herkunftsland nicht so miserabel wäre dann würde sich wohl auch niemand dazu hinreißen lassen seine „Sozialstruktur zu zerstören“ um in einem anderen Land zu arbeiten.
Dafür kann man doch unmöglich Deutschland die Schuld geben.