/

Trauer und Wut

Gesellschaft| Henning Mankell: Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt

Beim neuen Buch Henning Mankells handelt es sich um Aufzeichnungen, die der Autor während einer Reise nach Uganda niedergeschrieben hat. Darin dokumentiert er das Schicksal der Aids-Kranken in Afrika. Von PETER MOHR

Mankell - ErinnerungKann man dieses Buch überhaupt rezensieren? Der Schwede Henning Mankell, der mit seinen Wallander-Krimis längst als Autor Kultstatus erlangt hat, dessen Bücher – unabhängig von ihrer Qualität – reißenden Absatz finden, hat nun einen schmalen Band vorgelegt, in dem er über eine Reise nach Uganda berichtet. Der Erlös dieses Buches kommt der Aidsstiftung von ›Plan international‹ zugute. Bei solch moralisch ehrbaren Intentionen verbietet es sich schon beinahe, nach der literarischen Qualität zu fragen.

»Es ist, als stünde dieser Junge auf der anderen Seite des Lebensflusses, winkte uns zu und erinnerte uns daran, dass der gute Wille nicht allein ausreicht, um anderen Menschen zu helfen – er muss von Vernunft begleitet sein«, erklärte Mankell 2001 in einem Interview über seinen in Afrika spielenden Roman ›Die rote Antilope‹. Genau so lesen sich aus europäischem Blickwinkel nun Mankells Aufzeichnungen aus Uganda.

Trauer und Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit mischen sich bei ihm nach dem Besuch von Aidskranken, einer ganzen Generation von Todgeweihten. 29 Millionen HIV-infizierte, so Mankell, gebe es allein in Afrika und er prognostiziert, dass es 2010 in Afrika rund 40 Millionen Waisenkinder geben werde.

Im Mittelpunkt seiner Erzählung steht die Begegnung mit dem Mädchen Aida. Ihre Mutter, eine Lehrerin mit privilegiertem Einkommen, liegt im Sterben. Aida, selbst noch ein Kind, wird demnächst die Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen müssen. Eine Heranwachsende, die nichts von ihren Eltern weiß, die wurzellos in eine neue Rolle gezwängt wird.

Projekt Erinnerung

Auf Initiative westlicher Entwicklungshelfer ist nun das Projekt ›Memory Book‹ entstanden, in dem Aufzeichnungen der Sterbenden dokumentiert werden sollen. „Die vielleicht wichtigsten Dokumente unserer Zeit“ nennt Mankell diese Hinterlassenschaften. Ein solcher Text, den die sterbende Christine Aguga ihrer Tochter Evelyn gewidmet hat, ist dem neuen Band ebenso angehängt wie ein Nachwort von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

»Ich will es ehrlich sagen, wie es war. Es war eine Erleichterung abzureisen«, bekennt Henning Mankell über das Ende seines Uganda-Besuches, in dem er auch schonungslose Selbstreflexionen betreibt – über seine persönlichen Ängste, seine ersten Kontakte mit Aidskranken und über den eigenen Tod.

›Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt‹ ist ein authentisches Dokument der Betroffenheit, ein Aufschrei der Wut gegen die europäische Ignoranz und ein leidenschaftliches Plädoyer für den weltweiten, engagierten Kampf gegen Aids.
Wünschen wir uns wegen des guten Zweckes ganz einfach viele Leser für diesen Benefizband.

| PETER MOHR

Titelangaben
Henning Mankell: Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt
Wien: Zsolnay Verlag 2004
143 Seiten, 12,90 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Leute, das ist Leben!«

Nächster Artikel

Und ewig lockt Tanger

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Über die Entzauberung des Genies

Kulturbuch | Bas Kast: Und plötzlich macht es Klick! Der Psychologe Bas Kast möchte mit ›Und plötzlich macht es Klick! Das Handwerk der Kreativität oder wie die guten Ideen in den Kopf kommen‹ den althergebrachten Nimbus der Genialität entzaubern. Was zeichnet einen kreativen Menschen aus und weshalb gibt es so wenige davon? Bas Kast erläutert Funktionsweisen eines kreativen Gehirns und gibt all denen Hoffnung, die ihr bislang wenig kreatives Leben etwas aufmöbeln möchten. VIOLA STOCKER ging in die Schule der Genies.

Odyssee durch Bioland

Sachbuch | Peter Laufer: Bio? Die Wahrheit über unser Essen Wenn Peter Laufer, investigativer Journalist und Dokumentarfilmer, sich mit der Produktion und dem Verkauf von Biolebensmitteln auseinandersetzt, dürfen die Handelsketten getrost die Luft anhalten. In ›Bio? Die Wahrheit über unser Essen‹ findet Laufer sie alle – schwarze Schafe und Biomärtyrer. VIOLA STOCKER ging mit ihm auf Weltreise, um sich aufklären zu lassen.

Hangover City

Gesellschaft | Lutz Hachmeister: Hannover. Ein deutsches Machtzentrum »Hannover ist spektakulär langweilig«, beschied 2010 ein gewisser Tim Renner, der mittlerweile als staatssekretierender Fachmann für Spektakel in Berlin wirkt, und befürchtete eine »Hannovernication« der Berliner Republik infolge des ESC-Triumphs einer gewissen Lena aus Hannover. Für einen, der Hannover nicht weiter kennt, ist das keine rasend originelle, aber handelsübliche Sottise. Jetzt hat sich einer daran gemacht, Hannover zur (mehr oder weniger) heimlichen Exportkanone für Polit-Schwergewichte zu erklären, der immerhin als Kind öfter in den Ferien am Steinhuder Meer war, dem seines Wissens »Binnensee-Retreat der Hannoveraner«: Lutz Hachmeister, selbst ein Schwergewicht, nämlich des

In aller Hände, in aller Munde, auf jeden Tritt

Gesellschaft | Ronald D. Gerste: Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA Liberty, ›Hollywood‹, ›Facebook‹: Die USA sind die Vorbildnation der westlichen Welt. Und dann kommt ein Präsident und spaltet den patriotischen Vertrauten, der sich (inter-)national zunehmend entfremdet. MONA KAMPE wirft mit Ronald D. Gerstes: ›Amerika verstehen‹ einen Blick hinter den Glamour, mit dem die Supermacht Europa jahrzehntelang verzauberte.

Dienstboten und IBM-Boys

Gesellschaft | Rainer Barbey: Recht auf Arbeitslosigkeit? Recht auf Arbeitslosigkeit? kommt als Anthologie mit Texten von Ökonomen und Philosophen aus der Zeit seit 1800 daher, herausgegeben von Rainer Barbey. THOMAS ROTHSCHILD hat hineingeschaut.