»Leute, das ist Leben!«

Jugendbuch | Alexa Hennig von Lange: Erste Liebe

Alexa Hennig von Lange lässt in »Erste Liebe« die schwierige Zeit des Erwachsenwerdens Revue passieren und kreiert dabei eine ausgesprochen authentische Protagonistin. Von BARBARA WEGMANN

Lange - Erste LiebeEs ist ganz egal, in welchem Alter man dieses Buch liest: Ja, so war es, wird man sich entweder erinnern oder Ja, das habe ich auch so empfunden, wird man sich sagen. Immer wieder wird man über Gedanken stolpern, die doch erst gestern so nervig präsent waren, oder man denkt einfach nur: »Das ist es, das hätte ich jetzt, in diesem Augenblick, auch so schreiben können.«

»Diese Ruhe zündet richtig rein. Vor allen Dingen, weil ich mein halbes Leben damit verbracht habe, mir das Gezeter von meiner Familie reinzuziehen und aufzupassen, dass die sich nicht gegenseitig umbringen.«

Lelle ist ausgezogen von Zuhause, haust jetzt in hinteren Büroräumen des väterlichen Geschäfts und will Ruhe und Abstand haben von den Eltern: von der Mutter, die ständig unter Druck steht, an den Nägeln kaut und panische Angst vor Bakterien hat, vom Vater, der »emotional verkümmert« ist, häufig rumschreit, die Mutter als »dumme Nuss« tituliert und anschließend tagelang schweigt. Lelles Freund, der posterartig über dem Bett wacht und mit dem außer Knutschen nichts war, ist in Afrika, um Lehmhütten für arme Kinder zu bauen. »Vielleicht hätte ich ihm doch mal zur Hand gehen sollen, dann hätten wir jetzt nicht das Dilemma, dass ich noch Jungfrau bin.«

Dann, auf einer Party bei ihrer Freundin Tessi, die immer nach Mottenkugeln riecht und deren Mutter stets betrunken ist, taucht Marcel auf der Bildfläche auf, Typ Axl Rose, der Sänger von Guns N’Roses. »Leute, das ist Leben!«

»Ich bin leer«

Noch einmal ist das Leben so spannend wie ganz am Anfang, noch mal eine Abnabelung, die Häutung vom Jugendlichen zum Erwachsenen, aus dem Entlein wird ein Schwan. Alexa Hennig von Lange, die schon so früh mit dem Geschichten schreiben begann und daraus mittlerweile eine richtige Passion gemacht hat, sie ist selbst noch gar nicht so schrecklich lange aus dem Pubertätsalter heraus, und genauso authentisch klingt ihre Protagonistin. »Ich bin leer. Ich weiß nicht, wer ich bin, wohin ich soll.«

Orientierungslosigkeit, Krisenstimmung am Ende der Kindheit, zur Schwelle des Erwachsenseins. Lelle war depressiv, hat eine Psychotherapeutin und war magersüchtig. Von Papa meint sie die x-Beine geerbt zu haben, was nicht gerade zum Selbstbewusstsein beiträgt. »Ich habe mich nur noch wie eine graue Hülle ohne Seele gefühlt. Aber langsam kommt das Leben wieder.« Lelle ist auf der Suche, nach Glück, Wärme, Verständnis und der richtig großen Liebe. Sie sucht jemanden, der weiß »…wie ich bin. So wie Mama. Die kennt mich ganz genau, aber ich will ja nicht, bis ich neunzig bin, an Mama kleben.«

»Davon lebt die Literatur«

Frisch und unbefangen erzählt Lelle aus Leben und Herz, schöpft aus dem Vollen, schüttet Sehnsucht und Kummer aus. Es wirkt wie ein intim-persönliches Tagebuch, nichts klingt übertrieben, aufgesetzt oder unecht. Und die Gefühlspalette reicht von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. So ist das nun mal. Da werden die ersten Schritte alleine gemacht, die ersten Entscheidungen alleine getroffen, erste Verantwortungen übernommen, da schlägt auf einmal das Herz andersherum und bringt eine ganze junge Welt durcheinander. Ein neuer Takt beginnt. »Und irgendwie weiß ich: Er meint es ernst! Aus uns wird ganz was heißes!«

Die Frische und Unbeschwertheit, mit der hier höchst munter erzählt wird, ist wunderbar. Erzähltempo und Erzählfreude sind ganz im heutigen Stil junger Menschen. Und wenn es nicht die eigene Pubertät ist, die so aktuell ist oder wieder wach wird, dann ist es die der eigenen Kinder: lebenslustig, das Leben herausfordernd und doch noch manchmal etwas ängstlich, frech, dreist, ätzend und dann wieder sanft schnurrend.

Strotzend vor Energie und Tatendrang, dann zurückgezogen, über das Leben philosophierend. Hinreißend sind die Schilderungen aus dem eigenen Elternhaus oder dem der Freundin, das Eingefahrene, Spießige, Etablierte. Dass auch das zu sprengen ist, zeigt Lelles Mutter, die sich in der Not den väterlichen Wagen schnappt und sich erstmals nach zwanzig Jahren wieder hinters Steuer setzt. »Mama lacht, und ich kann es nicht fassen, dass das meine Mutter ist, die sonst immer heulend auf der Bettkante sitzt.«

Ein zarter, mit empfindsamer Feder geschriebener Roman, den man nicht mehr weglegt: Lelles Geschichte und ihre Suche nach der großen Liebe nehmen auf sehr charmante Weise gefangen. »…gerne würde ich Mama fragen, warum das Leben so ist, wie es ist. Mama würde sagen: ›Davon lebt die Literatur‹«. Und dieses Buch ist in der Tat ein sehr lebendiges Stück Literatur!

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Alexa Hennig von Lange: Erste Liebe
Reinbek: Rowohlt Verlag 2005
158 Seiten, 14,90 Euro

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