/

Wie wir uns ernähren wollen

Gesellschaft | Florian Schwinn: Tödliche Freundschaft

Haben wir einmal darüber nachgedacht, unter welchen Stress wir uns setzen, solange wir die Krone der Schöpfung geben wollen? Der Mensch muss sich nicht ununterbrochen beweisen, er verantwortet nicht die Organisation der natürlichen Abläufe, er muss sich nicht einmischen, er steht nicht in der Pflicht, zu verbessern, die Natur regelt ihre Existenz gern ohne sein Zutun. Von WOLF SENFF

Florian Schwinn - Tödliche FreundschaftDie Natur – wie übrigens der gesamte Planet – kamen zurecht, bevor der Mensch sich zu ihrem Eigentümer ausrief, und sie werden weiterhin zurechtkommen, sobald das letzte Exemplar der Spezies die ewigen Jagdgründe aufgesucht hat.

Blutrünstige Schlagzeilen

Sei’s drum. Noch dürfen wir über unsere Existenz auf diesem Planeten nachdenken, und Florian Schwinn ist eine der Stimmen, die sich nicht zu Eigentümern der Natur erklären, über sie herrschen wollen oder sie ausbeuten. Klug umgeht er die zwanghaft anthropozentrisch angelegte Evolutionstheorie und zeigt am Beispiel, wie erfolgreich ein gleichberechtigtes Miteinander verschiedener Arten sein kann.

Keine Gewinner, keine Eroberer, keine Helden, keine Herrscher, keine Panzerarmeen, homo homini lupus adieu, Flitzebogen adieu, Ritterrüstung verschrotten, die opulenten Schlachten in ›Herr der Ringe‹ gelöscht, und sowieso: Gab es nicht sogar Stimmen, die den Einsturz des ›World Trade Center‹ ein ästhetisches Erlebnis nannten? Unsere Aufgeregtheit, all die so fesselnd blutrünstigen Schlagzeilen während der gnadenlosen Jagd auf Saddam Hussein, auf Osama Bin Laden, auf Muammar al Gaddafi – damit soll Schluss sein?

Mensch und Wolf

Nun denn. Vielleicht bleibt uns das erhalten, einiges spricht ja dafür. Aber Florian Schwinn rüttelt an den Fundamenten, das ist unübersehbar, und es ist lobenswert. Hund, Schwein, Kuh, Huhn sind seine Beispiele, an denen er uns die ›Tödliche Freundschaft‹ anschaulich ausmalt, seine Beispiele sind keine Exoten, sondern stehen dem Menschen nahe.

Er schildert einen Prozess der Ko-Evolution von Mensch und Wolf, aus dem der Hund entstand, zunächst als ein für bestimmte Aufgaben gezüchteter Begleiter auf dem Hof, bei der Tierhaltung, bei der Jagd, heutzutage aber vorwiegend instrumentalisiert für die Bewegungs- und Sozialtherapie des Hundehalters. Der Mensch als »Krone der Schöpfung«?

Dreißig-Liter-Turbokuh

Auch für die Schweine gilt das Prinzip ›Tödliche Freundschaft‹. Florian Schwinn beschreibt einzelne, leider nur sehr seltene Höfe, deren Schweine in sogenannten Hutewäldern leben, in denen sie sich das Jahr über weitgehend selbst versorgen; wir lernen das Schwein in natürlichem Umfeld kennen, »neugierig, kontaktfreudig, schmusebedürftig«, ein hochintelligentes Tier mit Charakter. Der Gegensatz zu den industriellen Fleischproduktionsanlagen der Schweinehaltung kann krasser nicht sein, die Schilderung dieser Betriebe ist erschütternd.

Schwinn weist immer wieder darauf hin, dass real auch Alternativen zur Industrialisierung landwirtschaftlicher Abläufe bestehen, das gilt auch für das Rind, und hier zeigt sich, dass die Mechanismen selbst kontraproduktiv sind, etwa was die durchschnittliche Lebensdauer betrifft: eine Turbokuh mit durchschnittlich dreißig Litern am Tag gebe maximal vier Jahre lang Milch, bevor sie zum Schlachthof abgeliefert werde, sie habe dreimal gekalbt und erreiche ein Alter von sechs, vielleicht sieben Jahren.

Von runden Köpfen

Erfahrene Landwirte jedoch wüssten, dass eine Kuh erst nach dem fünften oder sechsten Kalb die meiste Milch liefere, und stellen ihre Betriebsabläufe darauf ein; die Kühe müssen ein gesundes, zufriedenes Leben führen können, das erst sichere die Qualität der Milch. Schwinn hat Höfe besucht und beschreibt Beispiele – es geht also.

Ebenso sei es möglich, die auf ›Kraftfutter‹ aufbauende Ernährung der Kühe zu reduzieren oder gänzlich darauf zu verzichten, und zwar nachweislich zum Nutzen der Tiere und ohne negative Konsequenzen für die Erträge. Unsere Köpfe sind rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Schwinn konstatiert den Beginn eines Umdenkens.

Ein Zweinutzungshuhn

Auch seine Darstellung der Hühnerhaltung weist darauf hin, dass sich die agrarwirtschaftlichen Abläufe ändern, wenngleich zögerlich und in winzigen Schritten. Schwinns Darstellung profitiert davon, dass er wenig vom grünen Tisch aus schreibt, sondern diverse landwirtschaftliche Betriebe besucht hat; der Leser hat häufig den angenehmen Eindruck, er läse eine Reportage, der Autor sei vor Ort gewesen – was ja auch zutrifft.

Einerseits entnehmen wir einer amtlichen Untersuchung in Nordrhein-Westfalen von 2011, dass dort über neunzig Prozent der in den Verkauf gelangten Broiler mit Antibiotika belastet waren, andererseits erfahren wir von diversen Initiativen, beispielsweise einer ›Initiative Zweinutzungshuhn‹ mit mittlerweile zwanzig angeschlossenen Höfen, die zurück will zur traditionellen Form der Hühnerzucht, was u. a. bedeutet, dass Legehennen ihr Leben als Suppenhuhn beenden, anstatt zu Tiermehl verarbeitet zu werden oder in der Biogasanlage zu landen.

Regional verwurzelte Landwirtschaft

Die Schwierigkeiten, aus der industrialisierten Tierhaltung auszusteigen, sind auch beim Huhn immens, und wir staunen Bauklötze, wenn Schwinn uns die Details ausbreitet. Beispielsweise dass mit der ›Legehenne Lohmann Brown‹ ein Hybridhuhn gezüchtet sei, das überall auf dem Planeten, ob in der Wüste Negev, in Schleswig-Holstein oder an den Hängen des Himalaya, seine dreihundert Eier und mehr pro Jahr lege – ein perfekt designtes Tier, das kaum anders funktioniert als ein Cola-Automat.

Letztlich könne es nur darum gehen, sich von der kompletten Ökonomisierung des Lebens abzuwenden und das Elend der industrialisierten Landwirtschaft zu beenden. Wir wüssten längst, dass sie das Klima schädige, die Landschaft veröde, regionale Märkte zerstöre, die Böden zerstöre und das Trinkwasser verunreinige.

Bekanntlich ist es schwieriger geworden, ›links‹ und ›rechts‹ zu unterscheiden, und Florian Schwinn ist auch deshalb angenehm zu lesen, weil er pragmatisch bleibt; seine Vorschläge zielen auf eine Abkehr von industriell organisierten Abläufen, verbunden mit der Rückbesinnung auf eine regional verwurzelte Landwirtschaft. Eine Lektüre mit Gewinn.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Florian Schwinn: Tödliche Freundschaft
Was wir den Tieren schuldig sind und warum wir ohne sie nicht leben können
Frankfurt/Main: Westend 2017
320 Seiten, 24 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Western von gestern, heute gesehen

Nächster Artikel

Acid Anniversaries: New Album Reviews

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Von der Verrohung des Bürgertums

Gesellschaft | Kathrin Hartmann: Wir müssen leider draußen bleiben Ja, die Welt ist schlecht, weil ungleich. Aber hurra – wir tun doch was! Das Netzwerk der »Tafeln« sorgt dafür, dass auch Hartz-IV-ler würdig zu essen bekommen. Konzerne aus der reichen westlichen kreieren in der armen »Dritten Welt« neue Jobs für Frauen; mit unseren Microkrediten können sie sich sogar eine eigene Existenz aufbauen. Aber in Deutschland soll sich doch bitte niemand über Armut beschweren, das ist Jammern auf Luxusniveau. Wirklich? Kathrin Hartmann sieht das ganz anders. Wie und warum, belegt sie in ihrem neuen Buch Wir müssen leider draussen bleiben –

Am Klimanwandel scheitern

Sachbuch | Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima!

»Unsere inneren Alarmanlagen sind nicht für abstrakte Gefahren gebaut.« Dieser Satz fasst die immer deutlicher sichtbare Tatenlosigkeit gut zusammenfassen, die uns als Gesellschaft angesichts des Klimawandels befallen hat. Der Klimawandel bleibt als grundlegende Gefahr derart abstrakt, dass man ihn unsichtbar nennen muss. Zumindest verhalten wir uns so, schreibt der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem jüngsten Buch ›Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können‹. Darin versucht Foer den Klimawandel aus verschiedenen Angriffspunkten zu packen und greift dann doch nur Luft. Er ist sich dieses Versagens schmerzlich bewusst. Von BASTIAN BUCHTALECK

Weltverbessern aus dem Stand

Gesellschaft | Susanne Garsoffsky, Britta Sembach: Die ›Alles ist möglich‹-Lüge Das Leben könnte so schön sein, wenn … Das ist der klassische Seufzer derjenigen, die, von plötzlichen Befindlichkeitsstörungen angefallen, für einen Moment die real existierenden Bedingungen des real existierenden Alltags betrachten und vor lauter Schreck beschließen, die Welt zu verbessern. Aus dem Stand. Weil sich sonst nichts ändert. Darauf hat die Welt gewartet. Gut, dass sie einiges gewöhnt ist, die Welt. Von MAGALI HEISSLER

Ohne Worte

Gesellschaft | Pandemische Welt-Schau

Bücher sind voller Wörter, voller Worte, voller Inhalt, außer es handelt sich vielleicht um Bilderbücher oder Bildbände. Dieses Buch ist ein besonderes: Es kommt mit all seinen Bildern und Zeichnungen nicht nur ohne Worte aus, sondern es berührt alle Sinne, von Angst bis Humor, von Schrecken bis Zweifel und Hoffnung. Karikaturen sprechen oft Bände, ohne ein Wort zu sagen. BARBARA WEGMANN hat sich das Buch angeschaut.

Die Pest der Desinformation

Gesellschaft | Stephan Ruß-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde Der Rezensent hatte im vergangenen Jahr das Vergnügen eine Festrede zu halten. Unter den Zuhörern befand sich auch ein Redakteur der Regionalzeitung, eifrig auf seinem Notizblock schreibend. JULIAN KÖCK über eine Begegnung, die ihn nachdenklich gemacht hat. Und über eine Buch, das die Umwälzung der Medianlandschaft analysiert.