/

Mörder sind die besten Mordermittler

Roman | Candice Fox: Die Eden-Archer-Trilogie

So oft passiert es nicht, dass einen eine Debütantin im Thriller-Genre so richtig umhaut. Zuletzt haben mich die Polizeiromane der Tana French so staunen lassen – aber die spielen in einer ganz anderen Welt und sind gewissermaßen auch realitätsverhafteter als das, was uns die Australierin Candice Fox in ihrer im Original 2014, 2015 und 2016 erschienen, mehrfach preisgekrönten Trilogie um das Polizisten-Geschwisterpaar Eric und Eden Archer, ihren Kollegen Frank Bennett und ihren Ziehvater Heinrich Archer alias Hades erzählt. Von DIETMAR JACOBSEN

Candice Fox HadesEntdeckt hat deren spannende Geschichte Thomas Wörtche, und weil der nach seinem Engagement beim Züricher Unionsverlag jetzt die Berliner Suhrkamp-Kultur um herausragende Thriller bereichert, dürfen wir ein paar schlaflose Nächte über den alles in allem fast 1.300 Seiten verbringen.

Als Kinder wurden ihnen die Eltern genommen. Und eigentlich landeten sie auf der nahe Sydney gelegenen Utulla-Müllkippe von Heinrich Archer nur, damit der sie, wie Hunderte Menschen vor ihnen, für immer entsorgte. Aber Archer nimmt sich der Tanner-Kinder Marcus und Morgan an. Seine eigene harte Kindheit vor Augen, päppelt er die ihm halbtot Übergebenen wieder auf, zieht sie unter den Namen Eric und Eden Archer groß und schafft es, dass sie eines Tages die besten Ermittler von Sydneys Polizei sind.

Kein Mörder ist vor ihnen sicher und in die Bewunderung der Kollegen mischt sich auch immer ein wenig Angst. Denn Eric und Eden sind gnadenlos, wenn sie einmal eine Spur aufgenommen haben. Und für ihren Ziehvater, der vor den Toren der australischen Millionenstadt seine dunklen Geschäfte betreibt, stellen sie ganz nebenbei auch noch so etwas wie eine Lebensversicherung dar. Genialer kann man nicht verwerten, was eigentlich für den Müll bestimmt war.

Geniale Müllverwertung

Candice Fox EdenDoch an sein finsterstes Geheimnis lässt das Geschwisterpaar niemanden heran. Nicht einmal Frank Bennett, Edens Partner bei der Mordkommission. Denn während Eric und Eden für die Welt erfolgreiche Cops darstellen, mutieren sie jenseits ihres Dienstes bei der Polizei zu gnadenlosen Jägern von Unrecht und Gewalt. Was ihnen am Tage untersagt ist – Mördern und Verbrechern Gleiches mit Gleichem zu vergelten –, lässt sie in den Nächten zu Bestien werden, denen niemand, der Böses getan hat, lebend entkommt. Das beginnt mit den Mördern ihrer Eltern und setzt sich auch fort, nachdem Eric bei einem Polizeieinsatz von seiner eigenen Schwester erschossen wird.

Dass Eden ihn, der dem Geschwisterpaar langsam, aber sicher auf die Spur gekommen ist, damit das Leben gerettet hat, ahnt Frank Bennett zwar, aber dennoch vertraut er seiner Partnerin bis zum Schluss nicht. Ständig treibt ihn die Frage um, ob er, indem er Edens wahrer Identität langsam näherkommt, nicht zu so einer Bedrohung für sie wird, dass ihr nur der Ausweg bleibt, ihn zu ermorden.

Serienkiller jagen Serienkiller

Candice Fox - FallIn allen Bänden der Trilogie um Eden Archer und Frank Bennett geht es um skrupellose Serienkiller. Während der Psychopath, der einen Organhandel der abseitigsten Art aufgezogen hat, Frank Bennett in Band 1 der Serie, Hades (2016), am nähesten kommt, führt in der Fortsetzung – Eden (2016) – ein Undercoverauftrag seine Partnerin an die Grenzen ihrer Kraft und lässt sie fatalerweise zum ersten Mal vertrauen, obwohl Vertrauen gerade in diesem Fall nicht angebracht ist und fast das Leben kostet. In Fall (2017) schließlich sucht man gemeinsam nach einer brutalen Täterin, die ihren Hass an Joggerinnen in Sydneyer Parks auslässt. Candice Fox nutzt den Plot des die Trilogie beschließenden Romans auch dazu, medial angekurbelten Schönheitswahn und die damit im Zusammenhang stehenden Heilsversprechen der Plastischen Chirurgie anzuprangern.

Jenseits der dreimaligen spannenden Tätersuche – immer wieder unterbrochen durch Rückblenden in die Vorgeschichte des Geschwisterpaares Eric und Eden in Band 1, des Müllkippenbesitzers Heinrich Archer alias Hades in Band 2 und der psychopathischen Mörderin in Band 3, so dass jeder Teil der Trilogie eigentlich 2 Geschichten erzählt – ist das eigentlich Interessante aber das Verhältnis zwischen dem jeweils aus der Ich-Perspektive erzählenden Frank Bennett und der auf erzählerische Distanz gehaltenen Eden Archer.

Lieber töten als vom Töten lassen

Beide ergänzen sich, aber so wie Feuer und Wasser. Obwohl er sie gerne von ihrer Obsession, das Böse in der Welt, in welcher Form es auch auftritt, vernichten zu müssen, heilen würde, weiß er doch im selben Moment, dass Eden lieber ihn töten würde, als vom Töten zu lassen. Und während Eden gelegentlich leise lächelnd auf den etwas zu brav wirkenden und denkenden Frank herabschaut, ist ihr doch gleichzeitig nur zu bewusst, dass sie in ihm eine Art Ersatzbruder für den toten Eric an ihrer Seite hat, wenn nicht gar mehr.

Wie sie deshalb am Ende der Trilogie reagiert, als ihre Tarnung auffliegt und Frank ihre wahre Identität kennenlernt, ist deshalb psychologisch hochinteressant. Verraten werden aber soll es an dieser Stelle natürlich nicht. Stattdessen: dringende Leseempfehlung und Bitte, Candice Fox, mehr davon und möglichst bald!

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Candice Fox: Hades./Eden. /Fall
Aus dem australischen Englisch von Anke Caroline Burger
Herausgegeben von Thomas Wörtche
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016/2016/2017
341/480/470 Seiten. 14,99 Euro/15,95 Euro/15,95 Euro
| Erwerben Sie Band 1 portofrei bei Osiander
| Erwerben Sie Band 2 portofrei bei Osiander
| Erwerben Sie Band 3 portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

Schreibe einen Kommentar zu Roman | Candice Fox: 606 | TITEL kulturmagazin Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Blinder Aktionismus – und die Folgen

Nächster Artikel

Realismus noir

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Schreiben, um zu verstehen

Roman | Javier Cercas: Die Erpressung

Auf den ersten Blick kommt der neue Roman des 60-jährigen Spaniers Javier Cercas wie ein Kriminalroman daher. Je tiefer man allerdings in die Handlung eindringt, öffnen sich brisante hochpolitische Türen. Von PETER MOHR

Sich dem Tod entgegenstellen

Roman | Oliver Bottini: Im weißen Kreis. Ein Fall für Louise Boní Louise Boní ist wieder da. Das ist eigentlich ein Grund zur Freude. Denn die Freiburger Polizistin ist eine der interessantesten Gestalten im deutschsprachigen Krimi unserer Tage. Und ihr Autor einer der feinsten Stilisten, die man in der Thrillerecke finden kann. Doch abgesehen von der Tatsache, dass Im weißen Kreis für Boní-Einsteiger ein paar unüberwindbare Verständnishürden enthält, hat Bottini diesmal auch ein bisschen zu viel gewollt. Von DIETMAR JACOBSEN

Der Mann im Dunkeln

Roman | Jacob Ross: Shadowman

Nach Die Knochenleser (Suhrkamp 2022) ist Shadowman der zweite ins Deutsche übertragene Roman von Jacob Ross. Erneut stehen die jungen Polizisten Michael »Digger« Digson und Kathleen Stanislaus im Mittelpunkt. Und es geht um viel, nämlich um ihrer beider Karrieren, die auf dem Spiel stehen, nachdem Miss Stanislaus den Mann, der sie im Alter von 14 Jahren brutal vergewaltigte, erschossen hat. Muss sie deshalb ihren Dienst quittieren? Oder gelingt es ihr mit Diggers Hilfe, den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen und nachzuweisen, dass sie in Notwehr gehandelt hat und nicht aus schlichter Rachsucht? Von DIETMAR JACOBSEN

Das Ungeheuer von Hannover

Roman | Dirk Kurbjuweit: Haarmann

»In Hannover an der Leine,/ Rote Reihe Nummer 8,/ wohnt der Massenmörder Haarmann,/ der schon manchen umgebracht«, heißt es in einem populären Schauerlied aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es bezieht sich auf den bekanntesten Serienmörder Deutschlands: Fritz Haarmann. 1879 in der Stadt geboren, in der er 1923/1924 mindestens 24 Morde beging, verurteilte ihn, nachdem man seiner habhaft geworden war, ein Schwurgericht im Dezember 1924 zum Tode. Das Urteil wurde im April des darauffolgenden Jahres vollstreckt. In der Kunst (Literatur, Film, Bildende Kunst, Musik) lebt Haarmann freilich bis heute weiter. Nun hat der gelernte Journalist Dirk Kurbjuweit einen Roman über den »Werwolf von Hannover« geschrieben. Und es gelingt ihm auf faszinierende Weise, den Mörder Haarmann und die mörderische Zeit, in der er lebte, als zwei Seiten einer Medaille darzustellen. Von DIERMAR JACOBSEN

Hardcore-Hype in der Kulturhauptstadt

Roman | Krimi | Massimo Carlotto: Die Marseille Connection Am Ende des Actionkinos French Connection (1975) fährt der Drogenboss Alain Charnier auf seiner Jacht die schier endlose Ausfahrt des alten Hafens von Marseille entlang, während ihn der New Yorker Cop Jimmy »Popeye« Doyle alias Gene Hackman an der Kaimauer nachjagt. Dieser Dreh bezieht minutenlang die einmalige Stadtkulisse Marseilles um den Vieux Port mit ein. Eine cineastische Glanzleistung. Ganz im Gegensatz dazu vermeidet der italienische Erfolgsautor Massimo Carlotto in seinem neuesten Krimi Die Marseille Connection jegliche Anspielung auf das Lokalkolorit der europäischen Kulturhauptstadt von 2013. Über die Gründe kann HUBERT HOLZMANN