Brennende Flagshops, umhäkelte Laternen

Musik | Auf Platte – Beatpoeten: #Geheul

#Geheul heißt die neue Scheibe der Beatpoeten, einer aus Hannover stammenden Band, die aus Sänger und Texter Jan Egge Sedelies und Soundtüftler Costa Carlos Alexander besteht. STEFAN HEUER beschwört Erinnerungen an die gute alte Vinyl-Zeit herauf.

Beapoeten - GeheulDie Erziehung meiner Eltern gebietet es mir, Arbeiten im Haushalt zu übernehmen. (Puh, das ist schon mal raus!) Ich decke den Tisch, kaufe mit ein, mache sauber, das volle Programm. Wobei ich mich neulich während der Lektüre einer Frauenzeitschrift schon gefragt habe, ob das so klug bzw. noch zeitgemäß ist: Denn neben Horoskop und neuesten Frisuren fand sich ein wissenschaftlich fundierter Artikel über die fälschliche Annahme, dass im Haushalt helfende Männer mehr und besseren Sex hätten als die Spül- und Staubsaug-Verweigerer. Während dies in den 1990ern noch behauptet wurde, seien die Forscher inzwischen sicher, dass ein von Herzen kommendes »Halts Maul und gib mir ein Bier!« den größeren Bettgenuss verspreche.

Hmm, denke ich, komme auch ich nun etwa in die Phase, die mich bei der Generation meines Opas immer verblüfft hat? Dieses trotzige »Früher war nicht alles schlecht!«, mit dem mein Opa versuchte, Hunger und Gefangenschaft wenigstens im Nachhinein zu besiegen? Werde auch ich bald behaupten, früher sei alles besser gewesen? Nein, das wohl nicht, aber ab und zu darf man sich auch in meinem Alter daran erinnern, dass zumindest nicht alles schlechter war als heute: Ich konnte fressen, was ich wollte, ich nahm einfach nicht zu. Mein Haupthaar befand sich noch an seiner ursprünglichen Stelle und war noch nicht auf den Rücken gewandert, und wer an einem Sonntag bei einer Seniorin klingelte, der erwischte sie nicht in Multifunktionskleidung, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit dabei, frischen Schokopudding für die Enkelkinder zu kochen.

Und auch der Umstand, dass ich (Achtung, Überleitung!) vor Kurzem eine sagenhafte Langspielplatte als Vinyl in die Hände bekommen habe, unterstützt die positiven Erinnerungen an früher nur zu gerne –›#Geheul‹ heißt sie und ist von den Beatpoeten, einer aus Hannover stammenden Band, die aus Sänger und Texter Jan Egge Sedelies und Soundtüftler Costa Carlos Alexander besteht.

Elektropunk, Technolyrik, Hölderlin-Rave, Elektrokabarett etc. – es ist mir relativ egal, als was andere die Musik der Beatpoeten bezeichnen, welche Begriffe da gefunden und welche Schubladen da aufgemacht werden. Am Ende des Tages ist es extrem gut produzierte Elektromusik mit deutschen, teils lustigen, teils politisch motivierten Texten, die in den Kopf gehen und dort bleiben.

›#Geheul‹ spendiert 12 Songs, gleichmäßig auf die Seiten verteilt. Zumeist sind es recht textlastige Songs, die an Iggy Pop erinnern, der ganze Tage damit verbracht haben soll, in der Hauptstraße 155 in der Fensterbank zu sitzen und seine Songtexte auf Endlospapier zu schreiben. Jan Egge Sedelis geht von Anfang an in die Vollen.
Die Platte eröffnet mit dem großartigen ›#Schlägerei‹, einer mehr oder weniger kritischen, nun ja, eher boshaften Aufzählung deutscher Namen, die mit Reimen wie Jimi Blue/NSU oder Heckler&Koch/Celler Loch aufwartet und nur mit Mühe die Liebe zum Heimatland erkennen lässt. Das zweite Lied, ›19‹, ist eine Reminiszenz an Paul Hardcastles gleichnamigen Single-Hit aus dem Jahre 1985.

Lyrische Passagen kollidieren mit linkem Duktus, es geht um Betroffenheitslyriker, um Saufgelage in Camouflage-Hosen, Laternenumhäkler, Konsumverweigerung und Globalisierung, um Fremdenfeindlichkeit und verflossene Liebe, und auch die lethargischen Weltverbesserer, die mit dem Mund alles können und in der Realität so gar nix hinbekommen, finden ihren Platz: »katja hat beschlossen, sich aktiv zu engagieren / sie schreibt über gewalt / sie hat nichts mehr zu verlieren / menschen auf der straße / kriegen auf den laptops / brennende herzen, brennende flagshops / katja würd jetzt gern zum aufstand aufbrechen / doch der cursor am rechner / scheint sie zu schwächen / sie atmet ein, sie atmet aus / kein reim auf revolte, sie bliebt zu haus.«

Und schon sind 20 Minuten um und man darf die Platte umdrehen und sich, wenn die Nadel in der Ablaufrille der B-Seite zum Stehen kommt, darüber freuen, 40 Minuten bester Unterhaltung bekommen zu haben – ohne das heutzutage auf so vielen CDs mit knapp doppelter Laufzeit hinzugepanschte Füllmaterial.

Bei vielen Bands, bei denen die Texte derart prominent in der ersten Reihe stehen, droht die Musik zum reinen Begleitgeräusch zu verkommen. Bei den Beatpoeten ist dies glücklicherweise nicht der Fall, und es wäre auch schade, zeigen doch gerade die instrumentalen Passagen und Intros eindrucksvoll, dass mit Costa ein Könner am Werk ist. Intelligenter Elektro, weit entfernt von seelen- und herzlosem Gebolze. Das erinnert an die Menschmaschine, an die nonchalanten Parolen von DAF, erinnert phasenweise an Alien Sex Fiend und Deichkind, vor allem aber an alte Zillo-Sampler. Costas Beat geht hart nach vorne, scheut aber auch vor Scooter, There’s-No-Limit-Anleihen und Tocotronic-Zitaten nicht zurück.

Mit ›#Geheul‹ präsentieren die Beatpoeten ihren bereits dritten Longplayer (nach ›Unterwegs‹ von 2008 und ›Man müsste Klavier spielen können‹ von 2012). Hat mir ihr Debüt damals bereits sehr gefallen, haben sie es tatsächlich geschafft, noch tighter zu werden, in Musik und Text noch besser auf den Punkt zu kommen: »die definitionsmacht lacht / dem versierten szeneleser / lieber ein hipster im freundeskreis / als den letzten skapunkbläser / euch stören tiefe ausschnitte / rasierte brust riecht nach kommerz? / doch wer seine brüste zeigt / zeigt auch irgendwie herz.«

Intelligente elektronische Musik für Kopf und Beine. Kurz gesagt: Die Beatpoeten klingen genau so, wie die Band klingen sollte, die ich gerne hören würde!

Die Beatpoeten sind phasenweise auch live zu erleben, Termine finden sich auf der bandeigenen Homepage und bei facebook. Hingehen!

| STEFAN HEUER

Titelangaben
Beatpoeten: #Geheul
Twisted Chords 2016
Vinyl-LP mit 12 Tracks, Textinlay und Downloadcode. 12.- Euro
| zu bestellen über www.twisted-chords.de

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Man lese und staune

Nächster Artikel

Folkdays… Lambchop mit FLOTUS

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

If I Think Of Love, I Think Of You: New Release Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world With the autumn season firmly upon us most of us want nothing more than to lock our doors and peacefully hibernate for a month or two. What we need now are records made for listening to in the cosiness of your own home (or at least a club with a decent heating system). This week I will be raving about some new releases which make the perfect soundtrack for escaping the perils of the outside world. By JOHN BITTLES

Singende Schauspieler

Musik | Various: Travelling

Bei dieser Kompilation kommen die Liebhaber des französischen Films ebenso auf ihre Rechnung wie die Freunde anspruchsvoller Unterhaltungsmusik. Findet THOMAS ROTHSCHILD

Lambchop auf dem Bildschirm und auf Papier

Musik | Lambchop: OCB Paper Sessions Neulich Kurt Wagners Porträtfotos durchsehend, die veröffentlicht sind, dachte TINA KAROLINA STAUNER an einen Mann, der ihr öfter in einer Kneipe begegnet war.

Folkdays aren’t over…

Musik | Country und Americana mit „Concert Across America“ gegen Gewalt gefeatured von Rosanne Cash Am 25. September 2016 gab es mit 350 Events und über 1000 Musikern und Highlights wie Jackson Browne, Eddie Vedder und Rosanne Cash eine Konzertserie gegen Gewalt in ganz Amerika. Die Country-Musikerin Rosanne Cash, Tochter von Johnny Cash, hat auf ihrer Website Informatinen über dieses Konzertprogramm. TINA KAROLINA STAUNER war in Deutschland friedlich über die Jahre immer wieder mit Tausenden auf Festivalgeländen, mit Hunderten in Konzerthallen und Theatern, mit Dutzenden in Clubs und auf der Bühne teils auch Musiker der Country-Szene.

Folkdays aren’t over … Daniel Kahn & The Painted Bird

Musik | Daniel Kahn & The Painted Bird: The Butcher’s Share Daniel Kahn & The Painted Bird mit ›Bad Old Songs‹: Jiddischlandgetönte Mitternachtsträume – »we grew to cross many borders, different roads, different homes« (Daniel Kahn). Von TINA KAROLINA STAUNER