/

Schreiben ist wie Atmen

Menschen | Zum Tode des Schriftstellers Peter Härtling

Er war vielseitig wie kaum ein anderer Schriftsteller seiner Generation. Er schrieb Romane, Gedichte, Essays, Kinder- und Jugendbücher sowie exzellente Künstlerbiografien. Gestern ist Peter Härtling im Alter von 83 Jahren in Rüsselsheim gestorben. Von PETER MOHR

Peter HärtlingSeine Bücher schrieb er bis zuletzt immer noch auf einer alten Schreibmaschine, den Computer benutzte er lediglich für die Korrespondenz mit seinen Enkelkindern. Peter Härtling liebte und pflegte das etwas unzeitgemäße, traditionelle Schriftstellerleben von gestern. Hinter dieser durchaus sympathischen Rückständigkeit verbarg sich zweifellos auch Härtlings seit ewigen Zeiten gepflegtes Faible für die unterschiedlichsten Künstlerexistenzen vergangener Epochen.
»In jedem von uns steckt ein Riesenfaulpelz, auch in mir. Der Weg vom Frühstückstisch zum Schreibtisch ist der längste, den ich kenne. « Ein aufrichtiges Bekenntnis des Schriftstellers Peter Härtling, der dennoch zu den vielseitigsten und produktivsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur zählte.

Überdies fungierte die Literatur für Peter Härtling wie eine Art Jungbrunnen. Trotz großer gesundheitlicher Probleme (zuletzt im hervorragenden Band ›Lebenslinie‹, 2005, auf literarisch anspruchsvolle Weise dokumentiert) hatte er sich durch das Schreiben eine souveräne Gelassenheit – auch im Umgang mit dem Tod – angeeignet, und er sprühte noch wieder vor Lebensfreude, wie sein 2008 erschienenes, seinem Enkel gewidmetes Buch ›O’Bär an Enkel Samuel‹ nachhaltig bewies. »Was ich brauche, ist Ruhe und meine Umgebung, meinen Schreibtisch, das allerdings brauche ich wirklich«, klärt Peter Härtling über seine Arbeitsbedingungen zum Schreiben auf.

Peter Härtling, der am 13. November 1933 in Chemnitz geboren wurde, hat Romane über die alternative Energiegewinnung (›Das Windrad‹), über seine bewegte Vita (›Nachgetragene Liebe‹, ›Hubert‹, ›Zwettl‹, ›Herzwand‹), über das kollektive jüdische Leiden (›Felix Guttmann‹, ›Bozena‹), und nicht zuletzt über bekannte und vergessene Größen der Kunstgeschichte geschrieben.

Zudem erschienen in unterschiedlichen Intervallen seit den 50er Jahren vielbeachtete Lyrikbände. Auch als Kinder- und Jugendbuchautor (stellvertretend seien ›Krücke‹ und ›Ben liebt Anna‹ genannt) errang er große Verdienste. Härtlings Jugend war durch die Wirren der Zeit von Flucht, Vertreibung und unzähligen Umzügen geprägt. Schon früh war er allein auf sich gestellt; der Vater starb, die Mutter beging Selbstmord. Nach dem vorzeitigen Verlassen des Gymnasiums und einem Volontariat arbeite Härtling als Zeitungsredakteur, dann als Verlagsleiter bei S. Fischer, ehe er Anfang der 70er Jahre sich ganz seinen eigenen literarischen Arbeiten widmete.

Da war bereits der erste Roman erschienen – ein Markstein für die spätere Entwicklung des Autors. 1964 hatte Härtling (»Mein Dauerlieblingsbuch ist Theodor Fontanes ›Stechlin‹ – je älter ich werde, umso lieber wird mir das Buch. «) als Romancier mit einer Romanbiographie über den österreichischen Spätromantiker Nikolaus Lenau (›Niembsch oder der Stillstand‹) debütiert.

Härtlings poetische Annäherungen an Künstler vergangener Epochen (u.a. auch noch Hölderlin, Schubert, ETA Hoffmann und Verdi) sind – bei allem Respekt vor seinen übrigen Werken – die schönsten seiner Bücher. In diesen ›historischen› Romanen präsentiert der Autor eine Synthese aus Literatur- bzw. Kunstgeschichte und imaginierter Realität.

Als Peter Härtling 1987 der Hölderlin-Preis verliehen wurde, bekannte Marcel Reich-Ranicki damals zutreffend in seiner Laudatio: »Härtling hat sich die Sache der Literatur wie kaum ein anderer Zeitgenosse zu eigen gemacht.«

Dennoch bewegte sich Härtling, der 57 Jahre mit seiner Ehefrau Mechthild einer Psychologin, verheiratet war und in Walldorf (vor den Toren Frankfurts) lebte, keineswegs im berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm. Er hat sich immer eingemischt, hat auf Schriftstellertagungen, Kirchentagen, Demonstrationen oder in Fernsehdiskussionen leidenschaftliche Plädoyers für eine menschlichere Zukunft gehalten. Genau wie in seinen vielen Erzählwerken, in denen Peter Härtling als am Alltag geschulter Geschichtenerzähler immer auch in die Rolle des Bewahrers von Geschichte schlüpfte. »Das Schreiben ist für mich wie eine aus dem Innern kommende Lebensbewegung. Längst ist es notwendige Gewohnheit geworden, das wie das Atmen zu meinem Leben dazugehört«, meinte Härtling einmal in einem Interview.

| PETER MOHR
| (TITEL)FOTO: Das blaue Sofa / Club Bertelsmann

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die andere Hälfte der Kunst

Nächster Artikel

Außerirdische in Barcelona

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Schuld ist ein Lebensthema

Menschen | Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Bernhard Schlink am 6. Juli »Schuld ist ein Lebensthema. Es ist nicht das Lebensthema, und es ist auch nicht das Thema meiner Bücher, sondern nur eines«, erklärte Bernhard Schlink vor einem Jahr in einem Deutschlandfunk-Interview. Kein Wunder, da sich versierter Jurist und passionierter Erzähler irgendwann in der Person Schlink getroffen haben. Ein Porträt von PETER MOHR

Verrückt und vertraut

Roman | J.M.G. Le Clézio: Alma

»Hier auf dieser Insel haben sich die Zeiten, die Geschlechter, die Leben, die Legenden, die berühmtesten Abenteuer und die unbekanntesten Ereignisse, die Seeleute, die Soldaten, die Söhne aus gutem Hause, aber auch die Pflüger, die Arbeiter, die Dienstboten und die Besitzlosen miteinander vermischt.« Mit diesen Worten beschreibt der französische Schriftsteller J.M.G. Le Clézio die Insel Mauritius, den Handlungsschauplatz seines soeben erschienenen Romans ›Alma‹. Von PETER MOHR

Explosiv und radikal

Menschen | Shulamith Firestone – Eine radikale Feministin (Mittelweg 36) Als im Spätsommer 2012 die Nachricht vom Tod Shulamith Firestones bekannt wurde, fand sie hierzulande wenig Widerhall. Revolutionärinnen kommen im kollektiven Gedächtnis kaum vor. Wenn sie Frauenrechte auf ihre Fahne geschrieben haben, ist die Chance dazu noch geringer. Ein schmaler Sammelband des Hamburger Instituts für Sozialforschung stellt sich dem Vergessen entgegen und präsentiert Firestone und ihr Werk, explosiv, radikal. Und gelungen, findet MAGALI HEISSLER.

House Music With vocals? Oh, Go On Then!

Bittles‘ Magazine | Interview Dinky, real name Alejandra Iglesias, has over the years, produced some of the most sensual and exciting house music around. Releases on Cocoon, Truam, Crosstown Rebels and Wagon Repair have moved clubbers everywhere with their lush tech-house grooves. Single Acid In My Fridge thrust her into the limelight in 2005, and since then each release has been eagerly anticipated by an ever growing batch of clued-up listeners who have fallen for Dinky‘s versatile and ever-shifting sound. Previous albums May Be Later, Anemik and Black Cabaret were all strong records that somehow managed that tricky task of

Dichtung ist Wahrheit

Menschen | Zum 75. Geburtstag von John Maxwell Coetzee »Vergessen braucht Zeit. Wenn du erst einmal richtig vergessen hast, wird dein Gefühl der Unsicherheit weichen und alles wird einfacher werden«, heißt es im bisher letzten Roman (Die Kindheit Jesu, 2013) des Literaturnobelpreisträgers John Maxwell Coetzee. – Zum 75. Geburtstag des Literatur-Nobelpreispreisträgers J.M. Coetzee am 9. Februar gratuliert PETER MOHR