/

»Jeder Tag ist ein Geschenk«

Menschen | Zum Tod der großen Schauspielerin Jeanne Moreau

2003 hatte Jeanne Moreau (halb im Scherz) einen künstlerischen Wunsch geäußert, der sich allerdings nie erfüllt hat: »Shakespeares Lear. Den spiele ich, wenn ich achtzig bin!« Von PETER MOHR

Mit dem ›Lear‹ ist es zwar nichts geworden, doch die Blitzlichter der Fotografen zog sie bis ins hohe Alter immer noch beinahe magisch an, wie etwa bei ihrem Kurzauftritt als Ehrengast bei der Europäischen Filmpreisgala im Jahr 2007 in Berlin.

Sie war nicht nur eine der wirklich großen Schauspielerinnen, sondern war auch der Schwarm einer ganzen Männergeneration, ihr Name wird in einem Atemzug mit Marlene Dietrich und Greta Garbo genannt, vom liebeshungrigen Luder bis zur rachsüchtigen Ehefrau hat sie alles verkörpert, und ihre eigene Vita würde genug Stoff für einen abendfüllenden Kinofilm hergeben.

Jeanne Moreau, die am 23. Januar 1928 in Paris als Tochter eines Hoteliers geboren und als 20-jährige bereits in die ehrwürdige Comédie-Française aufgenommen wurde, hat als Schauspielerin nicht nur die großen Regisseure, sondern auch als Privatperson viele Prominente fasziniert: Louis Malle, Orson Welles, John Frankenheimer, Jean-Louis Richard (aus der Ehe stammt Sohn Jérome, der heute ein erfolgreicher Maler ist), Modeschöpfer Pierre Cardin, der 14 Jahre jüngere Schriftsteller Peter Handke, und der Regisseur Tony Richardson (die Affäre führte zu seiner Scheidung von Vanessa Redgrave) waren ihre Lebensgefährten.

fahrstuhl_zum_schafott | MoreauZwar hatte Jeanne Moreau Anfang der 1950er Jahre auf der Theaterbühne unter der Regie von Peter Brook in Tennessee Willliams‘ ›Die Katze auf dem heißen Blechdach‹ und an der Seite von Lino Ventura und Jean Gabin als Luder Josy in ›Wenn es Nacht wird in Paris‹ (1953) für Furore gesorgt, doch der große Durchbruch gelang ihr ausgerechnet unter der Regie eines Debütanten – in Louis Malles ›Fahrstuhl zum Schafott‹ (1957). Wenig später drehten beide gemeinsam ›Die Liebenden‹ und wurden damit endgültig zu den Stars der ›Nouvelle vague‹.

Vor allem ihre enorme Wandlungsfähigkeit machte Jeanne Moreau zum internationalen Filmstar der 1960er Jahre. Zusammen mit Jean-Paul Belmondo spielte sie unter Peter Brook in der Duras-Verfilmung ›Stunden voller Zärtlichkeit‹ (1960); bei Michelangelo Antonioni war sie Partnerin von Marcello Mastroianni in ›Die Nacht‹ (1960); Francois Truffaut setzte sie als Cathérine in ›Jules und Jim‹ (1961) zwischen zwei Männer und gab ihr 1967 eine ihrer beeindruckendsten Rollen – als trauernde und rachsüchtige Julie Kohler in ›Die Braut trug schwarz‹; bei Orson Welles wirkte sie in der Kafka-Adaption ›Der Prozess‹ (1963) mit; Jean-Louis Richard ließ sie die Garbo-Rolle der ›Mata Hari‹ nachspielen, Luis Bunuel holte sie als Célestine für sein ›Tagebuch einer Kammerzofe‹ (1964), und Louis Malle platzierte sie neben Brigitte Bardot in seinem Musical ›Viva Maria‹ (1967).

Mitte der 1970er Jahre versuchte sich Jeanne Moreau nach ihrer Heirat mit dem amerikanischen Regisseur William Friedkin auch hinter der Kamera und lieferte 1978 mit ›Mädchenjahre‹ (in den Hauptrollen Simone Signoret und Edith Clever) eine beachtenswerte Regiearbeit ab. Später glänzte sie selbst noch in kleinen Nebenrollen, so u.a. als Bordellchefin in Rainer Werner Fassbinders letztem Film ›Querelle‹ (1982), als blinde Frau in Wim Wenders‘ ›Bis ans Ende der Welt‹ (1991), als Kaiserin Elisabeth in ›Katharina, die Große‹ (1994) oder als tyrannische Mutter in ›Balzac‹ (1999).

Im Jahr 2000 war sie in einer Neuverfilmung von Victor Hugos ›Les misérables‹ zu sehen – an der Seite von prominenten Schauspielern, die längst einer anderen Generation angehörten: Gerard Dépardieu, John Malkovich, Veronica Ferres oder Otto Sander. Und ein Jahr später durften wir Jeanne Moreau, die im Jahr 2000 als erste Frau in die Pariser Akademie der Schönen Künste gewählt wurde, in einer grandiosen Altersrolle bewundern. In ›Diese Liebe‹ verkörpert sie geradezu hingebungsvoll die 1996 verstorbene exzentrische Schriftstellerin Marguerite Duras.

Mit ihrem Alter hatte die große Schauspielerin, die zuletzt 2005 als Großmutter in ›Die Zeit die bleibt‹ noch einmal glänzte, keine Probleme. »Jeder Tag ist seitdem ein Geschenk«, erklärte Jeanne Moreau 2006, als sie in einem Interview erstmals über eine in den frühen 1960er Jahren überstandene Krebserkrankung berichtete. Zuletzt war sie noch in kleineren Rollen in ›La Mauvaise rencontre‹ (2011), ›Lullaby to my Father‹, ›Gebo et l’ombre‹ und ›Eine Dame in Paris‹ (alle 2012) zu sehen. Am Montag ist Jeanne Moreau, eine der letzten großen Diven des europäischen Films, im Alter von 89 Jahren in Paris gestorben.

| PETER MOHR
| TITELFOTO: Oneras, San Sebastian Film Festival Jeanne Moureau crop 1, CC BY-SA 2.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die unbekannteste Band eines untergegangenen Staates

Nächster Artikel

Wenn das Geisterhaus zum Fluch wird

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Im Kopf des Henkers

Menschen | Joel F. Harrington: Die Ehre des Scharfrichters Gleich, wie sie heißen, Scharfrichter, Henker, Folterer, in unseren Köpfen entsteht eine bestimmte Vorstellung. Eine düstere Gestalt, das Gesicht oft hinter einer schwarzen Maske versteckt, die im Namen einer unheimlichen Macht eines barbarischen Zeitalters Menschen sinnlos Schreckliches antut. Unsere Vorstellung und die Realität eines Scharfrichterlebens in der frühen Neuzeit aber unterscheiden sich deutlich voneinander. Der US-amerikanische Historiker Joel F. Harrington ist für sein Buch ›Die Ehre des Scharfrichters‹ sozusagen in den Kopf eines Henkers im späten 16. Jahrhundert geschlüpft und kann Überraschendes berichten. Von MAGALI HEISSLER

Gedanken eines Verzweifelten

Menschen | Werner Otto Müller-Hill: »Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert«. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/45 Er sah, wie das eigene Volk sich ins Verderben stürzte, er begriff die Hybris und den Wahnsinn der nationalsozialistischen Führung, er fühlte die Schuld, die das braune System auf sich lud – und war dennoch Teil der militärischen Elite. Werner Otto Müller-Hill beschreibt in seinen Kriegstagebüchern, wie er versuchte, aufrecht zu bleiben. »Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert« ist ein beklemmendes Zeitdokument, dessen analytische Schärfe verblüffend ist. Von VIOLA STOCKER

Ein Dichterinnen-Leben in Bildern

Comic | O.Matiychuk,O.Staranchuk,O. Gryshchenko: Rose Ausländers Leben im Wort

Eine kleine, aber feine Graphic Novel von Oxana Matiychuk aus dem unabhängigen Verlag danube books aus Ulm beschäftigt sich mit dem Leben der Poetin Rose Ausländer. Illustriert von den Künstlern Olena Staranchuk und Oleg Gryshchenko behandelt der Band in rot-grün-grau-schwarzen gedeckten Farben das Leben und Werk der jüdisch-deutschen Dichterin. Von FLORIAN BIRNMEYER

Leseabenteuer

Menschen | Zum 125. Geburtstag von Hans Henny Jahnn

»Immer wieder geschieht es mir, dass ich, wenn ich Jahnn lange nicht gelesen habe, bei erneuter Lektüre stutze und verharre wie ein Pferd, das sich seines Reiters erst entsinnen muss«, schrieb vor knapp fünf Jahren der langjährige Zeit-Feuilletonchef Ulrich Greiner über sein ambivalentes Verhältnis zu Hans Henny Jahnn. Von PETER MOHR

Listen up!

Digitalspielkultur | Im Gespräch mit Christian Mahnke

Auf den GermanDevDays in Frankfurt fand RUDOLF THOMAS INDERST die Zeit, sich bei hochsommerlichen Temperaturen mit Christian Mahnke von EarReality auszutauschen. Und so konnten sie sich über die gemeinsame Schnittmenge von Hörbuch und Digitalspiel und zahlreiche weitere Themen unterhalten.