Franz Werfel war Österreicher und Prager, Jude und Christ, Konservativer und Avantgardist, traditioneller Erzähler, pathetischer Lyriker und utopischer Romancier. Aus diesen teilweise selbst auferlegten Widersprüchen schöpfte Werfel seine literarische Energie, die ihm in 35 Jahren dichterischer Tätigkeit ein ebenso erfolgreiches wie umfängliches Oeuvre ermöglichte. »Erfolg ist für mich mit Glück identisch«, erklärte Werfel, der vor allem während des Exils in den USA von vielen Kollegen ob seiner Verkaufserfolge beneidet, aber auch polemisch geschmäht wurde. So sprach Brecht etwa vom »heiligen Frunz von Hollywood, dem Geschwerfel«. Von PETER MOHR
Für Werfel selbst waren die Erfolge kein Grund, die Nase hochzutragen. Wenn auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie, bezeichnete er seine Werke als »ein wenig zu wortreiche Indianergeschichten.«
Der Jugendfreund und Verehrer Kafkas notierte in seinem Tagebuch über sein Verhältnis zum sieben Jahre älteren Dichterheros: »Kafka ist ein Herabgesandter, ein großer Auserwählter. Dieses Abstands zwischen ihm und mir, der ich nur ein Dichter bin, war ich mir immer bewußt.«
Franz Werfel, der am 10. September 1890 als Sohn eines vermögenden Handschuhfabrikanten in Prag geboren wurde, verzeichnete seine ersten literarischen Erfolge als pathetischer expressionistischer Lyriker mit seinem 1911 erschienenen Gedichtband »Weltfreund«, dessen Veröffentlichung Kafka mit den Worten »Werfel ist ein Wunder« kommentierte. Werfel verließ schon in jungen Jahren den Prager Kreis um Max Brod und siedelte sich in Wien an. Er stand in seiner Jugend dem Sozialismus nahe und hatte im November 1918 im Wiener Zentrum die Rotgardisten propagandistisch unterstützt. Franz Werfels von großen Widersprüchen geprägte Vita hat sich auch auf die literarische Arbeit niedergeschlagen.
Die Trennung von seiner Heimat fiel ihm leichter als die Lossagung vom jüdischen Glauben, die er formal erst 1929 vollzog; beeinflusst von seiner abgöttisch geliebten Gattin Alma Mahler-Gropius, einer rigiden Antisemitin, die Werfel später in ihren Tagebüchern als »fetten o-beinigen Juden« verewigte. Seine Ehefrau (1879-1964) war die Witwe des Komponisten Gustav Mahler und danach Ehefrau des Architekten Walter Gropius.
Zu seinem Freund Friedrich Torberg bekannte Werfel: »Wenn ich die Alma nicht getroffen hätte – ich hätte noch hundert Gedichte geschrieben und wäre selig verkommen.« … Sein erster epischer Erfolg war die 1920 erschienene Erzählung ›Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig‹. Wie in fast allen später folgenden Werken ist auch diese Erzählung von antagonistischen Charakteren, einem unüberwindbaren Generationskonflikt geprägt.
Stark an Robert Musil und Stefan Zweig orientiert, hat sich auch Werfel bemüht, die Freudsche Psychoanalyse literarisch zu thematisieren. Geradezu meisterhaft ist ihm diese Umsetzung im 1928 erschienenen Roman ›Der Abituriententag‹ gelungen, der in einer österreichischen Kleinstadt der Jahrhundertwende seinen Ausgangspunkt hat und 25 Jahre später bei einem Abituriententreffen eine schicksalhafte Wendung nimmt. Der Landgerichtsrat Sebastian erkennt wenige Tage vor dem Treffen in einem des Mordes beschuldigten Untersuchungshäftling einen ehemaligen Mitschüler wieder. Fast vergessen hingegen ist der 1929 erschienene Revolutionsroman ›Barbara oder die Frömmigkeit‹, in dem Werfel den Lebensweg des Schiffsarztes Ferdinand aus der Zeit des Niedergangs der Monarchie erzählt.
Wenige Tage nach Erscheinen des monumentalen Epos‘ ›Die vierzig Tage des Musa Dagh‹ (1933), das das Blutbad des türkisch-armenischen Krieges thematisierte, wurden Werfels Bücher von den Nazis symbolisch den Flammen übergeben. »Die Gesichtszüge der Zeit verraten eine düster kaltschnäuzige Anbetung alles Unangenehmen«, hatte Werfel später über seine Flucht aus dem deutschen Sprachraum geschrieben.
Bevor er 1940 gemeinsam mit seiner Frau, Heinrich und Golo Mann von Sanary-sur-Mer in Südfrankreich aus über die Pyrenäen nach Spanien, dann nach Lissabon und von dort in die USA emigrierte, war das Drama ›Jacobowsky und der Oberst‹ in Buchform erschienen. Eine »Komödie einer Tragödie« beschrieb Werfel die Auseinandersetzung zwischen dem jüdischen Intellektuellen und dem säbelrasselnden Militaristen Sjerbinsky.
Ratio gegen Gewalt; dieser Kampf prägt das pazifistische Drama, an dessen Ende – bei Werfel keineswegs unüblich – das Gute siegt. Dem Glauben an die Vernunft des Menschen, den Werfel aus dem Katholizismus bezog, kommt fundamentale Bedeutung im Oeuvre zu, das nach der Emigration in die USA noch anwuchs. 1940 waren binnen einer Woche in den USA 140 000 Exemplare des Romans ›Der veruntreute Himmel‹ verkauft worden, und der wenig später erschienene »Song of Bernadette« – eine religiös motivierte Danksagung für seine Rettung aus dem besetzten Frankreich und eine Romandarstellung des »Wunders von Lourdes« – war einer der größten Verkaufserfolge auf dem US-Buchmarkt in den 1940er Jahren. Der amerikanische Literarhistoriker John Frey schrieb 1943: »Keiner unter den entwurzelten europäischen Romanciers, Lyrikern und Dramatikern hat derart phänomenale Gipfel des Erfolges erklommen wie Franz Werfel.«
Im Gegensatz zu vielen schreibenden Kollegen war Werfel in den USA ein wohlhabender und anerkannter Autor, der ein sorgenfreies Leben führen konnte. Zwei Tage nach Vollendung seines prophetisch-utopischen Romans ›Stern der Ungeborenen‹, über den sein engster Vertrauter aus der Entstehungszeit, der Schriftsteller Friedrich Torberg, sagte: »Dieser Roman verhält sich zu aller bisherigen Utopia-Literatur wie der Gulliver zum Struwwelpeter«, starb Franz Werfel am 26. August 1945 (gerade 54-jährig) in einem Krankenhaus im kalifornischen Beverly Hills an einem Herzinfarkt.
| PETER MOHR
| TITELFOTO: Carl Van Vechten creator QS:P170,Q312851, Werfel, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons